Die Ritter von Grande

 

So vorbehaltlos Kinder fremder Nationen und Zivilisationen auch aufeinander zugehen, egal wie tolerant wir auch sind, können die banalsten Zusammenhänge eine Katastrophe auslösen. Nicht, dass die menschlichen Siedler auf der fernen Welt Grande, schon ausreichend mit der instabilen Sonne gestraft sind, können die einheimischen Comouri sich nicht mit der Anwesenheit der Fremden anfreunden.

Veröffentlich in der im August 2007 erschienen Anthologie "Fur Fiction 2" über den Verlag Solar-X. ISBN-13: 978-3000223006.

 

 

 

Äkwinoks, die in düsterem Rot glühende, uralte Sonne Grandes, war kurz davor, den Zenit zu erreichen, während Ritter Kerwi aufmerksam die Wege abschritt, die zur Sicherung der Befestigungsanlage angelegt worden waren. Wege war, gelinge gesagt, maßlos übertrieben. Schmale Trampelpfade, die gerade ausreichten, genug Platz für den Ritter zu bieten, und es fiel ihm schwer, das dichte Gestrüpp zu überblicken. Immer wieder stand die letzte Bastion auf der Welt Grande unter Beschuss, wurde von den Bestien der Biesthorden angegriffen. Es war nur den wenigen noch verbliebenen Rittern zu verdanken, dass dieser Außenposten der Menschheit noch nicht vom Antlitz der Welt getilgt worden war. Jedenfalls sahen die Streiter für Recht und Ordnung dies so.

Kerwi schwitzte. Der Sommer hinterließ deutliche Spuren. Äkwinoks loderte immer wieder hell in einem Sonnensturm und sandte tödliche Strahlen für alle Kreaturen, die sich nicht rechtzeitig unter den üppig wuchernden Pflanzen, die sich den Bedingungen angepasst hatten, in Sicherheit brachten. Insgeheim wussten die Ritter dies, aber für die Öffentlichkeit war es eine Prüfung, und eine Strafe der Hohen. Grandes Ritter waren nur sich selbst verantwortlich und leisteten einen heiligen Eid auf den Schutz des Volkes; ihre ganze Kraft, Stärke und ihr Leben widmen sie dieser Aufgabe. Und dabei waren sie überaus erfolgreich. Jedenfalls bisher!

Ritter Kerwi kehrte zu der Befestigungsanlage zurück, die hoch in den mächtigen Bäumen angelegt war, und gab sich zu erkennen. Eine Strickleiter fiel herab und der junge Ritter machte sich auf, die gut vier Meter bis zum ersten Plateau zu überwinden. Die Anstrengung setzte noch mehr Schweiß frei, bis er schließlich die Plattform erreichte. Kerwi rang sich ein Lächeln ab.
"Es ist ruhig dort draußen", ließ er die anderen Ritter das Offensichtliche wissen. Denn wäre dort etwas gegen sie vorgerückt, hätte er Alarm geschlagen und wäre den Feinden zunächst einmal alleine zu Leibe gerückt.

Nomai, der Erste Ritter, nickte und wies die anwesenden Ritter mit einer knappen Geste an, den Versammlungsraum zu betreten. Es gab wichtige Dinge zu besprechen und für den Moment mussten sie darauf vertrauen, dass der Feind die Situation nicht ausnutzte und sie überraschend angriff.

Nomai voran, betraten fünf Ritter den niedrigen Raum, der unter den Baumriesen mit ihren dicken, fleischigen Blättern nicht nur Schutz vor der Witterung, sondern auch den Strahlen Äkwinoks' bot. Sie schritten an einer auf den Fersen sitzenden Person vorbei und nahmen im Halbkreis davor eine Sitzposition auf dem hölzernen Boden ein.

"Ich grüße euch, Ritter von Grande", wurden sie von dem Gast empfangen.

"Und ich grüße dich, werte Sana", erwiderte Nomai, während er es sich auf einem kleinen Kissen bequem machte. Die restlichen vier Ritter nickten lediglich kurz, denn es stand ihnen nicht zu, das Wort zu ergreifen, bevor der Erste Ritter die Versammlung offiziell eröffnet hatte. "Die Sitzung des Ritterkonvents von Grande möge beginnen. Äkwinoks Licht soll unsere Gedanken erhellen und unsere Feinde versengen!"

Alle Versammelten nickten und bekundeten mit einem schlichten Schlag der Linken auf das Heft ihres gegürteten Schwertes Beifall.

Die bislang schweigsame Person hob langsam beide Hände, deren Finger kürzer waren, als die eines Menschen und schlug die Kapuze eines Umhangs zurück. Wie die Hände, so war auch auf dem Kopf und im Gesicht ein kurzes, ockerfarbenes Fell zu erkennen, zwei katzenähnliche Ohren mit einem Fellbüschel an der Spitze, waren leicht nach hinten gelegt. Das kantig, eingefallen wirkende Gesicht der jungen Frau zeigte Aufmerksamkeit, aber auch ein gewisses Maß an Belustigung über den versammelten Männerclub. Die tiefroten und schlitzförmigen Pupillen, ihre hagere Gestalt und das gelblichbraune Fell auf der Haut wiesen sie als eine Eingeborene, eine Comouri, aus. Ihr Schwanz ruhte auf dem Boden, nur die Spitze zuckte dann und wann. Sie war von schlanker, nahezu dürrer Statur, aber dennoch wirkte sie keineswegs kraftlos und - die versammelten Ritter wussten dies - sie überragte alle um mindestens einen Kopf. Die wenigen Einheimischen auf Grande zeigten deutliche Unterschiede zu den körperlichen Merkmalen der Menschen, die sich vor geraumer Zeit hier angesiedelt hatten.

Ritter Jani rückte unruhig hin und her und fühlte sich unwohl beim Anblick seiner Liebsten. Ein offenes Geheimnis. Nur erwartete sie jetzt, dass die Ritter sie aufnahmen, sie als ihresgleichen betrachteten.

"Das ist unerhört!", schimpfte Ritter Naffu. "Der Orden der Ritter Grandes hat weder jemals eine Frau aufgenommen, noch einen Comouri! Es ist eine Schande, wie tief wir gesunken sind, dass wir überhaupt hier sitzen, um darüber zu reden, ob wir sie aufnehmen sollen oder nicht."

Jani warf Naffu einen giftigen Blick zu, sagte aber nichts. Der Erste Ritter setzte eine grimmige Mine auf und sah Ritter Naffu lange an, dann wandte er sich wieder an den Gast. Auch in seinen Augen war sie eine Schönheit und insgeheim beneidete er Jani, denn er kannte sie ebenfalls recht gut. Sana war gebildet, hatte keinerlei Vorbehalte gegen die fremden Siedler, welche die Menschen auf Grande nun einmal waren, und obendrein verstand sie es, witzig zu sein und scheute keine Arbeit und - dies lag in der Natur der Ureinwohner dieser Welt - sie kämpfte ausgezeichnet. Mit und ohne Waffen. Ihre Anwesenheit war schlicht betörend.

"Sana", begann der Erste Ritter, nachdem er sich geräuspert hatte, "bitte entschuldige Ritter Naffu. Er ist … wenig erbaut über deine Anwesenheit und noch weniger über das Anliegen, das ihr durch Ritter Jani an uns habt."

Sana nickte lediglich und ihr durchdringender Blick ruhte auf Naffu. Der sah schnell beiseite, denn er wusste nur zu genau, dass es auf Grande Kreaturen gab, die Gedanken lesen oder zumindest Gefühle erkennen konnten. Sie lächelte ein betörendes Lächeln und entblößte dabei ihre Fangzähne.

"Du musst keine Furcht vor mir haben, Ritter Naffu", konstatierte sie, ahnend, warum er so schnell zur Seite schaute, und wandte sich wieder ihrem Liebsten zu. Ihre Aussprache war nahezu akzentfrei. "Es würde mir nie einfallen, deine Gedanken zu lesen. Abgesehen davon ist es Aberglaube, dass wir Blickkontakt herstellen müssen, um Gedanken zu lesen."

Janis Blick ruhte in dem ihren und er schüttelte kaum merklich den Kopf, um sie zu warnen, nicht zu weit zu gehen. Naffu sah wieder auf, warf dann Jani und dem Ersten Ritter einen kurzen, aber vorwurfsvollen Blick zu. Sana unterdrückte mit Mühe ihre Amüsiertheit.

Der dickliche Ritter Kumaro war gerade dabei, eine Tüte mit Konfekt zu verspeisen und fing sich ebenfalls ein Kopfschütteln des Ersten Ritters ein. Der Blick führte allerdings nicht dazu, dass Kumaro ob der wichtigen Sitzung nun die Nahrungsaufnahme einstellte, sondern er grinste breit und stopfte weiter Süßigkeiten in sich hinein. Nomai schüttelte den Kopf erneut und wandte sich wieder an Sana.

"Da Ritter Jani für dich bürgt", fuhr der Erste Ritter fort, "haben wir kein Problem damit, dass ihr darum ersucht, ein Ritter von Grande zu werden. Immerhin ist dies die Welt der Comouri und wir haben die Biesthorden lange genug alleine für euch zurückgeschlagen, Verluste erlitten und uns aufgeopfert, diesen Außenposten sicher zu machen."

"Niemand hat euch darum gebeten", konstatierte Sana und ihr Blick fing den des Ersten Ritters ein. "Weder hat euch jemand gebeten, sich hier niederzulassen, noch habt ihr jemals um Erlaubnis gefragt."

Jani sah Sana an und fast wäre ihm die Kinnlade nach unten geklappt. "Sana ...", sagte er heiser.

"Das ist doch wohl das Letzte!", brüllte Naffu, sprang auf, die Hand an der Waffe, wurde aber von Nomai am Arm wieder zu Boden gezogen.

"Du verstößt gegen die Regeln, Ritter Naffu", kommentierte Sana ungerührt die Szene. "In der Halle der Versammlung dürfen keine Waffen gezogen werden. Ich bin aber gerne bereit, gegen euch anzutreten." Ihre Hand ruhte auf dem Heft einer leicht geschwungenen Waffe, wie sie für die Ureinwohner typisch waren.

"Ich …!" Naffu war außer sich und wäre beinahe auf Sana losgegangen, aber Jani stand bereits dazwischen.

"Wenn du sie anrührst, fängst du dir eine! Treib's nicht zu weit!" Die klare Ansage von Jani, der ansonsten sehr ruhig war und abwartete, ließ alle - außer Kumaro, der mit einem Teilchen mit Vanillequark beschäftig war - aufhorchen. "Entweder wir nehmen sie auf oder ich bin raus." Sana zog ihn mit sanfter Gewalt auf den Boden und Jani setzte sich, wandte seinen wütenden Blick aber nicht von Naffu ab.

"Entschuldige, Sana", murmelte Naffu und hockte sich ebenfalls wieder hin. "Das war ja nicht persönlich gemeint, aber hier und als Ritter …"

Nomai winkte ab und stand auf, holte ein besonders schön geformtes Zeremonienschwert, das bislang auf einer Truhe gelegen hatte und blieb vor Sana stehen. Dann legte er das Schwert auf ihre rechte Schulter und fragte: "Leistest du, Sana, den Eid, das Volk zu schützen und gegen alle Gefahren zu verteidigen, auch wenn dir der Tod gewiss ist?"

"Das schwöre ich", erwiderte die Comouri leise und lächelte.

Nomai hob das Schwert an und über ihren Kopf hinweg. Sanas Ohren zuckten unwillkürlich nach hinten und Kerwi konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Als das Schwert auf der linken Schulter ruhte, sprach er feierlich: "Dann, Sana, erheb dich als Ritter von Grande."

Die Ritter beglückwünschten Sana und es wurde ein kleines Fest mit Saft und Resten von Kuchen und Plätzchen gefeiert, wobei Kumaro am meisten verdrückte und sich auch durch spöttische Kommentare nicht bremsen ließ. Wenig später erinnerte man sich an die Pflichten, stieg die Strickleiter hinunter und überließ den dicklichen Ritter der Aufgabe, die noch verbliebenen Kekse zu vernichten und die Festung im Auge zu behalten.

Mit aller gebotenen Vorsicht schlichen die Ritter durch das Gestrüpp, spähten mal hier, dann wieder dort aus einer Deckung hervor, konnten aber nichts ausmachen. Sie schwitzen unter ihren Rüstungsteilen, lediglich Sana machte die Hitze des Tages nichts aus. Sie war aufmerksam, angespannt, unterhielt sich mit Jani nur ein wenig und dabei ging es um die Familien, die wohl beide nicht guthießen, dass die beiden zusammen waren. Plötzlich stürmte der Erste Ritter plötzlich los, angetrieben vom Gedanken, möglichst viele der Biester zu töten, die ohne Vorwarnung vor ihnen aufgetaucht waren. Die Waffen wurden gezogen und unter lautem Gejohle und Geschrei lief der Angriff ab, Sana zeigte dabei ein wenig von der geschmeidigen Kunst, mit der ihr Volk zu kämpfen wusste und den Rittern war klar, dass sie besser nicht in ihre Reichweite kamen, wenn sie mit Messer und Krallen zu Gange war. Wenig später war der Spuk vorbei und die Biester tot oder geflüchtet, eines wurde durch einen Pfeil niedergestreckt, den Naffu mit seiner kleinen Armbrust abgeschossen hatte. Keuchend, aber siegreich machten sich die Ritter auf den Rückweg.

Kurz bevor sie die Festung erreichten, hielt Sanna an, die Ohren zuckten ein wenig und sie blickte zum Himmel auf, der zwischen den Bäumen kaum zu sehen war.

"Flare", stellte sie sachlich und emotionslos fest. Alle wussten was das bedeutete. Bald würde eine Welle von Strahlung, freigesetzt durch eine Eruption auf der Oberfläche der uralten Sonne, über Grande fluten und alles Leben im Freien tödlich treffen. Sie hatten um die acht Minuten Zeit und deshalb eilten sie sich, die sichere Behausung zu erreichen. Wenig später heulten die Warnsirenen der menschlichen Siedlung auf, um die Bevölkerung zu warnen. Sana warf den Rittern einen triumphierenden Blick zu, während sie am Boden die Strickleiter festhielt, um das Hinaufklettern zu erleichtern. Nur Jani grinste zurück und erklomm als Letzter vor Sana die Plattform.

In der Versammlungshalle hatte Kumaru die Fenster bereits gesichert, der Ausgang war so gebaut, dass Äkwinoks nie hineinschien. Hoch oben begannen die Bäume damit, ihre riesigen Blütenkelche zu schließen und die fleischigen Blätter einzurollen, um sich vor dem kommenden Ereignis zu schützen. Überall auf Grande flohen Lebewesen in den Schutz der Höhlen und Behausungen oder stellten sich hinter die Stämme der Baumriesen.

Mit einem Mal wurde es heller und hier und dort waren Angstrufe verschiedener Kreaturen zu hören. Entweder, weil sie Angst vor der Ungewissheit hatten oder fürchteten, sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen zu können. Für nahezu drei Minuten kam das Leben auf Grande zum Erliegen und die Schreie verhallten, dann erlosch die Strahlung und Äkwinoks lieferte normales, ungefährliches Licht, wie schon viele Millionen Jahre lang. Grandes Sonne war in die Jahre gekommen und näherte sich einem instabilen Stadium.

Aus der nahen Siedlung hörte man zunächst das Aufheulen der Sirenen zur Entwarnung, dann ein klangvolles Geräusch, welches ankündigte, dass das Essen fertig war. Da den Rittern sowieso schon der Magen knurrte, legten sie ihre Waffen ab und kletterten auf den Boden.

"Äh, Sana ...", begann Nomai, wurde aber von Jani unterbrochen.

"Wir bleiben hier", stellte er fest und meinte Sana. "Vielleicht bringt ihr was mit, wenn ihr zurückkommt?"

"Kein Problem", feixte Kerwi, "wir schieben es auf Kumaro, der uns sonst vor Hunger stirbt."

Alle lachten, Kumaro eingeschlossen, denn es machte ihm absolut nichts aus, dick zu sein und dann und wann den Spott der anderen auf sich zu ziehen.

"Ich frag erst mal …", setzte der Erste Ritter noch hinzu, dann marschierte die Truppe ab und ließ Sana und Jani zurück. Und die beiden grinsten sich an und tuschelten miteinander.

***

Die Gruppe um Nomai betrat die Veranda eines flachen Gebäudes und ging in die Küche. Der Tisch war bereits gedeckt und Nomai zählte schnell die Teller durch, dann erhellte sich sein Blick.

"Isst Papa heute nicht mit uns?" Nomai sah seine Mutter an, während es sich Naffu, Kerwi und Kumaro schon einmal bequem machten.

"Nein, Herr Ritter", Miara tätschelte ihrem Sohn lächelnd den Kopf. "Er musste zur Arbeit an einer der Überlandleitungen und ist ganz sicher nicht vor heute Abend zurück. Wo habt ihr Jani gelassen?" Sie sah zur Veranda hinaus.

"Naja", Nomai stand neben seinem Stuhl und hielt sich fest, um sich zu wappnen, denn die nächste Frage mochte Ärger ungeahnten Ausmaßes heraufbeschwören. "Er ist mit Sana draußen ... Ich meine, kann sie mit uns essen?"

"Sana?" Miara runzelte die Stirn und stellte schon mal eine abgedeckte Schüssel auf den Tisch, die sogleich von dem stets hungrigen Kumaro inspiziert wurde. "Ist sie neu in der Sied... Oh, warte mal." Der Blick der Mutter ruhte auf ihrem Sohn.

"Sie ist eine Comouri ..."

Miara seufzte, als das Offensichtliche klar wurde. "Dein Vater legt dich übers Knie und ich krieg den größten Ärger."

"Er ist doch gar nicht hier." Nomai versuchte es weiter und setzte diesen Blick auf, den nur verzweifelte Kinder beherrschen und der die Eltern in noch mehr Verzweiflung zu versetzen in der Lage ist.

"Können wir anfangen?", verlangte Kumaro zu wissen. "Ich sterbe vor Hunger." Drei Jungen erinnerten ihn daran, was er alles den ganzen Morgen über schon in sich hinein gestopft hatte. Kumaro quittierte dies mit einem schlichten "Ja und?"

"Okay", Miara seufzte erneut. "Kumaro, geh und hol Jani und diese Sana. Je schneller du wieder zurück bist, um so eher gibt es was zu essen." Das Lächeln und der dankbare Blick ihres Sohnes reichten aus, um sie den potenziellen Ärger vergessen zu lassen.

Kumaro sprang auf und stürmte los, als sei eines der imaginären Biester hinter ihm her, die sie am Rand des Waldes als tapfere Ritter bekämpften. Nur leider hatte er gerade sein Holzschwert nicht bei der Hand, um dem Monster den Garaus zu machen. Er eilte auf das Baumhaus der verschworenen Gemeinschaft zu, doch weder Sana noch Jani waren zu sehen. Vermutlich hatten sie sich ins Innere der Behausung verzogen, wo es schattiger war. Außerdem lag dort auch noch eine Dose mit Keksen, erinnerte sich Kumaro.

"Jani!", brüllte er aus voller Kehle. "Sana! Ihr könnt reinkommen."

Auf der Plattform rührte sich etwas und mit einem agilen Sprung landete Sana auf allen Vieren kurz vor Kumaro. Mit einem kehligen Knurren richtete sie sich auf und das Herz des Jungen setzte erst einmal für zwei Schläge aus, begann dann zu rasen. Sanas Mund und das halbe Gesicht waren rot verschmiert, selbst die Hände zeigten deutliche Spuren. Sie fletschte die Zähne und Kumaro nässte sich ein, dann machte er, so flink er konnte, auf dem Absatz kehrt und rannte schreiend Richtung Haus davon.

Sana lachte und schlug sich auf die Schenkel.

"Sie hat ihn gekillt!" Kumaro hatte die Veranda fast erreicht. "Sie hat Jani gefressen!" Der entsetzte Junge stolperte die fünfstufige Treppe hinauf, fiel hin und landete in der Eingangstür, umrundet von den anderen Rittern und der Mutter des Ersten Ritters. Für einen kleinen Moment dachten sie an einen Spaß, aber dann sahen sie das Entsetzen, und dass Kumaro sich bepinkelt hatte. Miara zögerte keine Sekunde, denn in gut fünfundzwanzig Metern Entfernung stand eine Comouri und lachte sich offensichtlich tot, griff über die Tür und brachte das Gewehr in Anschlag, das dort außerhalb der Reichweite von Kindern angebracht war. Kumaro kroch wimmernd ins Haus.

Die Gefahr erkennend, sprintete der erbleichte Jani hinter einem nahen Baum hervor, von wo aus er den Scherz verfolgt hatte, und ruderte mit den Armen in der Luft. "Es war nur …"

Sana wischte sich das Gelee aus dem Gesicht, sah die Bedrohung nicht und während Jani sprang, um sie zu Boden zu reißen, brach der Schuss.

"… Spaß!" Das Geschoss schlug in Janis Rücken ein und riss den Jungen und dahinter Sana mit voller Wucht von den Beinen. Ein letztes Röcheln. Er war tot, daran bestand kein Zweifel. Sana blickte schockiert in die leeren Augen ihres Freundes.

Zunächst - aber wirklich nur für einen kleinen Augenblick - war da Fassungslosigkeit, dann übernahm die Rage das Kommando und die Instinkte die Steuerung. Mit einem bösartigen Knurren wuchtete sie den leblosen Körper weg, rollte sich zur Seite und sprang auf. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie daran, zu fliehen, aber dann kamen Krallen zum Vorschein und sie sprintete auf allen Vieren los, um die kurze Distanz zum Haus zu überwinden.

Miara war zu entsetzt, um zu reagieren. Sie hatte schon einmal Comouri bei einem Angriff erlebt und wusste, dass sie bei einem Nahkampf nicht den Hauch einer Chance hatte. Auch wenn Sana noch sehr jung war, kannte sie die Kampftechniken ihres Volkes gut genug, die so überlebenswichtig auf Grande waren. Mit einem Schlucken versuchte sie, die Waffe zu laden, aber in dem Moment war es bereits zu spät. Sana nutze die Kraft des Sprungs und kam leicht geduckt über Miara, den Vorteil nutzend, dass sie durch den kleinen Höhenunterschied zur Veranda von unten angreifen konnte. Eine Klaue fuhr ihr rasch über die Kehle, während sich die andere unterhalb des Brustbeins ins Fleisch senkte. Die Wucht des Aufpralls ließ die Frau straucheln und hinterrücks an die Wand der Veranda prallen, dann glitt sie zu Boden, während Sana ihr Werk mit einem Biss in die Kehle vollendete.

Nomai war auf die Knie gesunken und totenbleich, Naffu wusste nicht, was er tun sollte und Kerwi rannte ins Haus um sich zu verstecken, während Kumaro noch immer wimmernd und heulend in der hintersten Ecke der Küche auf dem Boden lag.

Sanas Blick, irre vor Wut und Blutrausch, das Fell wie Stacheln aufgerichtet, heftete sich auf den noch stehenden Naffu, nachdem sie Nomai nicht mehr als Bedrohung einstufte.

"Bitte nicht", flehte er heiser. "Bitte …" Tränen standen ihm in den Augen im Angesicht des sicheren Todes.

Sana blieb halb geduckt, bereit zum Sprung, der das Ende bedeuten würde. Dann zuckte sie und blinzelte, ohne dabei ihre Gegenüber aus den Augen zu lassen.

"Flare", fauchte sie, drehte sich herum und rannte los, zurück in die Sicherheit der tiefen Wälder in denen noch kein Comouri je von einem Menschen gefunden, geschweige denn gestellt worden war.

Einen Augenblick später kündigten die Sirenen der Siedlung eine weitere Eruption mit Strahlung an. Äkwinoks hatte zur Abwechslung Leben gerettet. Vorläufig.

© 12. Dezemebr 2006