Es
erwies sich als außerordentlich schwierig, Räume für
Razzuns Praxis zu finden. In Dahenn ist nichts einfach und es galt,
den verschiedenen Einflussgebieten der Lin-Banden Rechnung zu tragen.
Schließlich sollte der neue Arzt nicht gleich an einem Stahlleiden
versterben, wenn er sich nicht an die für ihn noch neuen Gepflogenheiten
hielt. Obendrein stellte Razzun auch noch gewisse Ansprüche,
die seine neuen Förderer zu berücksichtigen versuchten.
Einmal war es fast so weit, dass das passende Gebäude gefunden
war. Leider stellte sich heraus, dass die Bewohner nicht wirklich
Willens waren, es für den potenziellen neuen Besitzer zu räumen.
Der kurze und heftige Disput darüber, wer in diesem Teil der
Stadt das Sagen hatte, wurde jäh von Razzun unterbrochen, der,
sehr zum Unverständnis von Firfin und seinen Begleitern, auf
das Haus verzichtete, um niemanden auf die Straße zu setzen.
Die Eigentümer waren allerdings ebenfalls sehr verwundert,
dass sie bleiben durften
Denn eigentlich war es ihnen lediglich
darum gegangen, die höchstmögliche Entschädigung
herauszuschlagen.
Gegen Mittag war dann endlich ein kleineres Gebäude mit verblichenem
roten Anstrich gefunden, das etwas heruntergekommen wirkte. Firfin
wunderte sich einmal mehr über Razzuns Geschmack.
Ist es nicht etwas klein? Firfin beäugte das Haus
neugierig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für
einen Mann deines Standes ausreichend repräsentativ ist.
Es geht hier nicht um meinen Stand, sondern darum, dass es
praktisch und einfach zu unterhalten ist, entgegnete Razzun,
der sich direkt im Vorbeigehen für das kleine Haus erwärmt
hatte. Eine doppelflügelige Tür mit zahlreichen Verzierungen,
in der ersten Etage führte ein verwinkelter Balkon zu den Räumen
und in das Geschoss darüber sowie zu einer Dachterrasse, auf
der sich offensichtlich bereits zahlreiche Pflanzen angesiedelt
hatten. Außerdem gefällt es mir
Gut, so soll es denn sein. Firfin ging auf die Tür
zu und fingerte einen Augenblick am Schloss herum. Er rümpfte
die Nase, als ihm die abgestandene Luft entgegen kam und trat wieder
einen Schritt zurück. Dann winkte er den anderen Lin zu, die
in einem Tross hinter Razzun hergelaufen waren.
Na endlich!, maulte Seklin, der einen der riesigen Transportsäcke
Razzuns schleppte.
Hast du ein Problem? Firfin funkelte Seklin böse
an.
Ich nicht, aber mein Rücken. Weiß doch der Wüstengeist,
was in diesem Sack ist. Seklin schob sich an Firfin vorbei
in das Haus. Ohhh ... Das stinkt hier!
Dann fangt endlich an, aufzuräumen und zu lüften.
Ich will
Oder sagen wir besser, Qwerlin will alles bis heute
Abend fertig gestellt wissen damit Razzun einziehen kann!
Firfin ließ keinen Zweifel daran, dass Razzun noch heute sein
neues Domizil beziehen oder es eine Menge Ärger geben würde.
Ich bin sicher, Qerlin würde den Weg ungern hierher machen,
um das Haus an Razzun zu übergeben, um dann feststellen zu
müssen, dass ihr unfähig gewesen seid, es herzurichten!
Neun weitere Lin betraten mal murrend, mal schweigend das Haus und
ergingen sich drinnen in leisen Kommentaren. Nach einer kurzen Inspektion
begannen sie mit den Arbeiten.
So, grinste Firfin Razzun an, das hätten
wir erledigt. Heute Abend, wahrscheinlich sogar früher, ist
dein neues Haus fertig. Wirst du die Praxis sofort eröffnen?
Razzun nickte. Sicher. Morgen werde ich mit der Arbeit beginnen
und zunächst einmal überall Zettel aushängen, dass
ich hier eine Praxis unterhalte. Sag mal, Firfin, dies ist doch
das Gebiet deines Onkels?
Ja.
Können denn die anderen Lin hierher kommen, ohne gleich
nun, ja
angegangen zu werden? Razzun zog die
Augenbrauen hoch.
Hm
ich denke das haben wir noch nicht bedacht,
Firfin musterte den Arzt nachdenklich. Onkel wird es nicht
mögen, wenn du seine Feinde behandelst. Auf der anderen Seite
wird er einsehen müssen, dass es anderen möglich sein
sollte, deine Dienste in Anspruch zu nehmen. Ich werde mit ihm über
eine adäquate Regelung reden, aber ich kann dir versichern,
dass das nicht einfach sein wird. Je nachdem wie seine Laune heute
ist, werde ich vielleicht erst einmal den Mund halten und einen
günstigen Moment abpassen. Und du verkneifst dir bitte jeden
Kommentar in diese Richtung!"
Gut. Ich werde schweigen wie die Flaute auf hoher See.
Razzun betrachte stolz sein neues Domizil. Zwar wirkte das Haus
neben den anderen größeren Gebäuden nicht gerade
pompös, aber es hatte einen anderen Baustil und hob sich deutlich
von dem Rest der Häuser ab. Wenn erst einmal der Anstrich erneuert
wurde ... Er seufzte zufrieden. Alles lief sehr viel besser, als
er es erwartet hatte. Und wenn er bedachte, dass er noch gestern
beinahe von einer Lin-Bande am Stadtrand ermordet worden wäre,
musste er die Umstände ganz besonders zu würdigen wissen.
Eine in schwarz
gekleidete und vermummte Gestalt hatte sich unbemerkt an Razzun
und Firfin herangeschlichen. Sie tippte Razzun auf die Schulter,
der sich ruckartig umdrehte und zunächst überrascht, dann
erfreut in grünlich funkelnde Augen blickte. Auch Firfin drehte
sich um und seufzte entnervt.
Die Daykîn bieten dir Hilfe bei der Einrichtung und
Renovierung an, Razzun, sagte die vermummte Gestalt tonlos.
Eine Hilfe, die ich gerne annehme. Razzun verbeugte
sich vor der Daykîn.
Und wie kommt er zu der Ehre?, fragte Firfin unwirsch.
Was geht dich das an?, zischte die Vermummte böse.
Wir können die Hilfe eines Arztes ebenso gebrauchen,
wie jeder andere in der Stadt!
Ohhh
Firfin spielte den Überraschten. Ich
dachte die Daykîn werden nicht verletzt. Ein Lächeln
flog über sein Gesicht, das jäh erstarb, als er sich mit
einem gebogenen Messer an seiner Kehle konfrontiert sah.
Natürlich nicht, du Wurm! Aber sie werden auch schon
mal krank. Hat dein Spatzenhirn das schon einmal in Erwägung
gezogen?
Razzun ging vorsichtig mit einer Hand zwischen die beiden, ohne
die Daykîn zu berühren. Ahhh
könntet
ihr das bitte lassen? Ich nehme die Hilfe gerne an und ich denke
nicht, dass Qwerlin etwas dagegen hat. Es dauerte noch einen
Augenblick, bis die Beiden voneinander lassen konnten, aber schließlich
trat Firfin einen Schritt zurück und drehte sich um.
Kluge Entscheidung! murrte die Daykîn, wandte
sich darauf an Razzun. Komm wir gehen die anderen holen, dann
kann ich dich auch gleich vorstellen. Sie hatte den Dolch
bereits verschwinden lassen und zog Razzun drängelnd am Ärmel.
Na gut, antwortete Razzun nachdenklich und blickte die
schwarz Gekleidete etwas erstaunt an. Pass auf, dass nichts
verschwindet, Firfin!
Sehr witzig! maulte der Lin ohne sich umzudrehen.
Die Daykîn
ging vor Razzun her und mit gesenktem Haupt schlichen die Lin an
ihr vorbei und machten schleunigst Platz. In einer der Seitengassen
blieb sie stehen und lehnte sich kurz an die Wand, um dann weiter
zu gehen. Als sie eine niedrige Türe erreichten, blieb sie
stehen, klopfte in einer offensichtlich vereinbarten Folge an der
Tür, die dann nach Innen aufschwang und einen düsteren
Raum freigab. Sie taumelte langsam hinein und Razzun sprang förmlich
hinterher, um sie im letzten Augenblick aufzufangen.
Du bist tot, Arzt, wisperte sie mehr, als dass sie sprach,
und wässrige Augen blickten in Razzuns. Allerdings hielt sie
diesmal keinen Dolch an sein Brustbein, sondern die Arme hingen
schlaff herunter.
Dann haben wir wohl etwas gemeinsam, murrte Razzun und
legte sie auf eine nahe Liege. Eine weitere schwarz gekleidete Gestalt
stand wie aus dem Nichts neben Razzun.
Hilf ihr, wenn du kannst, Arzt! Der andere Daykîn,
offensichtlich ein Lin, nahm seine Kapuze ab und funkelte Razzun
an.
Wenn sie mich lässt!
Sie wird
Aber sei gewarnt! Wenn du jemandem davon erzählst,
bist du schneller tot, als ein Blitzschlag dich niederstrecken würde.
Razzun wusste
nur zu genau, dass die Drohung ganz sicher nicht aus der Luft gegriffen
war. Behutsam zog er den Handschuh von der feingliedrigen Hand und
fühlte die Temperatur, nachdem er die Kapuze vom Gesicht entfernt
hatte. Vorsichtig öffnete er die Schnüre der Jacke und
bat den Lin, ihm beim Ausziehen zu helfen. Der Anblick des Armes
ließ selbst Razzun erschaudern.
Du meine Güte!, rief er. Warum hast du damit
so lange gewartet? Der ganze Arm ist bereits entzündet und
du hast Fieber ... Ich brauche einige meiner Tinkturen und Verbände.
Er sah den Lin durchdringend an. Kannst du den großen
dunkelgrauen Sack aus meinem Haus holen, ohne dass es jemand merkt?
Der Lin grinste unverschämt und nickte kurz.
Das ist mal sicher, sagte er selbstbewusst, setzte die
Kapuze auf und beugte sich über die Elfe. Bin gleich
zurück, Shiniia. Ich beeile mich. Und dann schien der
Boden ihn verschluckt zu haben.
Shiniia,
hm? Razzun begann mit einem Lappen und dem Wasser aus einem
herumstehenden Krug die Stirn der Elfe zu kühlen.
Wenn du den Namen jemals erwähnst, wenn wir nicht alleine
sind, flüsterte sie mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht,
kannst du dir sparen mich jetzt zu heilen.
Um ganz ehrlich zu sein, kleine Lady, Razzun blickte
besorgt drein, bin ich mir nicht sicher, ob ich dir überhaupt
noch helfen kann. Ich wünschte, ich könnte Wunder vollbringen,
aber wir werden uns wohl mit der Medizin begnügen müssen.
Auf jeden Fall wirst du eine Weile nicht herumlaufen können.
Das wird allerdings auffallen ...
Sirrfin hat bereits verbreitet, dass ich für einen anderen
Auftraggeber nach Sekruiya muss ... Er bringt mich später in
den Keller deines Hauses und bleibt dann auch da. Sie keuchte
vernehmlich. Er wird dich später so oder so bezahlen.
Jaja, das kann warten ... Wo bleibt er denn? Razzun
blickte nervös zur Tür. Also das wäre schneller
gegangen wenn ich die Sachen selbst geholt hätte.
Shiniia versuchte zu lachen, brachte aber eher ein hechelndes Husten
zustande. Es wäre aber sicher aufgefallen, wenn du mit
all deinen Sachen durch die Gassen läufst.
Je eher sie sich dran gewöhnen, dass ich hier herumlaufe
um so besser!, maulte Razzun.
Sie werden hinter dir herspionieren, Razzun!, antwortete
Sirrfin aus dem Dunkel. Niemand spioniert hinter einem Daykîn
her, sofern er es überhaupt schafft ihm auch nur zu folgen.
Razzun wirbelte herum und stand direkt vor Sirrfin. Er hatte nicht
einmal das Öffnen und Schließen der Tür bemerkt,
falls der Daykîn überhaupt die Tür benutzt hatte.
Ja, außer anderer Daykîn vielleicht, meinte
er mit leicht ironischem Unterton. Und jetzt gib mir die Sachen!
Die Daykîn vertrauen einander, wisperte Shiniia.
Razzun packte
seine Sachen auf einen herumstehenden, kleinen Tisch und drehte
den Docht der Lampe höher. Dann begann er mit flinken Händen
verschiedene Kräuter zusammenzumischen, zerstieß dies
und jenes Kristall in einem Mörser und mischte alles mit ein
wenig Wasser aus dem Krug. Er wies Sirrfin an, Shiniia des Getränk
langsam einzuflößen, und rührte weiter in seinen
Mörsern herum. Die so produzierte Paste strich er dann vorsichtig
auf den Arm und legte ein sauberes Tuch aus seinen Utensilien an.
So, der Trank sollte das Fieber senken und die Kräutersalbe
wirkt gegen die Entzündung ... Jetzt werde ich dir noch etwas
gegen die Schmerzen geben. Außerdem wirst du dann schlafen.
Razzun betrachtete Shiniia nachdenklich. Ein Glück, dass
Elfen über derart erstaunliche Heilkräfte verfügen.
Das ist wohl der einzige Grund, warum sie überhaupt noch
herum gelaufen ist, murrte Sirrfin, der sich am Kopfende niedergelassen
hatte und die Stirn der schweißgebadeten Elfe mit einem getränkten
Tuch kühlte. Wird sie wieder gesund?
Razzuns Blick ruhte zunächst eine Weile auf seiner Patientin
und dann starrte er den Lin an. Ich habe keine Ahnung ...
Die Entzündung ist bereits sehr weit fort geschritten. Ich
... wenn sich innerhalb der nächsten drei Tage keine Besserung
abzeichnet, werde ich den Arm amputieren müssen.
Shiniias Rechte schnellte hoch und ergriff Razzuns Weste. Der Griff
war immer noch ausgesprochen kräftig. Wenn du das machst,
Arzt, bringe ich dich um, sobald ich wieder laufen kann! Der
fiebrige Blick hing an Razzuns Augen und bestand kein Zweifel, dass
sie genau meinte, was sie sagte.
Schon gut, beschwichtigte Sirrfin sie und ergriff ihren
Arm. Ruh dich jetzt aus. Ich bleibe bei dir und nichts dergleichen
wird passieren.
Razzun blieb noch eine Weile bei der Kranken und wartete, bis sie
eingeschlafen war. Nachdenklich und sorgenvoll betrachtete er sie
und bemerkte dann endlich, dass seit geraumer Zeit der andere Daykin
seine Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatte. Stirnrunzelnd erwiderte
er den Blick.
Was ist? Ein nervöser Unterton hatte sich in die
Stimme des Arztes eingeschlichen.
Wenn sie stirbt
Jaja, konterte Razzun schnell und winkte ab. Dann
bringst du mich um. Weißt du, Sirrfin, eine Drohung verliert
an Intensität, wenn sie einem ständig um die Ohren gehauen
wird. Ich will damit nicht sagen, dass ich keine Angst vor dir oder
den anderen hätte, aber ich kann den Spruch schon nicht mehr
hören! Ich habe überhaupt kein Interesse daran Shiniia
sterben zu lassen ... Grundsätzlich habe ich überhaupt
kein Interesse daran, überhaupt jemanden sterben zu lassen.
Sonst wäre ich nicht Arzt, sondern Henker geworden. Ich würde
mich freuen, wenn ihr das irgendwann einmal verstehen würdet.
Und ich gebe mir auch die größte Mühe, euch hier
zu verstehen.
Sirrfin hatte in der Zwischenzeit den Lappen wieder mit frischem
Wasser getränkt und kühlte nach wie vor die Stirn der
Elfe. Dann blickte er auf und ein kleines Grinsen umspielte seine
Mundwinkel.
Du hast ein ziemlich großes Mundwerk, Arzt. Ich kann
nicht sagen, dass mir deine Ausführungen nicht gefallen würden
Ich denke du hörst den Spruch ungern, aber vielleicht
nimmst du einen Rat an: Bis du dich hier eingelebt hast, solltest
du dir sehr gut überlegen, mit wem du so redest! Und um es
noch einmal deutlich zu machen, wenn die Kleine hier stirbt, solltest
du einige gute Erklärungen haben.
Die Kleine? Razzuns Augenbrauen zuckten in die Höhe
und sein Blick pendelte sich irgendwo zwischen Irritation und Neugier
ein.
Sirrfin nickte knapp.
Ja, Shiniia ist wie eine eigene Tochter für mich
Obendrein ist sie auch noch eine der besten Daykin. Also hüte
dich!
Razzun verabschiedete
sich, nachdem er noch schnell einen Blick auf die Kranke geworfen
und dabei Puls und Temperatur kontrollierte. Mit einem Seufzer machte
er sich auf den Weg in sein neues Domizil.
Es war bereits
lange nach Mittag und die staubigen Straßen Dahenns waren
mehr oder weniger verlassen. Der aus Nordosten kommende leichte
Wind brachte neben einer schier unerträglichen Hitze auch Sand
von seiner langen Reise durch die Wüste mit und Razzun zog
sich das dunkelblaue dreieckige Tuch vors Gesicht, um dem Staub
und Sand zu entgehen. Ein älterer Lin schlenderte Razzun entgegen,
blickte kurz auf und machte eine knappe Geste mit der rechten Hand,
bei der er zwei Finger abspreizte und von sich weg gen Boden wies.
Der Arzt wusste bereits, dass dies ein freundlicher Gruß war
und erwiderte ihn so gut er ihn bereits beherrschte. Der Lin schritt
gemessenen Schrittes weiter und hatte beim Passieren des Menschen
den Kopf bereits wieder gesenkt. Die Luft flimmerte über den
farbigen Bodenplatten der gut ausgebauten Straße und die Strekka-Bäume,
die hier und dort wuchsen spendeten nur wenig Schatten und wirkten
ebenso durstig, wie Razzun es in der Zwischenzeit geworden war.
Da die Sonne mehr oder weniger über der Stadt stand, waren
an fast allen Gebäuden die Fensterläden und Türen
geschlossen, um die Hitze des Tages möglichst draußen
zu halten. Allerdings war es Razzun klar, dass es außer Magie
keine ihm bekannte Möglichkeit gab, das Innere der Gebäude
wirklich kühl zu halten oder zumindest eine angenehme Temperatur
zu gewährleisten.
Razzun hatte bereits beim Besuch eines sicher recht wohlhabenden
Lin mit Namen Ewlin gesehen, dass die Häuser im Zentrum der
Stadt in sehr gutem Zustand waren. Die Erbauer hatten die Gebäude
in langen Rechtecken angeordnet und im großzügig angelegten
freien Innenraum, der eine Etage tiefer lag als das Straßenniveau,
jeweils eine Art Park angelegt, der neben einem künstlichen
Wasserlauf und kleinen Teich mit Fischen und einer Fontäne,
normalerweise auch ein recht großes Becken zum Schwimmen oder
zur bloßen Abkühlung beherbergte. Zahlreiche Bänke
und Pavillons unter Schatten spendenden Bäumen verstärkten
den Eindruck von schierem Luxus; immerhin befand er sich in einer
Stadt in der Wüste!
So sehr es den Arzt auch überraschte, waren auf Dahenns Straßen
in regelmäßigen Abständen Wagen mit großen
Fässern unterwegs, welche die Straßen mit Wasser besprühten,
um den Staub in Grenzen zu halten und in die Kanalisation zu spülen.
Alles in allem war Dahenn sauberer und wesentlich zivilisierter,
als so manche andere Stadt im Westen des Kontinents. Und so zerzaust
und seltsam die Lin auch anmuteten, ließen sie es an Hygiene
nicht mangeln. Eigentlich hatte Razzun genau befürchtet, dass
er sich hier in einem stinkenden Moloch befinden würde, aber
erfreulicherweise war dem nicht so. Außerhalb der Stadtmitte
und zu den Randbezirken hin gab es jedoch auch Bereiche, in denen
es scheinbar keine Kanalisation gab und der Müll wurde dort
an Häuserecken oder in leeren Häusern gestapelt und nicht,
wie im Zentrum, täglich gesammelt und an den Stadtrand gefahren.
Aber das Wüstenklima begrenzte die Zahl der Ratten und anderer
von und im Müll lebender Kreaturen sehr, so dass es nicht zu
einer Plage kam. Später sollte Razzun noch erfahren, dass nicht
alle Lin im Luxus lebten, sondern ihr Dasein auch vom Müll
der Reichen fristeten.
Razzun hatte sich
verlaufen. Die Orientierung fiel ihm noch immer nicht leicht, auch
wenn die Straßen und Gassen in Dahenn mehr oder weniger rechtwinklig
verliefen. Irgendwann würde er vielleicht Qwerlin mal drauf
ansprechen, dass die Namen der Straßen wieder leserlich angebracht
wurden. Die Schilder oder Beschriftungen auf den Häusern waren
entweder im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verblichen oder die Farbe
war abgeblättert und nicht mehr erneuert worden. Für den
Augenblick hielt er es allerdings noch nicht für angebracht,
sich in die Geschäfte der Stadt einzumischen. Irgendwann fand
er dann auch die Allee des Auran woher auch immer dieser
Name kommen mochte und sah sein Haus, an dem bereits auch
außen gearbeitet wurde. Zahlreiche Lin erneuerten die leuchtend
rote Fassade und setzten die Etage, den Sockel und den Rand des
Balkons mit einem matten Schwarz ab. Neben den beiden anderen Häusern,
die beide zwei Etagen höher gebaut waren, wirkte Razzuns neues
Heim klein, fast niedlich, aber sowohl die Bauweise, als auch der
Anstrich ließen es als etwas Besonderes hervorstehen.
Über eine
Treppe betrat der Arzt eine kleine Terrasse, die von einer niedrigen
Mauer umrandet wurde, an der sich außen jeweils zum Rand hin
kleine Wasserspeier befanden, um die nach dort hin abfallende, mit
dunkelroten Kacheln geflieste Terrasse zu entwässern. Es gab
Zeiten, da trug Dahenn noch einen anderen Namen und lag nicht in
einer Wüste ... Links und rechts von der doppelflügeligen
Eingangstür, die ebenfalls einen mattschwarzen Anstrich erhalten
hatte, befanden sich hohe Fenster mit nach außen gewölbtem
Butzenglas, das in der grellen Sonne in allen Farben eines Regenbogens
schimmerte. Schon bald stellte Razzun fest, dass man zwar von drinnen
nach draußen schauen konnte, dies umgekehrt aber nicht möglich
war. Auch schienen die seltsamen Glasscheiben das Sonnenlicht so
zu brechen, dass die Hitze des Tages nicht in das Haus eindringen
konnte. Die Räume wurden durch die Scheiben in ein mildes und
vielfarbiges Licht getaucht und die ineinander verlaufenden Farben
bildeten auf den Wänden stets neue Farbmuster. Erstaunt betrachtete
Razzun diese Effekte und konnte sich erst nach einer gewissen Zeit
davon losreißen. Der Eingang bestand aus einem langen Flur,
der sich durch das gesamte Gebäude zog und etwa drei Schritte
breit war. Der Boden war mit einem sich wiederholenden Mosaik ausgelegt,
das beinahe wie ein kleiner Stadtplan aussah. An den Wänden
hingen neue Öllampen, die allerdings noch nicht befüllt
worden waren. Zur linken und rechten führten je zwei hohe,
weiße Türen in dahinter liegende fast quadratische Räume.
Eine Tür am Ende des Flurs öffnete den Blick auf eine
dunkelgrau geflieste Terrasse, die über eine lange Treppe in
einen der faszinierenden Parks führte, die Razzun schon gesehen
hatte. Allerdings schienen sich die Bewohner der anliegenden Häuser
nicht sonderlich um die Anlage zu kümmern. Es herrschte Wildwuchs
und mit der Bewässerung nahm man es wohl auch nicht so genau,
so dass zahlreiche Pflanzen ihren Kampf gegen die stechende Sonne
und flirrende Hitze bereits aufgegeben hatten.
Razzun betrachtete die Anlage und legte in Gedanken schon einen
ausschweifenden Kräutergarten an. Den Wasserlauf, das Fischbecken
sowie auch das Schwimmbassin wollte er dann auch wieder in Betrieb
nehmen, falls dies möglich und finanzierbar war. Seine Gedanken
sponnen sich schon weiter und eines der Nachbarhäuser war in
eine Art Krankenhaus umgebaut worden, während sich seine Patienten
in der Grünanlage erholten.
Ein Räuspern
holte den Arzt aus seinen Tagträumen zurück und mit einem
noch in die Ferne gerichteten Blick drehte er sich um.
Wir sind dann hier unten so weit, bemerkte Firfin nicht
ohne Stolz. Gleich kommen die Wagen mit Möbeln und anderem
Inventar. Ich muss nur noch wissen, was wo hin soll ...
Ihr seid schon fertig? Razzun staunte den jungen Lin
an, der nur kurz nickte. Oh ... ich denke, den Warteraum und
die Praxis bringen wir direkt hier unten am Eingang unter. Links
das Wartezimmer und rechts das Behandlungszimmer ... und in dem
zweiten Raum rechts die Bibliothek. Sag mal, wie kommt man eigentlich
nach oben?
Firfin winkte kurz und ging in den hinteren Raum zur Linken. Dort
befand sich eine Treppe. Durch die Tür zur Vorderfront des
Hauses strömte helles Licht herein. Beide gingen nach oben
und hinaus in die Hitze, die heute nur durch den leichten Wind bewegt
wurde.
Auf dem Balkon
standen Blumenkübel mit verdorrten Pflanzen. Ein Lin war damit
beschäftigt, die Gräser und anderes Gestrüpp, das
sich im Laufe der Jahre auf Dach und Balkon des unbewohnten Hauses
breit gemacht hatte, zu entfernen. Er grüßte den Arzt
mit einer knappen Geste und fuhr dann mit seiner Arbeit fort. Der
Balkon umfasste auf der rechten Seite etwa die Hälfte des ersten
unteren Raumes und zur Linken nur etwa ein Viertel, während
er exakt über dem Flur bis ins hintere Drittel des Gebäudes
reichte und ab der Mitte überdacht war. Im hinteren Bereich
führten Türen in jeweils einen Raum der zur Rechten noch
etwa in der Mitte unterteilt war. Im linken Raum führte eine
Steige aufs Dach, das von einer kniehohen Mauer umgeben war.
Razzun nickte
zufrieden und genoss erneut den Ausblick auf die Gartenanlage. Das
war ganz nach seinem Geschmack und er würde sich sicher mit
seinen Nachbarn einig werden ...
Es dauerte doch
noch bis zum frühen Abend und es roch noch überall nach
frischer Farbe, bis auch die obere Etage hergerichtet worden war.
In den unteren Räumen herrschte rege Betriebsamkeit und die
angelieferten Möbel wurden nebst anderer Utensilien, wie Teppichen,
Bildern, Wandbehängen und Vitrinen hineingeschleppt und erst
einmal hier und dort verstaut. Razzun dirigierte geschickt die vielen
Lin, die mal murrend, dann aber kommentarlos Möbel und Gerät
von hier nach dort und mitunter auch wieder zurück rückten.
Mit dem Eintreffen von Qwerlin war dann auch kein Murren mehr zu
hören und die Arbeit ging nur noch schneller voran. Der alte
Lin zeigte sich zufrieden, auch wenn er hier und dort eine harsche
Bemerkung fallen ließ und sich die so angesprochenen Lin sputeten,
mit ihrer Arbeit weiter voran zu kommen. Auf der Straße vor
Razzuns Haus sah es aus wie auf einem Flohmarkt, da manche Möbel
nicht ins Haus passten und andere Lin ebenfalls Haushaltsgeräte
oder Möbel abstellten, um den neuen Bewohner zu begrüßen.
Außerdem gaben sich auch die Nachbarn die Klinke in die Hand
und wünschten dem neuen Bewohner alles Gute. Sie bestaunten
das Haus, als wäre es gerade eben erst dort gebaut worden.
Razzun konnte sich Namen und Gesichter natürlich nicht alle
merken, aber er war hoch erfreut, dass man ihn mehr oder weniger
willkommen hieß. Zumindest hatte er nicht bemerkt, dass einer
der Nachbarn zu dem Willkommensgruß gedrängt worden wäre
und die Lin gaben normalerweise nicht viel darauf, sich zu verstellen.
Außerdem, wer hatte in Dahenn schon einen Arzt gleich eine
Tür weiter wohnen?
Bis vor einem guten Monat hatte es zwar eine Art Heiler gegeben,
der aber auf Anraten Buhlins schnell wieder weiter gezogen war.
Seine Heilkünste beschränkten sich darauf, teuer zu sein
... Von Heilung war jedenfalls nichts zu bemerken.
Der Wirbel, den Qwerlin um den Menschen machte, bereitete allerdings
diversen Lin Kopfzerbrechen. Schließlich wusste man ja nicht
wirklich, ob dieser Razzun auch tatsächlich ein Arzt war? Oder
hatte Qwerlin ihn hierher bestellt? Die Gerüchteküche
brodelte jedenfalls und Razzun war mehr oder weniger in nur einem
Tag alles vom Quacksalber und Nichtskönner bis zum Wunderbringer
persönlich.
Razzun versprach den Lin und insbesondere seinen Nachbarn eine Willkommensparty,
sobald er wieder zu Geld gekommen sei. Qwerlin erinnerte ihn allerdings
mit einem jovialen Klaps auf die Schulter, dass vor der Party erst
einmal die Rechnung für Haus und Inventar bezahlt werden müsste.
Razzun lächelte gequält und nickte. Irgendwie hatte er
auch nicht wirklich erwartet, dass der alte Lin ihm die Sachen und
das Haus schenken würde ...
Firfin?
Razzun blickte sich suchend um und entdeckte den Jungen, der gerade
die Wünsche in Sachen Raumausstattung für die erste Etage
an die schuftenden Lin weiterleitete.
Hm? Firfin drehte sich um.
Kannst du mir jemanden empfehlen, der mir Sachen besorgt,
die ich für die Praxis und das Labor benötige?
Mit einem Lächeln zeigte Firfin auf seine eigene Brust.
Qwerlin meint, ich könnte dir zunächst einmal behilflich
sein ... jedenfalls, wenn du nichts dagegen hast.
Überhaupt nicht! antwortete der Arzt hoch erfreut.
Wenn ich mich hier besser auskenne, kann ich die Sachen ja
auch selbst besorgen ... Aber für den Anfang wäre ich
dir sehr dankbar.
Keine Ursache ..., meinte Firfin und wandte sich wieder
drei anderen Lin zu, die im Schweiße ihres Angesichts außerordentlich
schwere Gestelle eines gewaltigen Bettes in die erste Etage wuchteten.
Razzun lernte dabei schnell diverse Flüche in der rauhen Sprache
der Lin, ersparte es sich und den Arbeitern aber, nach dem Inhalt
zu fragen.
Da die Nächte
im Sommer kurz waren, hielt das Licht die Lin noch bis gut eine
Stunde vor Mitternacht bei der Arbeit und das Haus war dann auch
endlich so weit eingerichtet, dass Razzun freudestrahlend einziehen
konnte. Qwerlin war zwischenzeitlich verschwunden, da er noch andere
Geschäfte zu erledigen hatte und Firfin hatte sich auf den
Weg gemacht, diverse Kräuter und Material für die Praxis
zu organisieren. Die Liste war recht lang und so kam er auch erst
kurz vor Mitternacht mit einem Handkarren zurück, auf dem zwar
nicht alle Utensilien, aber dazu auch noch Nahrungsmittel verstaut
waren. Razzun war hoch erfreut, fragte sich aber dann doch, woher
das ein oder andere seltene Gerät wohl stammen mochte. Unten
auf dem Zettel stand ein horrender Betrag, wobei Firfin versicherte,
dass er es so preiswert wie möglich gemacht hatte. Auf der
Rückseite war im Einzelnen aufgelistet, wem er wieviel schuldete.
Ein asthmatisch
keuchender Lin hatte sich bereits im Wartezimmer niedergelassen
und harrte einer Untersuchung. Qwerlin hatte ihn bei der offiziellen
Übergabe des Hauses zwar angeherrscht, sich bis morgen zu gedulden,
aber Razzun hatte ihm zugewinkt, noch einen Augenblick zu warten,
bis sich die Aufregung legte. Bei der Gelegenheit waren natürlich
auch die Führer anderer Lin-Banden und Familien zugegen. Eine
recht attraktive und in edle Gewänder gehüllte Lin mit
Namen Kjerlin begrüßte den Arzt überschwenglich,
zwinkerte ihm dann mit einem Auge zu und drehte sich zu Qwerlin
herum, der ein angewidertes Gesicht aufsetzte.
Wie überaus freundlich von dir, Kjerlin, dass du ebenfalls
zur Begrüßung unseres Arztes erschienen bist. Der
alte Lin ließ keinen Zweifel daran, dass er auf die Anwesenheit
Kjerlins durchaus hätte verzichten können, und dass er
sie lieber auf einem der Monde wissen würde, als hier.
Mein lieber Qwerlin, troff ihre Stimme vor Ironie und
sie redete betont laut und unterstrich das Gesagte mit ausschweifenden
Gesten, so dass sich auch wirklich alle zu ihr umdrehten. Wie
schön, dich bei einer so noblen und edlen Geste zu sehen, unserem
neuen Mitbewohner dieses Haus und all die wundervollen Sachen zu
schenken! Möglicherweise habe ich dich falsch eingeschätzt,
aber natürlich sind dir dadurch auch die Dienste eines überaus
fähigen Arztes gewiss ... Unter dem Strich ein geschickter
und überaus erfolgreicher Handel! - Nicht wahr?, setzte
sie nach einer kurzen Pause, in der Qwerlin mindestens drei Mal
die Farbe gewechselt hatte und kurz vor einer Explosion stand, hinzu
und blickte mit einem milden Lächeln in die Gesichter der Runde.
Zustimmendes Nicken und Gratulationen an Qwerlin ließen dem
Guten keine andere Wahl, als sich mit säuerlichem Grinsen zu
verbeugen und hinter vorgehaltener Hand tausend Flüche auszustoßen.
Er lächelte freundlich, verbeugte sich knapp vor Kjerlin und
raunte ihr ein Das wirst du mir büßen! zu.
Sie lächelte ebenfalls freundlich zurück und entgegnete
mit einem amüsierten Blick ebenfalls nur für die Ohren
des alten Lin Was auch immer, alter Kura ... Es war es auf
jeden Fall wert.
Schnell wandte sie sich an den noch immer höchst erstaunten
Razzun. Mein lieber Freund, sie wissen ja gar nicht, wie sehr
mich die großzügige Geste des guten alten Qwerlin überrascht
hat, rief sie wiederum einen Hauch zu laut, so dass alle es
mitbekamen. Normalerweise kann sich der alte Knauser nämlich
nicht von seinen Sachen trennen, ohne dabei unverschämt hohe
Summen zu verlangen ... Jaja, das Alter! Mit einer kurzen
Geste an Razzun und die versammelte Menge rauschte sie mit wallenden
Gewändern hinaus und einige andere Lin, die ebenfalls ein unverschämtes
Grinsen aufgesetzt hatten, taten es ihr gleich.
Halt bloß die Klappe, raunte Firfin dem Arzt zu.
Firfin!
brüllte Qwerlin und schnaubte vor Wut. Wir gehen!
Und du
du
! Er fauchte den Arzt an, winkte dann
aber ab. Vergiss es! Darauf rannte Qwerlin förmlich
von dannen. Firfin zuckte die Schultern und rief Razzun noch Ich
sehe dich morgen früh! zu, während er im Laufschritt
hinter seinem Onkel her trabte.
Erst jetzt, wo auch alle anderen Lin nach und nach verschwanden,
begriff er, dass er für das Haus und die Einrichtung nichts
würde bezahlen müssen. Er würde sich wohl irgendwann
bei dieser Kjerlin erkenntlich zeigen müssen ... jedenfalls
sobald er herausgefunden hatte, wo sie wohnte. Er drückte den
Arbeitern noch ein wenig Geld von seinen letzten Ersparnissen in
die Hände. Die zeigten sich hoch erfreut und verschwanden ebenfalls
relativ schnell.
Durch ein Husten aus dem Wartezimmer wurde Razzun wieder in die
Wirklichkeit zurück geholt und er bat den wartenden Lin in
das Behandlungszimmer. Nach einer halben Stunde war er mit der Untersuchung
fertig und bat den Lin, morgen gegen Mittag wiederzukommen und eine
Medizin abzuholen. Razzun verlangte weniger als er normalerweise
kassiert hätte und der Lin bezahlte ohne zu Murren.
Der Tag hatte
sich gut entwickelt, aber Razzun war nahe daran zusammenzuklappen.
Er hatte den Tag über kaum etwas gegessen und nur wenig Flüssigkeit
zu sich genommen. Mit kleinen Schlucken trank er aus einer Karaffe
klares Wasser und setzte sich dann einen Augenblick hin, während
von draußen kühle Luft ins Haus strömte und die
erhitzten Steine sich langsam abzukühlen begannen. Mit der
Nacht war ein stärkerer Wind aufgekommen der von Westen her
über das Meer und das Schelf hinauf blies. Der Hauch von fernem
Regen war in der Luft zu riechen, aber es bestand wenig bis keine
Aussicht darauf, dass es in Bälde in Dahenn regnen würde.
Aber die Hoffnung blieb und verheißungsvoll türmten sich
am fernen Horizont im Westen, gerade noch sichtbar für Dahenns
Bewohner, die Streitmacht des Wassers am Himmel, um einen neuen
Feldzug gegen die Glut der Sonne zu starten. Und nur der Wind mochte
wissen, ob die Wolkenberge es bis zur Stadt der Lin schaffen würden
...
In Razzuns Traum
lieferten sich unaufhörlich nachrückende Wolkenkrieger,
gehüllt in matte, weiße Rüstungen und bewaffnet
mit Schlingen, aus denen sie große Kugeln voll Wasser auf
ihre Gegner schleuderten, eine Schlacht mit schmalen lodernden Flammenkriegern,
deren Schwerter ebenso feurig glommen wie sie selbst. Angetrieben
von ihren unsichtbaren Kommandanten stürzten sie sich aufeinander
und vergingen in Dampf und Rauch. Riesige Schleudern auf beiden
Seiten bewegten Wassermassen oder Feuer über das Firmament,
um in den gegnerischen Linien einzuschlagen und es war nicht absehbar,
wer in diesem Krieg der Elemente obsiegen würde.
Mit einem Male wurde es ruhiger, kühler. Die Flammen zogen
sich langsam aber stetig zurück und die Wolkenkrieger sammelten
sich, stiegen übereinander und rückten als eine gewaltige
Wand vorwärts, den Gegner endgültig zurückzudrängen.
Ein tiefes Grollen
holte Razzun aus seinem Schlaf! Erschreckt blickte er sich um. Es
war bereits dunkel, aber ein greller Blitz zerriss die Finsternis
der Nacht und tauchte seine Wohnung in ein bizarres Licht. Die Luft
war merklich abgekühlt und der Wind aufgefrischt. Verheißungsvoll
kündigte das ferne Gewittergrollen Regen an, aber noch verhinderte
die von der Wüste abgestrahlte Hitze das Vorrücken der
Wolken bis nach Dahenn.
Razzun rieb sich die müden Augen und rückte sich zurecht,
um gleich wieder einzuschlafen. Aber im nächsten Augenblick
fuhr er hoch und sein Herz setzte einen Schlag aus, als er unvermittelt
eine Hand auf seiner Schulter spürte. Erschreckt sprang er
aus seinem bequemen Sessel auf und wirbelte herum.
Ruhig, sagte ein Daykin tonlos und hob beschwichtigend
beide Hände.
Verdammt!, fluchte der Arzt und beruhigte sich augenblicklich.
Er schnappte nach Luft. In der Ferne schossen Blitze über den
Himmel und einen kurzen Moment später krachte es laut in der
Ferne. Wenn du mich umbringen willst, weck mich nur noch mal
so!
So schreckhaft?
meinte der Lin und zog die Kapuze vom Kopf, nachdem er lange Store
vor die Fenster gezogen hatte. Dann holte er aus einer Tasche in
seiner schwarzen Kluft eine kleine Kugel, die ein beständiges
mildes Licht produzierte hervor. Ich hab Shiniia in den Keller
gebracht. Kümmere dich um sie. Sirrfin legte die kleine
Kugel auf einem anderen Stuhl ab, trat einen Schritt zurück
und war verschwunden.
Razzun hasste diese Auftritte der Daykin, obwohl er noch nicht sonderlich
lange wusste, dass es sie überhaupt gab. Irgendetwas vor sich
hin brummelnd nahm er die Leuchtkugel auf, ging zur Vordertüre
und verriegelte sie. Dann nahm er sich die Türe zu der Gartenanlage
vor und machte sich auf die Suche nach der Kellertüre. Unter
der Treppe in die oberen Räume fand er die Türe, ging
vorsichtig hinab und fand eine Toilette sowie einen Waschraum, zur
Linken vernahm er ein leises Schnarchen und folgte diesen Lauten.
Im Dunkel des anschließenden Raumes lag die Elfe auf einer
provisorischen Liege und schlief fest. Die Atmung war regelmäßig,
das Fieber bereits leicht gesunken. Razzun wusste aber nur zu gut,
dass dies nur durch die Wirkung der Medizin erreicht worden war.
Er platzierte die Kugel so, dass er Shiniia untersuchen konnte.
Vorsichtig nahm er den verletzen Arm auf und begann damit, den Verband
zu lösen. Einmal öffnete sie kurz die Augen, blickte einen
Augenblick desorientiert umher, lächelte Razzun dann an und
schlief wieder ein. Der Verband war voller Eiter und der schmierigen
Paste aus Kräutern und Razzun verschwendete keinen Augenblick
damit, ihn reinigen zu wollen.
Es dauerte eine Weile, bis er neue Paste angerührt hatte und
den Verband erneuerte. Dann rührte er wieder ein Getränk
an und pürierte ein wenig Obst, weckte die Elfe und flößte
ihr sowohl den Obstbrei, als auch die Medizin ein.
Es dauerte eine
ganze Woche, bis er langsam das Schmerzmittel reduzieren konnte
und zuversichtlich war, dass Shiniia nicht sterben würde. Sirrfin
kam ein ums andere Mal vorbei, schickte andere Daykin fort und nahm
erst dann die Kapuze ab. Besorgt erkundigte er sich stets nach der
Elfe, ging dann in den Keller und verbrachte die Zeit seiner Wache
im Keller.
In all der Zeit
sprach Shiniia nicht viel, auch wenn Razzun sie auf die ein oder
andere Art aufzumuntern versuchte, bis sie eines Tages schlicht
verschwunden war. Nichts deutete darauf hin, dass sie jemals über
längere Zeit in seinem Haus gewesen war, um wieder zu Kräften
zu kommen. Seufzend sammelte er die nun überflüssigen
Verbände, Tinkturen und Geräte ein und trug sie nach oben,
wo er sie reinigte und in Regale oder Schränke verstaute. Der
Alltag des Arztes hatte ihn wieder und ob es nun Lin, Menschen oder
Elfen waren: Mit ihren Wehwehchen waren sie alle gleich und Dahenns
einzige Praxis quoll bald über vor Patienten.
Zwar wurde sein
Haus nach wie vor von ein, mitunter zwei Daykin bewacht, aber die
konnte Razzun nicht gut fragen, wie es der Elfe ging oder wo sie
gerade war. Erst eine Woche später fand er unvermittelt eine
große Kiste mit extrem seltenen Mineralien, Pulvern und Arbeitsgerät
sowie einigen seltenen Lehrbüchern in seiner Praxis wieder.
Das Leuchten in seinen Augen beim Durchstöbern der Kiste und
raschen Überfliegen der Seiten wurde in dem Funkeln eines Augenpaares
unter einer dunklen Kapuze erwidert. Razzun bemerkte weder das Kommen
noch das Gehen einer bestimmten Daykin, die schon im Gehen
zum ersten Mal in ihrem Leben Danke vor sich
hin murmelte.
Shiniia war offiziell von ihrem Auftrag mit der letzten Karawane
zurückgekehrt. Und mit ihr zwei Gestalten, denen der lange
Aufenthalt in der Wüste gar nicht gut bekommen war und die
ihren Auftrag inzwischen ziemlich persönlich nahmen: Pregrin
und Allur hatten es wirklich satt, dem Arzt weiter durch alle möglichen
wie unmöglichen Gegenden zu folgen und sie hofften in Dahenn
irgendwie zu erfahren, wohin er gereist war. Schon in der Karawane
hörten sie Gerüchte, dass es in Dahenn eine neue Praxis
und einen Arzt gab.
|