Ghyxxas
seufzte nicht zum erstenmal an diesem nebelverhangenen Tag und stierte
dabei sehnsüchtig den breiten Pfad hinunter, der zum Westtor
führte. Ghyxxas langweilte sich!
Zwar war es ihm in der vergangenen Nacht ausnahmsweise gelungen,
Morn, den alten hässlichen Vampir hereinzulegen und ihn für
mehr als die Hälfte der Nacht in seiner Gruft einzusperren,
aber die vorübergehende Heiterkeit war einer Lethargie gewichen,
als die restlichen Vampire sich ausufernd bei ihm beschwerten. Schließlich
hatte Ghyxxas genug gehabt und den magischen Bann über die
Gruft wieder aufgehoben und dann die anderen Vampire vertrieben.
"Lästiges Gesindel", maulte Ghyxxas vor sich hin,
spreizte die recht Schwinge und beäugte sie ausgiebig. Schließlich
legte er sie mit einem erneuten Seufzer wieder an seine schlanke
Gestalt, kauerte sich hin und starrte die aufgehende Sonne an.
Die wärmenden Strahlen taten Ghyxxas gut und er sehnte sich
immer nach den langen und nebligen Nächten nach der Sonne.
Ghyxxas hasste den Winter, hasste Regen und Eis. Und er hasste es,
hier eingesperrt zu sein.
"Oh, Nyexxas, wenn du nur wüsstest, wie gut du es hast!"
rief er der Sonne entgegen und spreizte die linke Schwinge ab, um
sie ebenfalls zu untersuchen. Dann gähnte er und gab dabei
ein beeindruckendes Gebiss frei an deren Spitze annähernd unterarmlange
Fangzähne zu sehen waren.
Ghyxxas lachte still in sich hinein und wünschte sich, endlich
wieder einmal den Ausdruck des Entsetzens auf den Gesichtern der
Fleischwesen zu sehen, wenn er sich regte. Dann senkte er den Blick
wieder, seufzte und sprang in die Luft, breitete die Schwingen aus
und zog einige Kreise, bis er sich auf einer knapp drei Meter hohen
Steinsäule niederließ und in Kauerstellung verharrte.
Er legte die Schwingen an, konzentrierte sich einen Moment, streckte
die Schwingen breit aus, während das hellrote Leuchten in seinen
Augen erstarb und er zu Stein erstarrte, um mit der Säule eine
Einheit zu bilden.
Ghyxxas Wesenheit strebte aus dem Körper, betrachtete sich
die Stellung auf der Säule und unternahm noch einige kosmetische
Korrekturen, indem hier und dort Moos entstand oder ein wenig Stein
abbröckelte. Dann entschwand die Wesenheit in eine andere Bewusstseinsebene!
'Nyexxas?' rief
Ghyxxas in die graue Ebene hinaus und erhielt sofort ein dunkles
Raunen zur Antwort.
Andere Wesenheiten glitten über die Ebene, wichen aber Ghyxxas
schnell aus. Sie kannten seine Macht in diesen Sphären.
'Sie mal einer an', feixte Nyexxas und erschien in der Gestalt eines
Wolfes, 'der Totenhüter selbst!'
'Wenn du mich verspotten willst, werde ich gleich wieder verschwinden',
maulte Ghyxxas und nahm unterdessen die Gestalt eines alten Mannes
an.
'Jemand den ich kenne?' grübelte Nyexxas und fixierte die Gestalt
vor sich.
'Sicher nicht', stellte Ghyxxas sachlich fest. 'Irgend so ein magischer
Spinner, der mir ans Leder wollte.'
'Ich nehme an', raunte Nyexxas, 'dass er nunmehr ein toter Spinner
ist ...'
'Sicher!' konstatierte Ghyxxas und winkte ab.
In der Ferne schoss
plötzlich ein gelber dünner Strahl auf, verharrte einen
Augenblick und strebte dann langsam in Richtung der beiden Wesenheiten.
'Dein Typ wird verlangt', meinte Nyexxas beifällig zu ihrem
Gegenüber.
'Nicht schon wieder!' Ghyxxas gab das mentale Äquivalent eines
tiefen Seufzers von sich, verabschiedete sich von Nyexxas und strebte
schnell auf den Strahl zu, verschmolz mit ihm und kehrte mit ihm
in die materielle Ebene zurück.
"Beeindruckend,
nicht wahr?" meinte Jorand zu seinen Begleitern und starrte
zu der steinernen Gestalt auf einer drei Meter hohen Säule
hinauf.
"Nicht nur beeindruckend", stellte Fhyonnar mit prüfendem
Blick fest, "sondern obendrein sicher auch nicht ganz ungefährlich.
Wir sollten uns schleunigst davon machen, bevor ..."
"Ach, komm schon Fhyonnar!" Der nicht einmal zwanzig Jahre
alte Garet baute sich vor dem Elfen auf und verschränkte die
Arme. "Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass du
Angst davor hast, einen Friedhof am helllichten Tage zu durchsuchen!
Was erwartest du? Das dieses grässliche Vieh da oben plötzlich
von seiner Säule heruntersteigt und uns zum Frühstück
verspeist?"
"Zunächst einmal, großer Krieger", wies Fhyonnar
den jungen Menschen zurecht, "ist es bereits Mittag. Dann solltest
du bedenken, dass dies ein sehr alter und ziemlich verrufener Ort
ist. Und obendrein rate ich dir gut, die Kreatur dort oben nicht
herauszufordern! Es wäre immerhin möglich, dass sie wirklich
von der Säule heruntersteigt und dann mit einer Mahlzeit beginnt
..."
'Gar nicht schlecht,
dein Vorschlag', dachte Ghyxxas bei sich, während er noch zum
Teil in der mentalen Sphäre verharrte und das Grüppchen
unterhalb seiner Säule betrachtete. Dann kehrte er in die steinerne
Gestalt zurück.
" ... ich
sagte lediglich, dass es möglich ist und ...", Fhyonnar
hielt plötzlich inne und stierte zu der Gestalt auf dem Sockel
hinauf.
"Tayd!" rief der Elf entsetzt. Der Rest der Gruppe sah
ebenfalls zu dem geflügelten Wesen aus Stein hinauf, dessen
Augen nun rötlich funkelten.
"Herzlich willkommen", begrüßte Ghyxxas die
Gruppe freundlich und legte die Flügel an, setzte sich dann
auf sein Hinterteil.
"Na großartig!" sagte Torn und zog sein Schwert,
während er vorsichtig zurückging.
Ghyxxas seufzte und schüttelte den Kopf.
"Seid doch nicht so langweilig Jungs und bleibt ein wenig hier.
Vielleicht kann ich euch ja helfen."
"Wobei?" wollte Fhyonnar wissen und ging vorsichtig einen
weiteren Schritt zurück.
"Das liegt ganz bei euch", Ghyxxas spreizte die Schwingen
und erhob sich auf seine vier Beine. Er reizte diesen imposanten
Anblick aus und gähnte, wobei er seine Fänge gezielt zur
Schau stellte.
Sonnenlicht gleißte auf den blendend weißen Fangzähnen
und Ghyxxas konnte ein leichtes Fauchen - es sollte wohl ein Gähnen
darstellen - scheinbar gerade noch unterdrücken. Er hatte lange
an dieser Pose geübt und war sich der Wirkung bewusst und sicher.
"Bleibt hübsch da stehen und hört auf vor Angst zu
schlottern", sagte die Kreatur auf der Säule schließlich
freundlich. "Es hat ohnehin keinen Sinn, eines der Tore erreichen
zu wollen. Selbst die schnellsten unter meinen Gästen waren
nicht vor drei Minuten an einem der Tore. Zum Vergleich benötige
ich etwa eine halbe Minute und komme dabei nicht einmal außer
Atem."
"Weil du gar nicht atmest, Biest!" rief Garet und trat
mit Kurzschwert vor. Torn riss ihn zurück und gebot ihm herrisch
zu schweigen, während Ghyxxas ein feixendes Lachen von sich
gab.
"Richtig, Freundchen!" bestätigte Ghyxxas und sprang
von der Säule, um direkt unterhalb am Boden zu landen. "Und
genau da liegt euer Problem.
Aber jetzt lasst uns erst einmal ein wenig Spaß haben und
etwas Plaudern. Ich bekomme so selten Besuch hier und langweile
mich ziemlich."
"Das darf doch nicht wahr sein!" Fhyonnar konnte nicht
fassen, was hier vor sich ging.
"Ach, komm schon! Sei ein bisschen gesellig, Elf", meinte
Ghyxxas jovial. "Vielleicht besucht ihr mich ja dann ab und
zu wieder einmal!"
"Du ... du willst uns wieder gehen lassen?" Torn schöpfte
ein wenig Hoffnung, aus dieser prekären Situation wieder herauszukommen.
"Mal sehen", meinte Ghyxxas beiläufig und betrachtete
die kleine Gruppe von insgesamt drei Elfen, einem Halb-Elfen und
sechs Menschen.
Ghyxxas setzte sich und blickte teilnahmslos in die Gegend, während
sich Torn fragte, was diese merkwürdige Kreatur wohl wollte.
"Kämpfe!"
brüllte Garet endlich und brach damit das Schweigen und die
Anspannung. Bevor irgend jemand ihn zurückhalten konnte, sprang
er direkt vor Ghyxxas und hielt ihm sein Kurzschwert entgegen.
"Garet!" rief Fhyonnar und schlug sich mit der flachen
Hand vor die Stirn.
"Ist das dein Ernst?" fragte Ghyxxas beiläufig seinen
jungen Gegenüber. Als Antwort hieb Garet mit dem Schwert nach
Ghyxxas und traf ihn oberhalb des Ansatzes der linken Schwinge.
Die Klinge sprühte Funken und gab ein Geräusch von sich,
als wäre sie wirklich auf Stein geschlagen worden und die Wucht
des Schlages setzte sich durch Garets Arm fort.
Entsetzt sah er Ghyxxas an.
"Bin ich jetzt dran?" fragte Ghyxxas freundlich und es
blitzte boshaft in seinen Augen.
"Ein Dämon!" schrie Sayen, einer der anderen Elfen
entsetzt.
"Na, na", meinte Ghyxxas und tat beleidigt, während
er an Garet vorbei den Elfen musterte. "Keine Beleidigungen
bitte!"
Garet hob die Klinge und wollte nach dem linken Auge der Kreatur
stechen, als Ghyxxas blitzschnell reagierte und nach der Klinge
schnappte. Der Angreifer wurde kreidebleich, als er die gewaltigen
Zähne sah, die kurz vor dem Heft und seiner Hand zuschnappten.
Ghyxxas knurrte. Dabei schien sogar der Boden zu vibrieren, ließ
dann die Klinge aber wieder los. Garet stierte auf die schwarze
Klinge und spürte einen Strom von Kraft aus der Klinge in den
Arm heraufpulsieren. Dunkelrötliche Flammen züngelten
über die Schneiden.
"Hübsch, nicht?" stellte Ghyxxas befriedigt fest
und musterte die Klinge aufmerksam. "Oh, bevor ich es vergesse:
Wirf sie ja nicht fort, denn deine Seele ist jetzt mit diesem Messerchen
verbunden. Ferner solltest du sie nicht mehr als dreimal benutzen,
da sie deine Seele dann aufzehren wird. Aber als besonderen Bonus
ist sie in Gemeinschaft mit dir bis dahin eine mächtige magische
Waffe, die dir gegen viele boshafte Kreaturen helfen wird."
Garet musterte die Klinge. Schweiß rann ihm in Bächen
den Körper herunter, doch dann blickte er zu Ghyxxas auf.
"Nicht doch, Jungchen", Ghyxxas schüttelte den Kopf.
"Denkst du wirklich, ich würde dir eine Waffe gegen mich
in die Finger geben?"
"Das habt
ihr von eurer Raffgier!" maulte Fhyonnar und hielt Augenblicke
später den schluchzenden Garet im Arm. "Ausgerechnet dieser
Friedhof musste es sein. Warum könnt ihr eigentlich nicht auf
das hören, was man euch sagt?"
"Jedes Mal das gleiche Prozedere", seufzte Ghyxxas. "Hört
doch auf zu streiten, es hat ja doch keinen Zweck."
"Na immerhin hat Garet schon etwas Wertvolles bekommen!"
meinte Jaked und schien ernsthaft entrüstet. Fhyonnar und die
anderen starrten ihn etwas irritiert an. Dann hob Garet die Klinge
und ging auf Jaked zu.
"Willst du wissen, wie gut sie funktioniert!?"
"Vergiss es, Garet!" rief Jaked schnell und hob abwehrend
beide Hände.
"Frag das Biest da drüben", meinte Garet und hielt
die Klinge in Richtung Ghyxxas ausgestreckt, "ob es dir nicht
auch einen Gefallen tun möchte."
"Heh!" rief Ghyxxas und erhob sich drohend. "Was
heißt denn hier 'Biest', Jungchen? Ein bisschen Benehmen kann
ich doch wohl erwarten ... Na ja, jedenfalls ein klein wenig mehr
Höflichkeit."
"Dann sollten wir uns vielleicht einander vorstellen",
schlug Fhyonnar vor.
"Oh ja, unbedingt", Ghyxxas griente und zog dabei die
Lefzen hoch. "Damit du mit meinem Namen einen Bannfluch verbinden
kannst, Elf. Sicher doch! Kann ich dir sonst noch irgendwie behilflich
sein?"
"Na klar", murrte Ghord, "verzieh dich einfach!"
"Ts, ts, ts. Einfach keine Mannieren mehr auf dieser Welt;
keine Achtung vor dem Alter." Ghyxxas blickte scheinbar beleidigt
zur Seite, was der Halb-Elf zum Anlass nahm, einen Pfeil auf die
Sehne zu legen. Als Ghyxxas sich wieder herumdrehte donnerte das
Geschoss krachend in des Dämons linken Lauf und drang sehr
zum Erstaunen der Umherstehenden auch wirklich tief ein.
Noch etwas erstaunter war der so Getroffene selbst und blickte ungläubig
an sich hinunter, betrachtete den fast vier Zentimeter tief eingedrungenen
Pfeil und schluckte erst einmal. Seit Äonen hatte der Dämon
keinen Schmerz mehr verspürt, hatte ihn keine Waffe dieser
Welt verletzen können!
Wie konnte es nur sein, dass der Pfeil des Bastards ihn derart malträtierte?
Ghyxxas brüllte seine Wut und seinen Schmerz laut hinaus und
die Gefährten suchten entsetzt Deckung.
"Hallo Ghyxxas",
meinte Ryk, der Halb-Elf, trocken und rührte sich nicht von
der Stelle. Lässig legte er einen weiteren Pfeil auf.
"Was ...?" Ghyxxas glotzte ziemlich dumm in die Gegend
und begriff nicht ganz, was hier vor sich ging. Gleichzeitig bemerkte
der Dämon allerdings, dass auch die anderen den Halb-Elfen
völlig verständnislos ansahen.
"Komm in Deckung, Ryk!" brüllte Fhyonnar, aber der
Angesprochene interessierte sich nur für den Dämon.
"Wir werden jetzt gehen, Ghyxxas", meinte Ryk wiederum
sehr ruhig. "Und du wirst uns gehen lassen!"
"Du wirst nirgendwohin gehen, Bastard!" brüllte der
Dämon erregt und tat einen Schritt vorwärts. Schon bohrte
sich erneut ein Pfeil in seinen linken Lauf und diesmal knickte
Ghyxxas fast das Bein weg. Der Dämon spreizte kreischend die
Schwingen!
"Las das!" rief Ryk und hatte diesmal auf den Schädel
angelegt. Dann wandte sich der Halb-Elf an seine Begleiter.
"Ihr geht jetzt zum Tor zurück. Bleibt nirgends stehen
und haltet euch nicht auf. Wenn ihr den Friedhof verlassen habt,
gebt mir ein Zeichen!"
"Was ... ist mit dir?" wollte Garet wissen und sprach
damit den Gedanken aller aus.
"Ich werde langsam folgen" antwortete Ryk zuversichtlich.
"Immerhin habe ich hier noch etwas zu erledigen."
Ghyxxas konnte
es nicht fassen! Dort spazierte seine Mahlzeit von dannen und er
wurde von einem dürren Halb-Elfen bedroht, der eine Waffe besaß,
die es eigentlich überhaupt nicht hätte geben dürfen.
Schwarzes Blut sickerte aus den Wunden des Dämons und langsam
fragte sich Ghyxxas, wie er aus dieser Situation heil herauskommen
konnte.
'Wenn er seine Sinne beisammen hat', überlegte Ghyxxas sich,
'wird er versuchen, mich entweder so zu verletzen, dass ich ihm
nicht folgen kann oder er wird versuchen, mich zu erledigen.'
"Genau so ist es!" stellte Ryk grinsend fest und Ghyxxas
Kinnlade klappte nach unten.
"Das ist doch völlig absurd!" schrie Ghyxxas wild
und konnte sich kaum beherrschen. Seine roten Augen glühten
fiebrig.
Von außerhalb des Tores riefen die Gefährten nach Ryk
und der musterte seinen Gegenüber sehr genau.
"Ich werde jetzt gehen, Totenhüter", sagte Ryk ruhig
und tat einen Schritt rückwärts, "und du wirst mir
nicht folgen, wenn du noch etwas auf dieser Ebene bleiben möchtest!"
"Das glaub ich einfach nicht!" tobte Ghyxxas entnervt
und zog sich langsam aus der steinernen Gestalt zurück.
Als Ryk bemerkte, dass der Glanz in den Augen des Dämons erlosch,
drehte er sich herum und rannte um sein Leben. Ryk wusste nur zu
gut - wobei er eigentlich überhaupt nicht wusste, woher er
diese neuen Erkenntnisse schöpfte -, dass er nicht sehr viel
Zeit hatte.
Ghyxxas blieb halb in der Sphäre der Überwelt und musterte
seine Gestalt, die dort am Boden hockte. Wieder begann er mit kleine
Korrekturen, brach die mit versteinerten Pfeile ab und ließ
deren Substanz in der Kreatur in das Gestein übergehen. Er
verschloss die Stellen, wo noch wenige Sekunden zuvor sein Lebenssaft
aus ihm herausgesickert war und kehrte dann in die Gestalt zurück.
Ächzend spreizte Ghyxxas seine Schwingen und sah den Halb-Elfen
rennen. Er hatte das Tor fast schon erreicht, aber Ghyxxas gab sich
nicht geschlagen, er setzte zu einem gewaltigen Sprung an und erhob
sich in die Luft. Das Maul der Kreatur öffnete sich und Ghyxxas
stieß einen markerschütternden Schrei aus, als er sich
aus der Luft auf den Halb-Elfen stürzte.
Doch der wurde buchstäblich im letzten Augenblick von seinen
Begleitern vom Friedhofsgelände heruntergerissen und der vor
Wut brüllende Dämon stand genau auf auf der Schwelle des
Friedhofs.
Ghyxxas Augen blitzten wütend! Noch niemals zuvor hatte man
ihn derart gefoppt und obendrein auch noch verletzt. Sein Blick
blieb auf Ryk geheftet, der sich die Seite hielt und nach Luft jappste.
"Was ...?" wollte Ryk wissen und schien wirklich gerade
erst wieder zu sich zu kommen. "Was ist passiert?"
"Bei allen Welten!" brüllte Ghyxxas außer sich.
"Gebt mir diesen Bastard und ich werde euch reich belohnen!"
"Es reicht uns völlig, dass du nicht dort hinaus kannst,
Dämon", merkte Fhyonar freundlich an. Dann betrachtete
er Ryk aufmerksam, der irgendwie überhaupt nicht zu begreifen
schien, was hier vor sich gegangen war.
Ghyxxas war indessen außer sich vor Wut und verstand alle
Welten nicht mehr! Beinahe wäre es ihm egal gewesen, ob er
die Schwelle überschritt oder nicht, nur um diesen verfluchten
Halb-Elfen noch schnell ins Jenseits zu befördern, bevor sich
seine Existenz auflöste.
Die Gruppe besprach sich kurz und als Ryk sich endlich aufrappeln
konnte, nahm er schnell seinen Bogen auf und musterte ihn genau.
Es war nichts Außergewöhnliches daran zu erkennen und
so legte er völlig unsicher einen weiteren Pfeil auf die Sehne
und zielte auf Ghyxxas. Der Dämon unterbrach seine Flüche
und Verwünschungen und stieb entsetzt davon. In angemessener
Entfernung drehte er sich wieder herum und wäre vor Wut fast
geplatzt! Seine Augen leuchteten grellrot.
"Hallo Dämon",
sprach eine Stimme hinter Ghyxxas Rücken plötzlich und
der entnervte Dämon machte einen Satz nach vorne und wirbelte
schnell herum. Nyexxas kicherte bei dem Anblick still in sich hinein.
"Noch einmal, Nyexxas!" brüllte Ghyxxas wütend.
"Noch ein einziges Mal und ich werde dich in Stücke reißen!"
"Ach, komm schon, Ghyxxas", der etwas zu groß geratene
menschliche Körper mit den gelblichen Augen setzte sich auf
einen Grabstein und winkte lässig ab. "Du vergisst, dass
du mich nicht verfolgen kannst. Deine Macht endet an den Toren zum
Friedhof!"
Ghyxxas starrte Nyexxas noch immer wütend an, doch dann durchfuhr
ihn ein Geistesblitz. Verschmitzt blickte er zum Tor, wo sich noch
immer die Gruppe aufhielt, die ihn so gefoppt hatte. Dann sah er
wieder zu Nyexxas hinüber und sein widerliches Maul geiferte
und verzog sich wieder zu einem abscheulichen Grinsen.
"Du könntest mir einen Gefallen tun, Nyexxas", meinte
Ghyxxas freundlich, "indem du dich der Gestalten da vor dem
Tor annimmst und sie zu mir auf den Friedhof jagst."
"Du scheinst mir ziemlich nachtragend zu sein, mein lieber
Dämon", neckte Nyexxas ihren Gegenüber, verwandelte
sich jedoch sogleich in das Ebenbild Ghyxxas und stolzierte in Richtung
Tor davon, während sich Ghyxxas bereits eine Tarnung verschafft
hatte und die Szene aus sicherer Entfernung beobachtete.
'Ihr werdet gleich euer blaues Wunder erleben!' dachte Ghyxxas siegessicher.
Im gleichen Augenblick überkamen ihn jedoch Zweifel. Er hatte
etwas vergessen!
"Der Bogen!" brüllte er aus Leibeskräften. "Gib
auf den Bogen acht!"
Die Gefährten
hörten zwar das Gebrüll, konnten aber außer dem
auf sie zukommenden Dämon nichts auf dem Friedhof ausmachen.
"Es wird höchste Zeit, dass wir endlich hier verschwinden",
schloss Fhyonar die Besprechung endlich und beobachtete den sich
nähernden Dämon aufmerksam. Ryk hob den Bogen und zielte
auf den Kopf des sich nähernden Wesens, aber diesmal blieb
die Kreatur nicht stehen und suchte auch nicht das Weite.
"Keine Panik!" rief Nyexxas und stolzierte weiter auf
die Gruppe zu. "Ich will euch etwas erzählen, was eurem
Freund vielleicht hilft, das merkwürdige Schwert loszuwerden."
Nyexxas blieb an der Schwelle zum Friedhof stehen und musterte die
Gruppe genau.
"Irgendetwas stimmt hier nicht", flüsterte Jorand
Fhyonnar zu. "Hatte er nicht vorhin rote Augen?"
"Tayd!" Der Elf verdrehte entsetzt die Augen. Doch in
diesem Augenblick überschritt der Dämon die Schwelle und
kam langsam auf die Gruppe zu. Ryk zitterte so, dass er nicht sicher
sein konnte, dass der Pfeil die Sehne überhaupt verlassen würde
und vor lauter Schreck vergaß er zu feuern.
"Ähem", räusperte sich Nyexxas und sprach dann
für ihre imposante Größe betont leise. "Wenn
ihr die Liebenswürdigkeit hättet, mich zu begleiten, können
wir Ghyxxas sicher dazu überreden, dass Garet dieses Schwert
wieder los wird."
"Du ... du bist nicht Ghyxxas?"
"Dumme Frage, Fhyonnar", antworte Nyexxas und runzelte
die Stirn, dass sich verschiedene Steinchen aus der Gestalt lösten.
Nyexxas trat selten in derartiger Form auf. "Natürlich
bin ich nicht Ghyxxas. Der kann nämlich den Friedhof nicht
verlassen."
"Und wer bist du?" wollte Torn wissen und tat dabei scheinbar
lässig und völlig unbeteiligt, aber Nyexxas schüttelte
lediglich den Kopf.
"Tut mir leid, Torn", Nyexxas lachte herzhaft, "aber
so beschränkt wie Ghyxxas aussieht, bin ich nun wieder nicht."
Nur das unterschwellige Grollen in dem Gelächter ließ
die Gruppe schaudern und ein wenig zurückweichen.
"Na los, kommt schon!" rief Nyexxas jovial, drehte sich
herum und schritt wieder auf das Gelände zurück. Murrend
folgten die Gefährten dem Dämon, da ihnen ganz offensichtlich
kaum eine andere Wahl blieb.
Torn stütze
Ryk, der den Bogen auf den wieder erschienen Ghyxxas gerichtet hielt.
Der Dämon konnte sich kaum noch zügeln, als Nyexxas vorschlug,
dass er den Bann von Garts Waffe nehmen und zum Ausgleich dafür
den merkwürdigen Bogen des Halbelfen erhalten sollte. Danach
könnten die Gefährten dann weiterziehen. Fluchend willigte
Ghyxxas schließlich ein, während Nyexxas - nun wieder
in menschlicher Gestalt - hinter Ghyxxas' Rücken ein breites
Grinsen aufsetzte.
Fhyonnar beobachtete Nyexxas zunächst mit Sorge, konnte dann
aber keinerlei feindselige Gedanken feststellen. Ganz im Gegenteil,
nahm er unterschwellig wahr, dass hier irgendein Scherz abzulaufen
schien, in dessen Mittelpunkt offensichtlich Ghyxxas zu stehen schien.
Und Fhyonnar konnte sich an den sechs Fingern einer Hand abzählen,
dass Ghyxxas derzeit ganz sicher nicht zu irgendwelchen Späßchen
aufgelegt war!
Leise fluchend
nahm Ghyxxas den Bann von Garts Waffe und musterte dann den Bogen
genau. Ryk starrte den Dämon an und der starrte plötzlich
ebenso intensiv zurück.
"Sei doch mal ein bisschen gesellig, Ghyxxas", meinte
Nyexxas jovial und um die Situation zu entspannen.
"Gesellig!?" brüllte Ghyxxas wutschnaubend. "Der
Bogen ist ebenso magisch wie ein Grabstein!"
Die Gruppe wich langsam zurück, denn der Dämon war völlig
außer sich. Nyexxas beruhigte Ghyxxas ein wenig und trat dann
vor, um die Gefährten zu begleiten.
Ghyxxas bewegte sich schwerfällig hinterdrein. Er grübelte,
ob er sich einfach über seine Zusage hinwegsetzen sollte. Aber
da war ja immer noch Nyexxas im Wege. Sie schien sich offensichtlich
für diese Gruppe zu interessieren.
Hatte sie sich nicht besonders für diesen Halbelfen eingesetzt?
Ghyxxas kochte innerlich vor Wut. Trotzdem beschloss er, sich an
die Abmachung zu halten.
Nyexxas hatte
den Friedhof mitsamt den Gefährten verlassen, die erleichtert
aufatmeten. Ryk musterte dennoch argwöhnisch die Dämonin,
die einen zufriedenen Blick aufsetzte und sich dann an Ghyxxas wandte,
der auf der Schwelle stand.
"Nun?" wollte sie herausfordern wissen.
"Nichts!" polterte Ghyxxas und wäre fast über
die Schwelle getreten.
"Ich denke", wandte sich Nyexxas an die Gefährten,
"ihr solltet jetzt besser verschwinden und die ganze Geschichte
vergessen."
Eine Aufforderung, der man trotz Müdigkeit sofort nachkam und
sich - so schnell es unter den gegebenen Umständen möglich
war - in Richtung eines kleinen Wäldchens entfernte.
"Wenn ich
noch einmal einen Halbelfen sehe", maulte Ghyxxas entnervt,
"vergesse ich mich vollends."
Nyexxas nahm Ryks Gestalt an, stand aber immer noch jenseits der
Schwelle.
"Las den Unsinn, Ny", murrte der Dämon wütend.
"Für solche faden Witze habe ich jetzt keinen Nerv und
..."
Ghyxxas sah Nyexxas nachdenklich an. Und wenn es möglich wäre,
dass sich Ghyxxas steinerne Fratze hätte stark verziehen können,
hätte er jetzt sicher ziemlich blöde dreingeschaut.
"Der Bogen ...". ächzte Ghyxxas. "Der Bogen
ist nicht magisch! Der Halbelf war überrascht ... Wo - Bei
den Tiefen der schwärzesten Hölle! - warst du während
mich dieser kleine Bastard malträtiert hat?"
Nyexxas kicherte vergnügt und nahm Ghyxxas Gestalt an. Der
Dämon sah sein Spiegelbild und Nyexxas imitierte dessen schmerz-
und wutverzerrtes Gesicht perfekt.
"Ny!" tobte Ghyxxas. "Du ... du ..."
"Na, na", meinte Nyexxas und legte den Kopf etwas schief.
"Verstehst du neuerdings keinen Spaß mehr?"
"Spaß!?"
"Du hast dich so gelangweilt und ich wollte für ein wenig
Unterhaltung sorgen."
"Du hast den Pfeil manipuliert! Es war deine Magie, die mich
verletzt hat", Ghyxxas setzte sich und machte keinen glücklichen
Eindruck.
"Ach, komm schon, Ghyxxas", meinte Nyexxas und nahm wieder
die Gestalt einer jungen Frau an, "du brauchtest dringend etwas
Abwechslung."
"Und wenn er mich vernichtend getroffen hätte?"
"Er konnte dich nicht vernichtend treffen, Ghyxxas. Das weißt
du genau.
Ich hätte es niemals zugelassen."
Die zwei Dämonen
gingen schweigend zur Mitte des alten Friedhofsgeländes und
wechselten kein Wort mehr miteinander. Ghyxxas verzog sich auf seinen
Sockel und verließ diese Ebene und Nyexxas folgte ihm schnell
...
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(c) März '93, Thomas Klaus
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