Die
Sytyn dr'Ygolar, die Hohen und Heiligen Schriften der Wakanéé
und Séhéta, schreiben das Jahr 188 eines Zyklus, den
die Elfen später das 'Zeitalter-der-Tränen' und die 'Zeit-der-Talmas'
nennen werden. Die Stämme verschiedener nomadisierender Menschen
streunen im Osten von Ur umher und versuchen mühselig, sich
gegen die dominanten Elfen durchzusetzen und ihnen wenigstens einen
kleinen Flecken abzutrotzen.
Doch die Elfen der Südländer plagen andere Probleme, denn
die Séhéta unterlagen den finsteren Mächten vor
nunmehr achtundsiebzig Jahren. Die Anführer dieser unseligen
Horden aus dem benachbarten Lilinu sind die Talmas, Steingeister
die ungeheuer mächtige Magie bewegen können. Diese Talmas
etablieren sich weiter in Lilinu und es steht zu befürchten,
dass sie entweder über Eriu'ur im Westen herfallen oder aber
die Länder Urs heimsuchen.
Die Menschen könnten sich einigermaßen sicher wähnen,
wenn sie nicht den Fehler gemacht hätten, die Zwergenreiche
im Norden des Pittanmassivs anzugreifen. Sturheit und Unnachgiebigkeit
der Zwerge führte dazu, dass eine gewaltige Streitmacht dieser
kleinwüchsigen Rasse die Menschen gnadenlos auszurotten versuchte
und auch vor den Grenzen der Elfenreiche nicht halt machte. Hätten
die verschiedenen Führer der Menschen gewusst, dass die Alassar-Elfen
Verträge mit den Zwergenherrschern hatten, die ihnen dieses
Verfolgen gestatteten, wären sie sicher nicht nach Ur gekommen.
Ihr einziger Fluchtweg, der Rovsteig zur Acheuel-Wüste hin,
war bereits durch eine weitere aus dem Osten anrückende Streitmacht
der Zwerge blockiert, im Norden eilte ein sehr rachsüchtiger
Kriegstain der Zwerge namens Gubgrulum mit seinen Männern heran
und im Süden befand sich eine gut bewachte und gesicherte Grenze,
da man auf diesem Wege nach Ogywyen und damit ins Herz der Elfenreiche
in den Südländern gelangte.
Die verschiedenen Gruppen der Menschen taten das einzig vernünftige,
indem sie sich zu einem großen Heer zusammenschlossen und
einem Mann folgten, dessen Charisma alle für sich einnehmen
ließ. Außerdem war er der erfolgreichste Führer
einer recht großen Gruppe, die Gubgrulum schon so oft arg
zugesetzt hatte, dass der Hass des Zwerges sicher nicht unbegründet
war. Der Name dieses Menschen war Keseneites, ein Name, den so manchen
Zwerg bis zur Weißglut reizen konnte!
Die
von den Elfen in Rovanessanar tolerierten Menschen hatten viele
Siedlungen angelegt, einen eigenen Herrscher gewählt und nannten
das Gebiet Rovan. Rovan zahlte Steuern an die Alassar und genau
deshalb wurden sie offensichtlich in Ruhe gelassen. Die Menschen
zeigten sich ebenso tolerant und die in Rovanessanar lebenden Waldelfenstämme
und -gruppen kamen mit den Menschen gut zurecht. Streit gab es kaum,
aber jetzt wurde diese Idylle von den sich nähernden Truppen
der Zwerge bedroht. Es war klar, dass die Zwerge und ganz besonders
Gubgrulum! keinen Unterschied zwischen den streunenden Gruppen der
Menschen und den friedlichen Dorfbewohnern machen würden, wie
es klar war, dass die Alassar ganz sicher nicht einmal auch nur
einen Bogenschützen zum Schutze der Menschen schicken würden.
So wurde Keseneites und sein gewaltiger Anhang die erste offizielle
Streitmacht Rovans!
Die
Heere prallten in den Wäldern der rovanischen Ebene zwischen
Ygjegy und Argenon zusammen. Es fanden unerhörte Gemetzel statt,
die später in historischen Berichten als ungeheuerliche Schlachten
und nicht einmal mehr als Krieg bezeichnet wurden, obwohl diese
Umschreibung die begangenen Gräuel noch in den Schatten stellte.
Aber dann bissen sich die Truppen an einer Furt des Quellenweges
durch den Zy'à'émrohyl, der später von den Menschen
Argenon genannt wurde, fest. Die Menschen saßen in den Wäldern
und Auen auf dem westlichen Ufer, während sich Gubgrulum mit
seinen Mannen auf dem östlichen Gebiet eingrub.
Völlig sinnlose Gemetzel färbten die Wasser des Flusses
oftmals rot, bis erbleichte und entsetzte Kundschafter der Elfen,
dem Hochkönig im fernen Talys-Nessen von diesen Gräueln
berichteten. So entsandte dieser Botschafter nach Gryndra, dem Sitz
des Zwergenherrschers und auch nach Kasnor, dem Sitz des selbstgewählten
Regenten der Menschen in Rovanessanar. Die Elfen versuchten zu vermitteln,
aber zunächst einmal kam dabei nichts zustande. Doch dann drohte
der Elfenkönig damit, die Verträge mit den Zwergen zu
kündigen und die Menschen aus seinen Ländern hinauszuwerfen,
wenn diesem sinnlosen Abschlachten nicht ein Ende gemacht würde!
Die Drohung zeigte Wirkung und Menschen und Zwerge sprachen sich
in Talys-Nessen aus. Es wurde ein Friedensvertrag geschlossen, in
dem auch das Gebiet Rovanessanars endgültig an die Menschen
abgetreten wurde.
Doch
Verträge, die diejenigen schließen, die sich nicht seit
Jahren und Jahrzehnten befeindet haben, sind nur so viel wert, wie
das Papier, auf dem sie geschrieben sind! Gubgrulum hatte nie die
Absicht, sich an etwas derartig perverses zu halten. Für ihn
waren die Menschen der Abschaum, der vielleicht zur Verrichtung
der schmutzigen Arbeiten in den Minen taugte! Ganz sicher aber galt
ihnen - und insbesondere Keseneites - sein unabänderlicher
Hass und die Absicht, die Menschen vom Antlitz dieser Welt zu vertilgen
...
***
"Verdammt noch mal, Kes!" der Hauptmann war völlig
außer sich. "Was machen wir hier eigentlich? Wir kommen
seit Monaten nicht von hier weg."
"Beruhige dich bitte, Jabel", beschwichtigte der hünenhafte
Keseneites und legte seine Pranke auf die linke Schulter des Mannes.
"Ich sehe, was vor sich geht und ich weis, dass dieser vermaledeite
Zwerg nur darauf wartet, dass wir uns bewegen. Wir sitzen hier wie
das Gaya inmitten einer Horde Ridibus und wissen nicht genau, wann
uns eines der Viecher die Augen aushacken wird. Wir haben gegen
die versammelten Heere von Gubgrulum in offenem Gelände nicht
auch nur andeutungsweise eine Chance!"
"Aber es sind wieder weit über hundert Tote zu beklagen!
Der Angriff in der Furt ...", der Hauptmann schluchzte. "Aber
wenigstens haben unsere Männer mehr Zwerge in den Boden gestampft,
als Gubgrulum lieb sein kann. Sie werden es auch langsam müde."
"Glaube mir, Jabel, es ist Gubgrulum vollkommen egal, wie viele
seiner Leute draufgehen. Er ist nicht derjenige, der die Toten zählt,
sondern lediglich schaut, dass er noch genug Leute hat, um uns auszurotten.
Und zahlenmäßig kann er uns allemal fertig machen! Wir
müssen an dieser verdammten Furt bleiben und darauf hoffen,
dass die Alassar irgendwie einen Vertrag zustande bringen, der uns
die Zwerge vom Halse hält."
"Es wäre einfacher, wenn die Langohren mit einem vernünftigen
Heer anrücken!" sagte Jabel bitter. "Die Zwerge werden
sich nicht mit denen anlegen wollen."
"Überlege doch einmal", Keseneites sah seinen schmutzigen
und verletzten Hauptmann müde an, "warum die Elfen das
für uns tun sollten? Wir sitzen in ihren Ländern und haben
sie vorher nicht einmal gefragt, ob wir hier siedeln dürfen.
Jabel, erinnerst du dich daran, dass wir alle streunende Räuberbanden
waren? Dieser Ratsherr in Kasnor hat uns irgendwann einmal gesagt,
wir wären jetzt die Landesverteidigung! Jabel, was oder wen
verteidigen wir eigentlich? Wir haben kein Land, dieser Mensch in
Kasnor ist nicht der Regent von irgendwas, sobald den Alassar einfallen
sollte, wir würden sie hier stören. Lass die Elfenheere
wo sie sind, sie könnten genauso gut gegen uns eingesetzt werden.
Und was das bedeuten würde, brauche ich dir sicher nicht zu
erklären! Eine solche Schlacht würde nicht einmal einen
Tag dauern!"
"Es kann diesem Wirrkopf von einem Zwerg doch jederzeit einfallen,
über die Siedlungen herzufallen. Kes, was sollen wir denn nur
tun?"
"Wir werden hier sitzen und warten", entgegnete der frustrierte
Heerführer, "denn ich habe schon einmal gesagt, dass Gubgrulum
uns auf dem offenen Feld nicht nur zahlenmäßig weit überlegen
ist. Er hasst die Wälder und Zwerge hassen Wasser, also bleiben
wir an dieser Furt. Wenn es ihm einfällt, die Siedlungen anzugreifen,
kann ich es nicht ändern. Aber ich bin sicher, dass er sich
voll und ganz auf uns konzentriert, denn in seinem kranken Hirn
habe ich ihn alleine bloßgestellt. Er wird nicht eher Ruhe
geben, bis er mich erwischt oder sein eigener König ihn zurückpfeift.
Und dass, bei allen Göttern Jabel!, wird hoffentlich bald geschehen,
denn sonst, Wald und Wasser hin oder her, wird Gubgrulum uns einfach
niedertrampeln!" Heerführer und Hauptmann verließen
das Zelt, um sich unter ihre Männer zu mischen, die Verwundeten
zu besuchen und den Verzweifelten Mut zuzusprechen. Und leider auch,
um wieder einmal festzustellen, wie viele heute wieder fahnenflüchtig
waren ...
Wer
Gubgrulum kannte, wusste nur zu genau, dass eine sogenannte Lagebesprechung
ganz sicher nicht dazu diente, dass irgendjemand außer dem
Kriegstain den Mund hätte aufmachen dürfen. Wenn Gubgrulum
anwesend war, sprach Gubgrulum! Der Rest durfte zuhören oder
ansonsten günstigstenfalls damit rechnen, hinausgeworfen zu
werden. Dennoch war an diesem Tag alles anders und die in der rauen
Sprache der nordischen Zwerge geführte Debatte erregte die
Gemüter der Anwesenden.
"Bei den Höhlen von Gryndra!" brüllte der Kriegstain
und alle anderen Anwesenden verstummten. "Wollt ihr wohl endlich
ruhig sein! Euer Gewäsch raubt einem den Verstand. Wenn noch
einmal jemand in Erwägung zieht, diese Menschenbastarde abziehen
zu lassen, werde ich ihn als Verräter hinrichten lassen. Mit
Freude werde ich das Beil selbst schwingen!"
"Aber Hochkönig Ameratat verhandelt mit diesem Menschen
in Kasnor, den sie ihren Führer nennen und ..."
"Es ist mir vollkommen egal", schrie Gubgrulum und ergriff
den Sprecher am Kragen, "was der senile Ameratat im Süden
treibt! Unser König ist Harvatut von Hug-R-Zelam und der hat
mich beauftragt, diese Menschen auszurotten."
"Hat er nicht!" fiel einer der jüngeren Hauptleute
dem Heerführer ins Wort und die umstehenden Zwerge wurden bleich,
wenn sie daran dachten, was gleich geschehen würde.
"Was!?" Gubgrulum kochte vor Wut und sein Gesicht wurde
krebsrot.
"Ich sagte", wiederholte der Zwerg ruhig, "dass er
nicht gesagt hat, dass ihr sie ausrotten sollt. Er sagte lediglich,
dass ihr alle Vollmachten habt, den Horden eine Lektion zu erteilen,
die sich an unserem Eigentum vergriffen und uns überfallen
haben. Vergesst nicht, dass ich ebenfalls einen Clan anführe
und bei der Audienz zugegen war!"
"Das ist Hochverrat!" die Stimme des Kriegstains überschlug
sich fast. "Verdammt, dafür werde ich euren Kopf abschlagen
lassen!"
"Dazu habt ihr kein Recht", konterte der junge Zwerg und
wurde selbst langsam ärgerlich, "und irgendjemand muss
euch langsam einmal sagen, dass euch niemand beauftragt hat, sämtliche
Clans zu führen. Außerdem habt ihr auch als Kriegstain
nicht die Vollmacht, Recht im Namen des Königs zu sprechen."
"Dann spreche ich eben in meinem Namen Recht! Schluss jetzt!
Ich bleibe dabei, dass wir in der Nacht angreifen und damit befehle
ich euch, dass ihr jetzt verschwindet und mich in Ruhe last."
"Ein solcher Angriff ist ebenso absurd", gab der Jüngere
keine Ruhe, obwohl er einen Ellbogen in seinen Rippen spürte,
"wie es all die anderen vorher auch schon waren. Wir sitzen
hier in einer Position, die Keseneites erlaubt, uns gegen ihn anrennen
zu lassen, ohne einen entscheidenden Erfolg verbuchen zu können.
Wenn wir abziehen, wird er sich vielleicht aus diesen Wäldern
fortbewegen und wir können ihm eine Falle stellen."
"Quatsch!" tobte Gubgrulum. "Dieser Oberbastard wird
sich keinen Finger breit aus diesem Wald bewegen. Das ist keine
reguläre Armee, sondern ein Zusammenschluss von streunenden
Räubern und Meuchelmördern. Wenn es euch gefällt,
Clanlord Avaksain, verzieht euch mit eurem armseligen Haufen. Aber
verschont mich mit eurem kindischen Gewäsch! Wir werden siegen,
wenn es an der Zeit ist. Und, bei Key-eyx!, ich schwöre euch,
dass wir uns über eure Vermessenheit vor Harvatut unterhalten
werden. Raus jetzt hier!"
Murrend und meckernd verschwanden die Clanlords und Gruppenführer,
während Avaksain im Zelt verblieb. Gubgrulum funkelte ihn böse
an.
"Was noch?" maulte er überreizt. "Wollt ihr
mir noch mehr meiner kostbaren Zeit stehlen? Spekuliert ihr darauf,
dass ich euch den Kopf nicht abschlagen lasse, nur weil ihr ein
Clanlord seid?"
"Nein, Lord Kriegstain Gubgrulum", Avaksain benutzte mit
ironischem Unterton den vollen Titel seines erheblich älteren
Gegenüber und grinste ein wenig, "genau daran zweifle
ich nicht eine Sekunde. Aber ihr habt sicher subtilere Methoden,
einen unliebsamen Gegner aus dem Wege zu räumen. Ich denke
an meinen Freund Gwinndrud und an einige, die ich weniger gut kannte.
Sie alle hatten etwas gemeinsam, da sie gegen euch opponierten.
Darüber werden wir uns in der Tat vor Harvatut unterhalten
müssen." Er wandte sich zum Gehen, blieb jedoch am Ausgang
noch einmal stehen und sah den kurz vor der Explosion stehenden
Gubgrulum fest an. "Und denkt dann, großer Kriegsmeister,
dass ich stets unter meinesgleichen schlafe und von heute an mein
Essen selbst zubereite. Des weiteren wird Clan Biaute morgen abziehen!
Gute Nacht."
Gubgrulum konnte nicht fassen, was sich dieser Schnösel erlaubte
und tobte in seinem Zelt herum, bis er alles kurz und klein geschlagen
hatte, was es zu zerschlagen gab. Der große Heerführer
blieb schließlich auf seinen Knien liegen und hieb wieder
und wieder mit beiden Fäusten auf den Boden ein, bis er mit
irre funkelnden Augen und Schaum vor dem Mund in Berserkerwut aus
dem Zelt tobte und in die nahen Wälder stürzte. Dort erging
er sich in ausufernden Beschimpfungen und zerfetzte kleine Gewächse,
während sich alles Getier schnellstmöglich in Sicherheit
brachte. Die Wachen ließen ihn gewähren und auch alleine
in den Wald stürzen. Niemand hätte sich Gubgrulum in seinem
Zustand in den Weg gestellt! Jedenfalls niemand, der auch nur andeutungsweise
seine Sinne noch beisammen hatte.
Noch
anderthalb Stunde dauerte der Tobsuchtsanfall, bis Gubgrulum einigermaßen
ermattet an einem kleinen Teich ankam und am Rande zusammenbrach.
Er trank ein wenig, musterte dann die gekräuselte Oberfläche
und schließlich umspielte ein mildes Lächeln seine Lippen
und verlieh seinem harten Gesicht einen noch irrwitzigeren Ausdruck.
Dann wartete er mit einer Geduld, die sein sonstiges Temperament
Lügen strafte, darauf, dass die Oberfläche des Teiches
sich wieder glättete. Als dies endlich geschehen war, lehnte
sich der Kriegstain über die Wasseroberfläche und betrachtete
schmunzelnd sein Gesicht. Dann begann er in einer sehr dumpfen und
merkwürdigen Sprache einen rauen Singsang zu intonieren und
wartete. Eine unnatürliche Düsternis umfing den Teich
und die nähere Umgebung und Gubgrulum fror ein wenig, ob der
massiven Kälte ringsumher. Die Oberfläche des Teiches
gefror schließlich und die Eisschicht wurde dicker und dicker.
Dann tauchte eine Gestalt in dem Wasser darunter auf, die zu schlafen
schien und plötzlich entsetzt erwachte.
Clanlord Avaksain befand sich inmitten eines eiskalten Teiches und
über ihm winkte ihm Gubgrulum freundlich zu. Welch ein Alptraum!
Der Clanlord strampelte sich aus seiner Decke - was er in der Tat
auch im Lager bewerkstelligte - und wollte atmen. Es strömte
eisiges Wasser in seine Lungen und er hustete und spuckte im Lager
Wasser aus, während seine Krieger und Freunde ihn zu wecken
versuchten, um zu erfahren, was mit ihm los sei. Doch der Griff
des Alptraumes war stärker und hielt den Clanlord in dem Teich
gefangen! Avaksain versuchte aufzutauchen, stieß aber gegen
eine massive Eisschicht, auf der jetzt der Kriegstain laut lachend
stand und auch noch mit seinen schweren Stiefeln darauf herumstampfte.
Die Eisschicht bekam nicht einmal andeutungsweise einen Knacks!
In einem letzten Aufbäumen schlug Avaksain mit seinem Schädel
gegen die Eisschicht und Blut strömte völlig unerwartet
aus eine großen Platzwunde auf der Stirn, während sich
seine Leute und ein Heiler im Lager nicht erklären konnten,
was überhaupt vor sich ging.
Auf die Idee, dass es sich um einen magischen Alptraum handelte,
kam Avaksain nicht, denn sonst hätte er sich sicherlich darauf
konzentriert endlich aufzuwachen. So ertrank er, inmitten seiner
Freunde und Clanmitglieder auf trockenem Land in der Nacht, bevor
der entscheidende Schlag gegen die Menschen geführt werden
sollte.
Gubgrulum konnte sich vor Freude kaum noch einkriegen, als er die
Alptraumvision langsam verblassen lies und sich auf den Rückweg
machte. Er fand das Lager in Aufruhr und ordnete gleich an, dass
es etwas gesitteter zugehen könnte, auch wenn er sich zu einem
Spaziergang im Wald befand. Gubgrulum begab sich zum Lager des Clans
Biaute und fand dort alles in großem Durcheinander. Er verschaffte
sich mit harschen Worten Ruhe und sorgte für eine Art Ordnung,
die zwar nicht seinen Vorstellungen entsprach, aber immerhin dafür
Sorge trug, dass ihm die notwendige Beachtung zuteil wurde. Ein
Heiler erklärte dem Kriegstain, dass der Clanlord auf dem trockenen
Land offensichtlich ertrunken sein musste. Hier und dort hörte
Gubgrulum unterschwellige Anschuldigungen gegen ihn, wussten doch
alle nur zu gut, dass sich ihr oberster Kriegsherr in frühen
Tagen bereits mit der praktischen Magie beschäftigt hatte und
dabei vor den übelsten Dingen nicht zurückgeschreckt war.
Es ging das Gerücht, dass er den König bedroht hatte und
dadurch seinen Posten als Heerführer erhalten hatte. Gubgrulum
war alles andere als eine Autorität auf dem Gebiet der Kriegskunst.
Gubgrulum ordnete eine Trauer an, sprach sein Mitgefühl aus
und marschierte darauf zu seinem Zelt, um sich endlich zur Ruhe
zu begeben. Er instruierte die Wachen, dass Lager der Biautes zu
umstellen und niemanden heraus zu lassen.
In seinem Zelt fand er allerdings statt der erwähnten Ruhe
einen Botschafter in den dunklen Farben der Zwerge des Südens
vor und er runzelte die Stirn ob dieser Unverfrorenheit.
"Was, bei Key-eyx, ... ", begann er, wurde aber mit einer
raschen und herrischen Handbewegung zum Schweigen gebracht.
"Seid ihr Lord Kriegstain Gubgrulum?"
"Ja und ..."
"Ich bin Lordmeister Apulaksar", unterbrach der Fremde
und erhob sich von einem noch einigermaßen intakten Stuhl,
"Gesandter unseres großen Hochkönigs Ameratat mit
einem Befehl für euch."
"Was fällt euch eigentlich ein?" brüllte Gubgrulum
wütend und vergaß seine gute Laune augenblicklich. "Von
euch Feiglingen hat sich nicht ein einziger in den vergangenen Jahren
hier blicken lassen! Wir kämpfen seit Jahren gegen diese räuberischen
Bastarde und haben herbe Verluste hinzunehmen und jetzt kommt ihr
anstelle einer Armee, um mir Befehle zu erteilen! Wer hat euch hier
überhaupt hereingelassen? Macht euch davon, ihr ..."
""Halt!" auch Apulaksar war jetzt ernsthaft wütend,
denn so hatte noch niemals jemand mit dem offiziellen Repräsentanten
des Hochkönigs gesprochen. "Gubgrulum, ihr seid wohl von
Sinnen, wie? Wollt ihr die Befugnis von Ameratat, unserem geliebten
Hochkönig, euch Befehle zu erteilen, etwa in Frage stellen?
Dies wäre Hochverrat!"
"Hochverrat?" kreischte der Zwerg und es hätte nicht
viel gefehlt und er hätte die Kriegsaxt ergriffen, um den Gesandten
zu erschlagen. Doch er besann sich eines besseren und versuchte,
sich unter Kontrolle zu halten. "Verzeiht mir, Lordmaster,
aber es war ein grauenvoller Tag. Wir haben große Verluste
aufgrund der Feigheit eines ganzen Clans einstecken müssen,
als diese ihre Posten aufgaben und wie die Gisgars rannten. Dann
hat es einen Clanlord durch eine rüde magische Attacke des
Feindes erwischt, der vor wirklich nichts zurückschreckt. Und
zu allem Überfluss finde ich euch unangemeldet in meinem Zelt
vor. Natürlich stelle ich nicht in Frage, dass der Hochkönig
letztendlich die Entscheidung zu fällen hat."
"Also", beruhigte sich auch Apulaksar schnell wieder,
da er als Diplomat diesen Vorfall beflissentlich zu übergehen
gedachte, um nicht irgendwelche Streitigkeiten unter den Königen
der Zwergenreiche zu entfachen, "dann kann ich euch die Nachricht
nun übermitteln?"
"Natürlich", Gubgrulum schwitzte und rang mit den
Händen und obendrein um seine Fassung.
"Am heutigen Tage hat der Vermittler des Hochkönigs, Lordmeister
Thanagram, mit dem Repräsentanten der Menschen in Kasnor einen
Friedensvertrag geschlossen. Damit sind alle Kampfhandlungen sofort
einzustellen, weshalb ich auch eiligst hier hergeritten bin, da
alle Schwellen zerstört wurden!"
"Einen Friedensvertrag?" schrie Gubgrulum und verlor fast
wieder seine Fassung. "Wie kann er so etwas nur zulassen? Weis
er denn nicht, was diese räudigen Hunde uns im Norden angetan
haben? Ich ..."
"Kriegstain Gubgrulum!" der Unterton war dem hysterischen
Zwerg Warnung, dass auch Apulaksar sich nicht unentwegt anbrüllen
lassen würde. "Euer König Harvatut hat diesen Plan
eingebracht und unterstützt, da ihm die vielen Leute zur Landesverteidigung
und für sonstige Arbeiten fehlen. Offenkundig war er wohl nicht
in der Position, seinen Kriegstain zurückzurufen, da er ihm
zu viele Vollmachten eingeräumt hatte! Wie dem aber auch immer
sei. Mit dem Vertrag soll dem Gemetzel nun endlich ein Ende gemacht
werden. Der Friede gilt mit sofortiger Wirkung, Gubgrulum. Ich erwarte,
dass ihr spätestens Übermorgen von hier in Richtung Norden
abrückt."
"Das Land hier gehört nicht den Menschen, wie kann er
einen Friedensvertrag mit ihnen schließen? Die Elfenbrut wird
sich ..."
"Gubgrulum!" brüllte jetzt der Gesandte. "Was
denkt ihr euch eigentlich? Es ist keine Elfenbrut, sondern es sind
seit Jahrhunderten unsere Freunde und Verbündeten! Wollt ihr
Krieg mit allen Völkern und Rassen dieser Welt?"
"Und wenn schon!" fuhr der Kriegstain dazwischen und sah
sich nach der Zeltwache um. Die war jedoch anderweitig beschäftigt.
"Habt ihr die Kunde schon verbreitet?"
"Ich dachte", erwiderte der Gesandte müde, "der
Heerführer sollte eine solche Nachricht als Erster erhalten."
"Danke", entgegnete Gubgrulum mit ätzendem Unterton.
"Ich werde euch euren Schlafplatz zeigen." Er marschierte
drauflos und Apulaksar folgte dem Kriegstain ohne Argwohn.
"Zu Keseneites ist ein Kundschafter unterwegs, der ihm die
gleiche Nachricht bringt?" wollte Gubgrulum wissen.
"Ich sagte es bereits!"
"Nun gut, dann besteht ja die Hoffnung, dass endlich Ruhe einkehrt",
der Kriegstain dachte bereits darüber nach, wie er eine solche
Situation zu seinem Vorteil ausnützen konnte.
Apulaksar schlief in einem Zelt weit abseits des gewöhnlichen
Lagers ein und sollte niemals wieder aufwachen! Gubgrulum wob seine
Magie um dessen Träume, so dass er auf ewig darin gefangen
sein würde. Niemand wusste etwas von dem Kundschafter, niemand
wusste, was er zu berichten hatte. Der Kriegstain verfiel in ein
hämisches Gekicher und bemerkte nicht die neugierigen Blicke
anderer Zwerge, die seinen Weg kreuzten. Einige schüttelten
den Kopf. Er ließ die Wachen wissen, dass es in dieser Nacht
keinen Angriff geben würde, da er seinen Plan geändert
habe, legte sich hin und schlief einen tiefen und erholsamen Schlaf.
Allein in seinen Träumen war alles in heller Aufregung: Er
sah sich als der Sieger der kommenden Schlacht und trat mit dem
Kopf Keseneites in der Hand vor Havatut, der vor seinem großen
Kriegstain niederkniete. Dann blickte der entsetzte König jedoch
auf den Kopf in der anderen Hand des Kriegstains. Der lächelnde
Gubgrulum, auf seinem Haupt die Krone Ameratats, hielt am ausgestreckten
linken Arm den Kopf des Hochkönigs der Alassar! Mit diesem
Anblick in seinem Traum umspielte ein zufriedenes Lächeln den
Mund des schlafenden Gubgrulum, dann erging er sich in weiteren
süßen Träumereien.
Gubgrulum
rief sehr früh seine Kriegs- und Clanlords zu sich und an diesem
Morgen schien er seltsam befriedigt und ruhig zu sein. Er redete
nicht lange Drumherum, sondern kam gleich auf den Punkt.
"Unser hochverehrter König hat es eingefädelt, dass
Keseneites ein falscher Kundschafter die Nachricht überbringt,
dass ab sofort Frieden herrscht!" sagte er mit Nachdruck. "Dies
ist natürlich nicht der Fall! Wir werden zum Schein darauf
eingehen, uns diesem Frieden beugen und ein gemeinsames Fest feiern.
Ich nehme an, die verblödeten Menschen werden nur zu gerne
darauf eingehen. In diesem Falle gibt es Wein als Schlaftrunk für
diese Bastarde, den wir mitbringen werden, während wir deren
Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Ich gebe zu, dass es sich nicht
um die ehrenvollste Methode handelt, aber ich bin es leid, noch
mehr Leben aufs Spiel zu setzen. Immerhin hat sich Keseneites jedem
fairen Kampf entzogen und hier in die Wälder geflüchtet!"
Gubgrulum klang betont ruhig und gelassen, so dass er verschiedentlich
sogar Zuspruch aus dem Lager seiner Gegner erhielt.
"Außerdem", setzte der Kriegstain noch nach, "darf
ich noch einmal daran erinnern, dass es sich um einen Zusammenschluss
von Räubern, Wegelagerern und Mördern handelt. Keseneites
befehligt keine regulären Heerscharen, sondern ist der Anführer
einer verkommenen Bande minderwertiger Menschen, die in der Vergangenheit
nichts besseres zu tun hatten, als harmlose Zwerge zu überfallen!"
Bei den letzten Worten wurde seine Stimme wieder von einer abgrundtiefen
Leidenschaft gegen alles menschliche getrieben.
*
Der
Botschafter erreichte das Lager von Keseneites nach einigen Umwegen,
da es nicht unbedingt leicht zu finden war. Unterwegs war er von
verschiedenen Spähern aufgehalten worden und so betrat Syètch,
ein Halbelf, das Zelt des Heerführers erst mit dem Einbruch
der Dämmerung. Im Gegensatz zu einigen der Menschen um Keseneites,
war dieser ohne Argwohn und begrüßte seinen Gegenüber
freundlich, da es ihm vollkommen egal war, welcher Herkunft Syètch
sein mochte.
"Der Krieg ist beendet, Lord Keseneites", der Halbelf
verbeugte sich und seine Freude über die Botschaft, die er
überbringen durfte, ließ ihn die Schmährufe vieler
Menschen im Lager wieder vergessen, "und ihr sollt sofort alle
Kampfhandlungen einstellen. Ich übergebe euch die Nachricht
mit dem Siegel unseres Ratsherren in Kasnor, dem Siegel des Hochkönigs
der Alassar und der Zwerge." Er hielt dem völlig überraschten
Keseneites die gesiegelte Pergamentrolle hin, der sie mit zittriger
Hand entgegennahm.
"Nach so langer Zeit ...", murmelte er und sein Blick
schien hinter Syètch in die Ferne zu schweifen. Einen Augenblick
verhielt er in seinen Gedanken, doch dann wandte er sich mit freundlichem
Grinsen wieder dem Halbelfen zu. "Eine wahrhaft gute Nachricht,
Botschafter. Und wir betrachten es als ein besonderes Zeichen der
Versöhnung, dass gerade ihr die Nachricht überbringt.
Wirklich und wahrhaftig, dieser Tag soll gefeiert werden!"
"Ein gewisser Lordmeister Apulaksar wird gemäß der
Absprache und den Bedingungen im Vertrag dem Kriegstain Gubgrulum
heute eine ebensolche Rolle überbringen, in der ihn Hochkönig
Armeratat auffordert, die Kriegshandlungen sofort einzustellen und
wieder in seine Heimat zurückzukehren." Damit beantwortete
Syètch die offensichtliche Frage von Keseneites, der zufrieden
nickte und er wandte sich zu Hauptmann Jabel um, der den Halbelfen
kritisch musterte.
"Und was passiert", wollte der Hauptmann wissen, "wenn
dies ein neuer Trick von Gubgrulum ist?"
"Jabel, Jabel", mahnte ihn sein Heerführer und hielt
Syètch mit einer Handbewegung zurück, "du siehst
nur noch Feinde um dich herum und manchmal frage ich mich, ob du
dir insgeheim Gedanken machst, ob mich Gubgrulum vielleicht auch
schon gekauft hat!"
"Aber Kes, ich ..." Der Hauptmann sah Keseneites entsetzt
an.
"Das war doch nur ein Scherz, Jabel! Aber denk doch mal nach.
Selbst Gubgrulum könnte nicht drei Siegel fälschen und
damit den Zorn der Elfen auf sich lenken. Obendrein können
die Zwerge Halbelfen nicht ausstehen und unser meistgehasster Gubgrulum
würde nicht einmal einen Alassar in seine Nähe lassen.
Wenn es nach ihm ginge, würde er mit seinem Haufen auch noch
gegen die Elfen marschieren!"
"Entschuldige Syètch", murmelte Jabel verlegen
und blickte zu Boden, "aber ..."
"Schon gut", entgegnete der Halbelf. "Ich denke,
dass die Anspannung dafür verantwortlich war. Mit eurer Erlaubnis,
Lord Keseneites, werde ich mich kurz ausruhen und dann zurückkehren.
Ich gebe euch den gutgemeinten Rat ..." Syètch stockte
und bekam einen roten Kopf. "Ich wollte sagen, ich sollte euch
daran erinnern, nicht zu unvorsichtig zu sein, da nicht sicher ist,
dass die Zwerge die Nachricht ebenfalls schon erhalten haben."
"Es war ein guter Rat, Syètch", entgegnete Keseneites
gelassen und klopfte dem Halbelfen jovial auf die Schulter, "denn
in seiner Freude übersieht so mancher eine Kleinigkeit, deren
Auswirkungen wirklich fatal sein können. Und jetzt sieh zu,
dass du noch etwas zu Essen bekommst, ruhe dich aus und verschwinde
wieder nach Hause. Wirklich ein großartiger Tag!"
Keseneites hatte sich noch einen Augenblick mit seinem Hauptmann
besprochen, während Syètch sich auf den Weg machte,
für sich und sein Gaya etwas Nahrung zu bekommen, als ein weiterer
Hauptmann in Keseneites Zelt stürmte. Dabei stolperte er und
rannte seinen Heerführer fast um.
"Kes!" brüllte er völlig unnötigerweise
viel zu laut. "Die Zwerge zeigen am anderen Ufer drei Schwerter
spitzab und Gubgrulum steht zu einem Drittel in der Furt! Ich möchte
wissen, was wir tun sollen. Wenn ich nur wüsste, welche Schweinerei
er jetzt wieder vorhat."
"Beruhige dich, Minlus!" Keseneites ergriff seinen viel
zu jungen Hauptmann bei den Schultern und rüttelte ihn durch.
"Drei Schwerter spitzab bedeutet Aufgabe. Gubgrulum in der
Furt bedeutet, dass er mit mir sprechen will. Und obendrein haben
die Könige einen Friedensvertrag unterschrieben, den ich bisher
noch nicht die Zeit zu lesen hatte. Geh jetzt wieder zu deinen Leuten,
damit sich ja keiner untersteht einen Angriff zu unternehmen!"
Er wandte sich zu dem im Zelt verbleibenden Jabel um. "Und
du sieh zu, dass alle außer den Wachen antreten und das wir
ebenfalls drei Schwerter spitzab zeigen, Jabel. Los jetzt, lasst
uns das schmutzige Geschäft endlich beenden."
Mensch
und Zwerg trafen sich unter den staunenden und wachsamen Blicken
ihrer Soldaten inmitten der Furt des östlichen Quellenweges
durch den Argenon und standen sich lange Zeit wortlos gegenüber.
Gubgrulum brach schließlich das Schweigen, indem er von Keseneites
barsch eine Bestätigung verlangte, dass er ebenfalls die Nachricht
erhalten hatte.
"Ich kann nicht sagen", maulte der Zwerg und versuchte
sich dabei zu beherrschen, "dass mir die Sache gefällt,
da wir zu viele Jahre kämpften. Ich hätte gerne deinen
Kopf auf einer Lanze nach Hause getragen und meinem König vor
die Füße geworfen."
"Und ich", seufzte Keseneites und blickte voller Mitleid
auf seinen Gegenüber, "habe mir immer gewünscht,
endlich mit dem unsinnigen Morden aufzuhören. In der Zeit,
als es noch darum ging, Raubüberfälle zu rächen und
abzuwenden, hätte ich dir vielleicht zugestimmt, Gubgrulum,
aber in der jetzigen Situation ..."
"Egal!" der Zwerg war keinen Deut freundlicher geworden,
obwohl er bemüht war, seiner Stimme einen freundlichen Klang
mit auf den Weg zu geben. "Wenn es recht ist, so werden wir
heute Abend gemeinsam ein kleines Fest feiern, bevor wir uns morgen
auf den Weg machen. Wir haben noch Wein und anderes Gebräu,
welches sich hervorragend eignet, einen Frieden zu begießen.
Einverstanden?"
"Sehr gerne!" Keseneites war hocherfreut, auch wenn er
in dem Blick von Gubgrulum eine gewisse Abscheu zu erkennen glaubte
und die verschlagenen Augen des Zwerges fast verrieten, dass er
nicht die Absicht hatte, sich einem Fest hinzugeben. "Kommt
..."
"Wir werden zu euch kommen, denn in unserem Lager dürfte
alles etwas zu klein für euch geraten sein. Bis heute Abend
dann!" Gubgrulum wartete nicht mehr, sondern wandte sich um
und stampfte durch die Fluten davon. Keseneites schüttelte
den Kopf und sah seinem alten Feind schweigend nach. Gubgrulum drehte
sich nicht mehr um.
Am
späten Nachmittag kam eine große Zahl von Zwergen mit
Wein und einem starken Bier ins Lager der Menschen. Zuerst beäugte
man sich noch vorsichtig, aber je später es wurde und je höher
die Lagerfeuer loderten, um so besser und gelöster wurde die
Stimmung. Gubgrulum warf Syètch einen abfälligen Blick
zu, doch Keseneites redete lange und ausgiebig mit dem Halbelfen,
so dass diesem der Hass des Zwergenführers verborgen blieb.
Sehr viel später verabschiedeten sich die Zwerge und ließen
noch ein ehrklägliches Potential von berauschenden Getränken
aller Art zurück, damit das Fest fortgesetzt werden konnte.
Keseneites, Jabel und Syètch wankten schließlich davon,
um einen etwas ruhigeren Fleck im Wald aufzusuchen, betranken sich
ebenso sinnlos, wie der Rest der Menschen und schliefen sehr bald
tief und fest ihren Rausch aus.
Ebenso erging es dem Rest des Heeres, während sich durch die
Furt die Streitmacht der Zwerge unter der persönlichen Führung
von Gubgrulum näherte. Vorsichtig entstiegen die Zwerge dem
Wasser, stießen jedoch nur auf überall im Lager verstreut
liegende Betrunkene. Eine Wache gab es nicht, aber selbst wenn es
eine gegeben hätte, wären die Kämpfer der Menschen
nicht einmal in der Lage gewesen, auch nur den Angriff von zwanzig
Zwergen abzuwehren! Auf Befehl von Gubgrulum begann das Abschlachten
der wehrlosen Opfer, von denen die Mehrzahl nicht einmal wach wurde.
Das ungeheuerliche Gemetzel ging nicht ohne Murren unter den Zwergen
vonstatten, aber Gubgrulum war ohnehin schon nahe der Raserei, so
dass sich niemand auflehnen wollte. Die schlechte Tat war in weniger
als einer halben Stunde erledigt und die Zwerge entfernten sich
von dem Ort, den sie wie ein Schlachthaus hinterlassen hatten.
Der Kriegstain war außer sich, da niemand mit Sicherheit sagen
konnte, ob Keseneites unter den Opfern war, aber dann ordnete er
schließlich doch ein Fest an, um den unlauteren Sieg gebührend
zu feiern.
*
Syètch
erwachte als erster und beschwerte sich lautstark über seinen
hämmernden Kopf. Doch auch sein zielloses Umherlaufen und die
seit einer Stunde aufgegangene Sonne konnte weder Jabel noch Keseneites
zum Aufstehen bewegen. Maulend wälzten sie sich über den
Boden und wichen Syètch aus, verfluchten ihn und schliefen
dann endlich weiter. So wanderte der Halbelf auf der Suche nach
etwas Essbarem ins Lager. Zuerst hielt er den Anblick für einen
Trick seines überforderten und noch immer umwölkten Hirns,
aber dann übergab er sich mehrmals und sank an Ort und Stelle
in sich zusammen. Der Anblick der umherliegenden und dahingeschlachteten
Körper war einfach zuviel für ihn und er konnte sich fast
zehn Minuten nicht bewegen. Endlich schaffte er es unter Tränen,
sich wieder zu erheben und sich auf die Suche nach Keseneites und
Jabel zu machen, während vom anderen Ufer des Argenon die johlenden
Stimmen der ausgelassen feiernden Zwerge zu ihm hinüberdrangen.
"Lord Keseneites", die Stimme war mehr ein tränenersticktes
Hauchen, als ein forderndes Wecken, aber der Heerführer wälzte
sich unter der Berührung des Halbelfen herum und blinzelte
diesen an, als habe er ihn gerade zum erstenmal gesehen.
"Hm?" Er blickte sich um und entdeckte Jabel, der sich
um einen am Boden liegenden dünnen Stamm geschlungen hatte,
als läge er mit einem Mädchen im Bett. Keseneites lachte
herzhaft und wies auf den Hauptmann, der sich ebenfalls zu rühren
begann. Aber Syètch lachte nicht, sondern schüttelte
nur leicht den Kopf.
"Junge", grölte Keseneites, "du siehst so tot
aus, wie eine Leiche, die seit Tagen im Wasser ..." Der Halbelf
drückte dem Heerführer seine Hand auf den Mund und brachte
ihn damit zum Schweigen.
"Leise", flüsterte Syètch, "denn wenn
sie hören, dass noch jemand lebt, werden sie sicher noch einmal
kommen."
"Was ist los?" Keseneites war zu verwirrt, um einen klaren
Gedanken fassen zu können, während sich Jabel aus der
Umklammerung mit dem Baumstamm löste und diesen dabei vollkommen
irritiert anblickte. "Wer kommt zurück? Was ist denn hier
los?"
"Die Zwerge haben ...", Syètch versagte die Stimme
und er fiel vor Keseneites auf den Boden und schüttelte sich
in einem Krampf.
"Du liebe Zeit!" der Heerführer ergriff den Halbelfen
schnell und schüttelte ihn, damit er wieder zur Besinnung kam.
"So viel hast du wohl noch nie in deinem Leben getrunken, was?"
"Ich geh schon mal vor", krächzte Jabel und schwankte
unsicher, "damit wir möglichst schnell wegkommen."
"Halt!" rief Syètch und ergriff den Hauptmann an
seiner Hose. "Bleib hier. Sie sind alle tot und wenn die Zwerge
sehen, dass noch jemand lebt, werden sie noch einmal kommen."
"Syètch!" mahnte Keseneites den Halbelfen und hielt
ihn so, dass er ihm in die Augen sehen konnte. "Das ist jetzt
nicht mehr komisch und ich ..." Er fand nur Trübsal und
Elend in Syètchs Blick und ihn überkam die Erkenntnis
wie ein Blitzschlag.
"Bei den Göttern", flüsterte er, "das darf
nicht sein. Geh ins Lager, Jabel. Aber sei vorsichtig. Wenn ich
mir vorstelle, dass Syètch auch nur andeutungsweise Recht
hat, dann ..." Mühsam stand er auf und half dabei dem
vollkommen schlaffen Halbelfen ebenfalls auf die Beine. Schließlich
gingen sie dann gemeinsam in Richtung Lager.
"Nein!" Syètch blieb gerade außer Sichtweite
des Lagers stehen und schüttelte hysterisch den Kopf. "Nein!
Nein! Ich komme ganz sicher nicht mit!" Er weigerte sich energisch
im Griff von Keseneites, auch nur einen Schritt weiter voranzugehen
und so blieb dem Heerführer und seinem Hauptmann nichts anderes
übrig, als sich alleine dem Lager zu nähern.
Der Anblick war grauenvoll und übertraf die Alpträume,
die so manchen Krieger nach Schlachten plagten um ein Vielfaches.
Weder Jabel noch Keseneites waren in der Lage, ein einziges Wort
zu sprechen oder sonst auf dieses Massaker zu reagieren. Schockiert
standen Heerführer und Hauptmann inmitten eines Lagers von
Toten und langsam breitete sich schon der erste Geruch aus, den
ein Schlachtfeld nun einmal verbreitet.
Vom anderen Ufer tönten die johlenden Stimmen feiernder Zwerge!
Syètch,
Keseneites und Jabel saßen abseits des grauenvollen Anblicks
und sprachen lange Zeit kein Wort. Der Heerführer schien seltsam
ruhig und Jabel kurz davor den Verstand zu verlieren, als Keseneites
sich schwerfällig erhob.
"Was ... was sollen wir denn nur tun?" Jabels Entsetzen
war überdeutlich hörbar und er war kurz vor einem hysterischen
Anfall. Doch Keseneites stierte ihn lediglich an und schien ihn
nicht einmal zu bemerken. Er lächelte schweigend vor sich hin!
"Gubgrulum hat den Vertrag gebrochen und sich des Friedens
bedient", Syètch konnte es immer noch nicht fassen.
"Er hat seinen König verraten und sich gegen den Hochkönig
der Alassar gestellt. Möglicherweise hat er damit einen Krieg
mit den Elfen heraufbeschworen! Sie werden ihn dafür zur Rechenschaft
ziehen."
"So lange wird er nicht mehr leben", versicherte Keseneites
trocken und sprach damit die ersten Worte an diesem Nachmittag seitdem
er seine toten Männer in der Frühe gesehen hatte. Er klang
gelassen, als hätte er alle Trümpfe in der Hand und die
Ruhe glitt auch ein wenig auf seine beiden Begleiter hinüber.
"Was?" fragte Jabel etwas ruhiger. "Kes, was willst
du damit sagen? Wir können Gubgrulum wohl kaum etwas anhaben.
Sie werden uns nicht in ihr Lager spazieren lassen und ..."
"Sicher nicht, Jabel, mein Freund." Der Heerführer
setzte sich und schien über etwas nachzudenken, als er dann
plötzlich in einer sehr seltsamen Sprache zu sprechen begann
und seine Augen leer in die Ferne blickten.
"Kes, was ...?" Jabel sah Syètch an, der wiederum
den Heerführer entsetzt anstarrte.
"Nein!" rief der Halbelf, sprang schnell auf und schüttelte
Keseneites rabiat. Dennoch störte er dessen Trance nicht. "Nein!
Das darfst du nicht! Hör sofort auf damit oder du bringst uns
alle um."
"Was tut er? Welche Sprache ist das?" der Hauptmann hielt
Syètch zurück und betrachtete seinen Heerführer
und Freund besorgt.
"Es ist Magie, dunkelste Elfenmagie, wie sie in den frühen
Jahren im Kampf gegen die Talmas benutzt wurde. Mach ihn wach, Jabel,
er darf diese Formeln nicht benutzen. Verflucht sei dieser Tag,
woher kennt er nur diese Formeln!"
"Was bewirken sie?" forderte Jabel zu wissen und hielt
Syètch weiter fest, schüttelte dennoch seinen Heerführer
nun mit Nachdruck.
"Dunkle Magie!" Syètch wurde langsam aber sicher
hysterisch. "Er ruft böse Geister aus längst vergangenen
Tagen. Oh, ihr Götter, woher kennt er diese Formeln?"
Endlich gelang es ihm, sich aus dem Griff des Hauptmannes zu befreien
und aufzuspringen.
"Du wirst deine Finger von ihm lassen!" Jabel war aufgesprungen
und stellte sich abwehrend vor seinen Freund, der die magischen
Formeln jetzt nachdrücklich und ohne Stocken intonierte. Formeln,
die kaum jemals ein Magier zu sprechen gewagt hatte.
"Das ist Irrsinn!" rief Syètch wild. "Er kann
diese Geister nicht kontrollieren und er wird über uns alle
einen unglaublichen Fluch bringen. Ich kann ihm nichts mehr tun,
Jabel. Es ist zu spät! Flieh von hier, wie ich es tue, denn
nun ist es bereits zu spät." Der Halbelf begann zu rennen,
als würde er von einem ganzen Rudel Evals gejagt. Irgendwo
brach er schluchzend im Wald zusammen und eine tiefe Bewusstlosigkeit,
gefolgt von einem erholsamen Schlaf umfing ihn.
*
'Wy'anur?'
raunte es leise. Die schemenhafte Gestalt sah sich verwirrt auf
der mentalen Ebene um, konnte jedoch keinen seiner Artgenossen ausmachen,
der ihn gerufen haben könnte.
'Wy'anur?'
Weitere Schemen gesellten sich zu diesem zwei Mann hohen Wesen,
das mit unglaublicher Geschwindigkeit die Ebene der Geisterwelt
durchstrebte. An einem Ende erspähten die Gestalten ein schwaches
Glimmen, welches sie schmerzte. Seit ungezählten Zeitaltern
war das Licht aus ihrer Region verbannt gewesen! Dennoch strebten
sie darauf zu. Sie erreichten die Stelle, an der sich ein Tor aus
mattem Licht abzeichnete und darauf erschienen in stets gleichen
Glanz die versiegelnden Zeichen der Elfenmagier, die diese Seelenwesen
einst hierher verbannten. Die Schriftzeichen loderten auf, verblassten
wieder, nur um erneut grellrot aufzuleuchten. Ein Geschnatter entstand
unter den Wesenheiten und sie riefen sich zu, dass sie nun endlich
befreit werden würden. Doch ein tieferer Schatten eilte herbei
und die anderen wichen vor ihm zurück! Er manifestierte sich
vor dem Tor und rief Worte in einer Sprache, die seit Jahrtausenden
nicht mehr gesprochen worden war, gegen das Tor. Die Schriftzeichen
flammten auf und erloschen dann vollständig!
'Der Weg ist geebnet, Brüder und Schwestern', intonierte die
Gestalt, 'aber die Passage ist nur von kurzer Dauer. Wenn sie sich
wieder schließt, müssen wir zurück sein, denn jenseits
dieser Tore, die von den Ky'ad'dèayi als die Màl'à'làhéyn,
die Pforten der Toten bezeichnet werden, würden wir aufgrund
der Macht vergehen. Trotzdem könnte es uns gelingen, durch
diesen Ausflug endlich wieder Kontakt zu den lebenden Wesen herzustellen.
Jemand muss uns gerufen haben und diesem Ruf sollten wir unbedingt
folgen!'
Die Geistwesen strebten durch die sich öffnenden Pforten hinaus
in die mattgraue Welt der mentalen Ebene, deren dezent fahles Licht
die Wesenheiten blendete. Nur ein greller Lichtpunkt in weiter Ferne
ließ sie den rechten Weg finden. Zu diesem Zeitpunkt versagte
auf Gunya das gesamte Schwellensystem und alle unternommenen Transporte
kamen erst Tage später an völlig falschen Orten wieder
heraus. Eine Erklärung dafür fand zunächst niemand,
aber sehr viel später sollten die Geschehnisse an der Furt
durch den Zy'à'émrohyl für entsprechende Aufklärung
sorgen.
*
Jabel
sah Keseneites an, der etwa eine handbreit über dem Boden schwebte
und dessen Gestalt immer durchscheinender wurde. Mit einem Male
gesellten sich Schatten um ihn, die ihn umkreisten. Sie wirbelten
wild umher, fuhren durch Gegenstände, den Heerführer selbst
und auch in den Boden und wieder heraus. Jabel entfernte sich entsetzt,
denn er hatte niemals vermutet, dass sein Feldherr und Freund solche
Kräfte entfesseln konnte. Kräfte, vor denen der Halbelf
Syètch entsetzt geflohen war! Die Augen von Keseneites glühten
tiefrot und er senkte sich langsam wieder zum Boden herab, während
er in einer Sprache redete, die Jabel nicht verstand oder jemals
zuvor gehört hatte.
Endlich verharrten die Schatten und umgaben ihren Rufer wie ein
Schleier. Doch es dauerte nicht lange, bis sie wieder verschwunden
waren, Keseneites sich lachend zurücklehnte und dann aufstand.
"Fürchte dich nicht, Jabel", rief er erregt, "denn
der Sieg wird bald unser sein!"
"Sieg? Bist du verrückt geworden, Kes?" Jabel war
entsetzt. "Selbst dieser Syètch ist abgehauen, als du
anfingst in dieser merkwürdigen Sprache zu sprechen, die kein
Mensch versteht. Verdammt, Kes, was ist mit dir los? Ich habe nicht
gewusst, dass ausgerechnet du dich auf Magie verstehst."
"Es ist nicht sehr viel Magie in diesen Worten, sondern es
ist lediglich der Bruch eines Siegels. Vor langer Zeit hat mich
einmal ... ein guter Freund diese Worte gelehrt und ich hatte sie
vergessen, bis ich heute all unsere Kameraden hier niedergemetzelt
liegen sah."
"Denkst du nicht, dass es gefährlich ist, Kes?" Jabel
war keineswegs erbaut von den gegebenen Umständen und Magie
ängstigte ihn normaler weise zu Tode. "Was hast du denn
überhaupt gemacht?"
"Es ist ... es sind ...", der Heerführer sah Jabel
mit seinen immer noch mattrot glänzenden Augen an und schien
doch durch ihn hindurchzuschauen, " ... Geistwesen, die mir
helfen werden, Gubgrulum eine Lektion zu erteilen."
"Der Preis?"
"Was für ein Preis, Jabel?"
"Ich denke", der Hauptmann zitterte am ganzen Körper,
"sie werden dir nicht helfen, weil sie gerade nichts anderes
zu tun haben."
"Ich habe sie befreit. Sie werden mir ihre Dankbarkeit zeigen
und einen Dienst erweisen."
"Syètch sagte ..."
"Syètch!" Keseneites lachte schrill. "Was
weiß denn schon ein Halbblut von solchen Dingen!"
"Immerhin schien er zu wissen, was du rufst! Warum waren diese
Kreaturen eingesperrt, Kes?"
"Es war die Schuld der Elfen, die sich von ihnen angegriffen
fühlten. Diese Wesenheiten waren völlig zu Unrecht so
lange verbannt!"
"Kes, ich denke ..."
"Jabel", Keseneites Stimme war wieder sanfter geworden
und der raue und hysterische Unterton daraus verschwunden, "bitte
gehe jetzt, so lange noch Zeit ist. Wenn die Sonne untergeht, werden
die Wesen zurückkehren und sie werden ... Nun sie werden mir
helfen, Gubgrulum zu besiegen! Du solltest nicht hier sein, wenn
sie kommen, denn ich habe nur die Macht sie zu rufen und wieder
fortzusenden. Ich habe keine Ahnung, wie ich dich schützen
könnte!"
"Das ist doch absoluter Irrsinn, Kes! Ich bin dein Hauptmann
und ..."
"Du bist entlassen, Jabel!" fiel ihm Keseneites barsch
ins Wort. "Verschwinde von hier. Jetzt!" Dann drehte er
sich um, damit Jabel nicht die Tränen in seinen Augen sehen
konnte und stapfte durch das verwüstete Lager davon.
Jabel stand noch eine Zeit völlig verstört an diesem Ort,
doch dann besann er sich, dass in der Nähe Siedlungen sein
mussten. Wenn er sich beeilen würde, konnte er vielleicht noch
einen Magier finden, der mit diesen merkwürdigen Wesen umgehen
konnte. Aber viel Zeit hatte er nicht mehr. Auf einem umherstreunenden
schnellen Gaya eines Meldereiters machte er sich schließlich
davon, als wären alle Krieger Gubgrulums ihm dicht auf den
Fersen.
*
Die
Sonne sank unendlich langsam vom Himmel herunter, doch Keseneites
hatte es nicht eilig. Er wusste, dass er seine Rache bekommen würde,
sobald die Wesenheiten wieder zurückkehren würden. Es
waren mächtige Verbündete und er fragte sich, warum er
sie nicht schon längst zu Hilfe gerufen hatte. Zwar hatte er
nie viel von solchen magischen Dingen gehalten, aber Gubgrulum hatte
in all den vergangenen Jahren die Magie benutzt, wie Keseneites
sein Schwert gebraucht hatte. Es schien ihm nur recht und billig,
wenn er sich jetzt entsprechend rächen würde.
"Was nun, großer Keseneites?" unterbrach eine betonungslose
und dumpfe Stimme die schweifenden Gedanken des Heerführers,
der erschreckt auffuhr. Vor ihm hatte sich ein großer Schatten
ausgeprägt, hinter dem Keseneites weitere erkennen konnte.
"Was sind deine Befehle?"
Hätte Keseneites auf mentaler Ebene Kontakt mit dieser Wesenheit
gesucht, wäre ihm die Ironie in den Worten aufgefallen, aber
in der völlig eintönigen Stimmlage der manifestierten
Kreatur war ihm dies nicht möglich.
"Nun, ich verlange für eure Freiheit, dass ihr die Zwerge
auf der anderen Seite des Argenon vernichtet", antwortete er
fest und hoffte inständig, dass seine Angst vor diesen mächtigen
Wesen nicht zum Ausdruck kam. Der dunkle und große Schatten
rief verschiedenen kleineren, umherwirbelnden Schatten etwas in
einer unverständlichen Sprache zu. Daraufhin entfernten sich
etwa zehn der Schatten, die nicht einmal die Größe eines
Zwerges erreichten, um nur einen kleinen Augenblick später
wieder zurückzukehren. Sie schnatterten wild durcheinander,
doch das schien den offensichtlichen Anführer dieser Wesenheiten
nicht weiter zu stören. Er sog die Informationen in sich auf,
veränderte seine Gestalt etwas und wandte sich wieder an Keseneites.
"Es sei, wie du es wünschst, Heerführer. Gehe zum
Lager und führe deine Krieger über den Zy'à'émrohyl.
Dort nimm dann deine Rache noch in dieser Nacht!"
"Meine Krieger sind tot!" Keseneites runzelte die Stirn
und sah den Schatten forschend an, obwohl er keine menschlichen
Konturen oder ein Gesicht ausmachen konnte. "Wie soll ich sie
führen, wenn ..."
"Geh!" zischelte der Schatten und es war offensichtlich,
dass er lachte. "Geh, und sie selbst! Heerführer!"
Es entstand ein kleinerer Wirbel und die Geistwesen waren entschwunden.
Kopfschüttelnd begab sich Keseneites zum Lager und blieb entsetz
und mit offenem Mund stehen. Vor ihm erhoben sich die Toten und
stellten sich in der alten Marschordnung auf. Kein Wort entglitt
ihren Kehlen, sie verursachten kein Geräusch und in ihren leeren
Augenhöhlen glomm ein schwacher rötlicher Schimmer.
"Ihr Götter!" stöhnte Keseneites und sah sich
um. "Das habe ich nicht gewollt!" Doch dann hörte
er die Stimmen der feiernden Zwerge und er besann sich anders. Er
gab seinen Kriegern ein Zeichen und ohne ein Geräusch zu verursachen
setzte sich die seltsame Streitmacht in Bewegung.
*
Aus
einer sicheren Entfernung heraus beobachtete Syètch - nahe
daran, den Verstand zu verlieren - die Geschehnisse. Er wagte es
nicht, sich zu rühren, denn in alten Geschichten hatte er gehört,
dass die Untoten seine Gegenwart schon allein durch die anziehende
Kraft seines Lebens spüren konnten. Sicher hielt sie lediglich
der magische Bann von Keseneites gefangen und die vielen Zwerge
auf der anderen Seite des Argenon lockten sie an, wie die Insekten
das Licht!
*
Jabel
ritt sein Gaya fast zu Tode, als er auf dem östlichen Quellenweg
von der Vorhut einer Eskorte aufgehalten wurde. Schnell erkannte
er, dass er es mit Elfenkriegern zu tun hatte, die sich auf dem
Weg nach Osten befanden. Er erklärte dem Bannerträger,
worum es sich handelte und dieser wurde bleich wie ein Leichentuch.
Er ritt zu dem sich nähernden Konvoi und ließ ihn halten,
dann redete er schnell und beständig auf einen in wallende
Gewänder gehüllten Magier ein. Beide kehrten sogleich
zurück zu Jabel, dem ein frisches Gaya gebracht wurde. Zwei
Elfen halfen dem matten Mann auf sein Reittier.
"Was genau hat dein Heerführer gesprochen?" wollte
der Magier wissen, der sehr zu Jabels Überraschung sehr gut
fornisch sprach. Doch der Hauptmann wusste keine Antwort drauf.
"Wusste er denn nicht, dass ein Friede geschlossen wurde? Warum
hat er sich nicht daran gehalten?" Schnell erklärte Jabel,
wie alles abgelaufen war und das Syètch sich, als er die
merkwürdige Sprache hörte, sofort auf und davon gemacht
hatte.
"Das war das Gescheiteste, was er tun konnte", der Magier
schien von der Situation wenig erbaut zu sein und wandte sich an
den Bannerträger. Jabel konnte nicht verstehen, was gesprochen
wurde, aber es war offensichtlich, dass der Magier sich auf der
Stelle mit einer kleinen Truppe auf den Weg zur Furt machen wollte.
Es entstand eine heftige Diskussion, bis ein Elf, der auf einem
schneeweißen Gaya herantrabte, augenblicklich für Ruhe
sorgte. Die Krieger und Bogenschützen, der Bannerträger
und selbst der Magier verneigten sich tief vor dieser Person, die
jedoch nur Augen für Jabel hatte. Doch der rührte sich
keinen Deut in seinem Sattel. Immerhin kannte er diesen Elfen nicht
und er dachte nicht daran, sich vor jemandem zu verbeugen, dem er
noch nicht vorgestellt worden war.
Der Elf lächelte freundlich und sprach mit dem Magier mit ruhiger
Stimme. Allein seine Bewegungen verrieten, dass er es gewöhnt
war, Befehle zu erteilen und dabei erwartete, dass diese ohne Nachdenken
ausgeführt wurden. Seine ganze Gestalt war eine einzige Autorität.
"Mein Herr und Gebieter verlangt, dass ich ihn vorstelle, Jabel",
der Magier sprach relativ leise, als wollte er niemanden stören.
"Dies ist Fgèhén'hufàr, Edler unter den
Alassar und ..."
"Verzeiht mir meine Unverschämtheit!" Jabel sprang
von seinem Gaya und kniete nieder. "Es war die Eile und die
Sorge um meinen Heerführer und Freund, die mich euch nicht
erkennen ließ, Hochkönig der Alassar!" Der Magier
übersetzte und der Elf wies Jabel mit einer Geste an, aufzustehen
und sofort aufzusitzen.
"Wir reiten sofort zur Furt!" rief der Magier und setzte
sich schon in Bewegung, während Jabel erneut sein Reittier
bestieg. Mit ihnen ritt eine Abteilung von zwanzig Kriegern, zehn
Bogenschützen, der Magier Rhynassar und der Herrscher über
alle Elfen der Südländer. Er wollte selbst sehen, ob die
Zwerge es gewagt hatten, den Rovanischen Frieden zu brechen, obwohl
ihnen bewusst gewesen sein musste, dass sie sich damit abseits des
Rechts stellten und einen Krieg mit den Elfen provozierten.
Zwei weitere Reiter eilten davon, um weitere Truppen der Alassar
zur Furt zu bringen und die Menschen zu alarmieren. Der Rest des
königlichen Konvois kehrte auf der Stelle zurück, um sich
in Sicherheit zu bringen.
*
Bis
zur Mitternacht verharrte die Armee von Toten unter Führung
eines lebenden Menschen, dem diese Krieger zu Lebzeiten schon Treue
geschworen hatten, um sich dann durch die Furt zu begeben. Keseneites
machte sich keine Gedanken mehr, wie sie unbemerkt hinüberkommen
konnten, denn eine tiefe Dunkelheit umwölkte die Armee und
seine Krieger verursachten nicht mehr Geräusche als das Wispern
des Windes in den Bäumen. Selbst die Geräusche, die der
Heerführer beim Durchwaten der Furt verursachte, schienen auf
merkwürdige Art und Weise gedämpft zu werden. Außerdem
war das Lager der Zwerge unbewacht und fast alle Kämpfer lagen
betrunken umher. Wenige feierten noch, bis sie mit entsetzten Blicken
ihren alten Feinden gegenüberstanden, die sie in der vergangenen
Nacht gemeuchelt hatten.
Es wurde Alarm gegeben und alle Zwerge, die sich noch einigermaßen
bewegen konnten, versuchten, sich gegen diese Streitmacht zur Wehr
zu setzen. Doch keine Waffe schien diese Krieger verletzen zu können!
Nichts hielt sie auf und einige liefen geradewegs durch die Lagerfeuer,
ohne auch nur den geringsten Schaden zu nehmen. Da war den Zwergen
klar, was hier geschah und sie ließen ihre Waffen fallen,
um sich wimmernd zu ergeben oder zu fliehen. Die um Gnade Flehenden
wurden gleich erschlagen, die Flüchtenden fanden sich, nachdem
sie ein kleines Stück durch den Wald gerannt waren plötzlich
in einer erstickenden Dunkelheit wieder, verloren ihre Sinne und
standen urplötzlich inmitten der Armee der Untoten. Die Krieger
fielen über die wehrlosen Opfer her und zerstückelten
sie ohne jede Regung.
"Gubgrulum!" Keseneites versuchte das Chaos zu übertönen
und seinen alten Erzfeind zu stellen. "Gubgrulum!" Aber
der Führer der Zwerge schlich mit seinem Kriegshammer in der
Hand um die Zelte herum und fragte sich, woher Keseneites all diese
Krieger haben mochte. In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen,
um was für Krieger es sich handelte und so schlich er sich
vorsichtig von hinten an den Menschen heran, der gerade das Lager
mit seiner Armee zu vernichten drohte. Gerade hob er den Hammer,
als ein Schemen hinter Keseneites den Weg versperrte.
'Nein, Gubgrulum', die Worte drangen so kraftvoll in das Hirn des
Zwergen, dass ihm der erhobene Kriegshammer entglitt und er sich
den Kopf hielt, als könne er die Worte so aussperren. 'Nein,
diesmal nicht.'
Entsetzt und doch zugleich auch fasziniert betrachtete der Kriegstain
das Schemen, setzte ein Grinsen auf und intonierte Worte der Magie.
Er hob beide Hände und sandte einen grellen Lichtblitz mitten
hinein in das schemenhafte Wesen, gerade als Keseneites herumwirbelte.
Doch der Schatten hatte nicht die Absicht aus dem Weg zu gehen,
sonder ein dumpfes und grollendes Lachen erklang und augenblicklich
verhielten alle still. Der Schatten steigerte sich in ein kreischendes
Inferno und selbst Keseneites musste sich die Ohren zuhalten, um
nicht verrückt zu werden.
"Was war deine Absicht, du Wurm?" brüllte der Schatten
dann jedoch wütend und Gubgrulum erbleichte, da seine Magie
keinerlei Wirkung zeigte. Schnell konzentrierte er sich und versuchte
auf mentaler Ebene zu dem merkwürdigen Schatten durchzudringen.
Doch da erkannte Gubgrulum, mit was er es hier zu tun hatte und
die Erkenntnis ließ sein Herz auf der Stelle stillstehen.
Er fiel vom Schlag getroffen tot um, ohne das noch etwas getan werden
musste.
Das Gemetzel ging weiter, während Keseneites wütend auf
den leblosen Körper des Zwergen einschlug, bis dieser völlig
unkenntlich war. Noch eine Stunde dauerte das Gemetzel, bis auch
der letzte Zwerg vom Leben zum Tode befördert worden war und
dann stand die Armee der Untoten wieder in Marschordnung vor Keseneites.
Es waren keine Geräusche zu vernehmen und es wurde kein Wort
gesprochen, bis der Schatten zurückkehrte und sich vor dem
Heerführer aufbaute.
"Ich danke dir, auch wenn es eine sehr ungewöhnliche Hilfe
war, mit der ich nicht gerechnet habe. Bitte entlasse meine Krieger
jetzt wieder und geht eurer Wege."
'Er hat keine Ahnung!' wisperten die anderen kleineren Schatten
ihrem Anführer zu. 'Er weis nicht, wer wir sind! Er hat keine
Ahnung!' Und sie lachten laut! Keseneites sah sich verwirrt um.
"Wir werden gehen, aber die Krieger können wir nicht entlassen.
Sie werden so bleiben und auch du wirst einen Preis zu zahlen haben!"
donnerte der Schatten.
"Ist das der Dank dafür, dass ich euch befreite?"
Keseneites reagierte ernsthaft gereizt und hielt sich jetzt auch
nicht mehr zurück.
"Schweig still!" brüllte ihn sein Gegenüber
an.
"Bitte lasst sie gehen, sie sind für euch doch nicht von
Wert", antwortete Keseneites jetzt ruhiger. "Nehmt mich
als Bezahlung, wenn ihr eine benötigt."
'Wie selbstlos er jetzt noch ist!' raunten die kleinen Schatten
und wieder lachten sie und umkreisten den Heerführer, der nach
ihnen schlug. "Nein", riefen sie im Chor, "dies ist
nicht das Gesetz!"
"Du hörst, was sie sagen", stellte der große
Schemen sachlich und wieder ruhig fest. "Du alleine reichst
uns nicht!"
"Dann ... dann nehmt sie und lasst mich gehen ...", Keseneites
senkte betreten den Kopf.
'Hört, hört!' schrieen die Schatten sich zu und dann kreischten
sie wild und fuhren durch die Luft um Keseneites umher. "Jetzt
verrät er sie sogar. Seine eigenen Leute. Aber nein, dies ist
nicht das Gesetz und es ist auch nicht unser Wille!"
"Du hörst, was sie sagen?" fragte der große
Schemen den Heerführer.
"Aber ...", Keseneites wusste nicht mehr, was er machen
sollte, denn auch die Worte fielen ihm nicht mehr ein, mit denen
er dem Spuk ein Ende hätte bereiten können.
"Höre jetzt gut zu, Mensch, denn ich werde es nur einmal
sagen!" der Schatten waberte und nahm eine schemenhaft menschliche
Gestalt an, in deren Gesicht zwei glühende Kohlen wie Augen
zu lodern schienen. Aber es war nichts menschliches an diesem Wesen!
"Die Krieger werden die Furt durch den Zy'à'émrohyl
bewachen. Jetzt und für alle Zeiten. Du aber wirst zur Ruhe
gebetet werden, damit du deinen Frieden machen kannst. Dies verlangt
das Gesetz!"
Keseneites atmete erleichtert auf, denn er hatte sich davor gefürchtet,
ebenfalls als Untoter in der Gegend zu spuken. Der Schatten winkte
den Kriegern und erteilte mentale Befehle, während Keseneites
bewusstlos in sich zusammensank. Sie legten ihn auf eine Trage und
die Schemen hoben in immenser Geschwindigkeit ein Grab aus, in das
der Heerführer hinabgesenkt wurde. Dort lag er eine Weile und
kam wieder zur Besinnung. Entsetzen spiegelte sich auf seinem Gesicht,
als er erkannte, dass er in einem Grab lag. Er versuchte sich zu
bewegen, aber er konnte nicht einmal einen kleinen Finger krumm
machen.
"Ihr Lügner!" rief er erbost und Tränen rannen
über sein Gesicht. "Ihr hattet versprochen ... Sagtest
du nicht, dass euer Gesetz ..."
"Schon", antwortete der große Schatten und senkte
sich in das Grab auf Keseneites hinab. Dort hockte er einen Augenblick
schweigend auf der Brust des Heerführers, dem das Atmen schwer
fiel. "Aber ich sagte nur, dass du ruhen würdest. Ich
habe nicht gesagt, dass du zuvor sterben wirst. Wie wir, die wir
in die Tiefen unter die Gynen-Aron zurückkehren werden, wirst
du hier verweilen. Doch wird dich kein Tor halten; wohl aber ein
Bannfluch, der mit dem deiner Krieger verknüpft ist. Sie werden
die Furt bewachen und alle Zwerge und auch Ky'ad'dèayi in
den Stunden ohne den großen Lichtbringer vernichten und zu
sich hinabziehen. Sollte dieser Fluch jemals gebrochen werden, so
wirst du dich aus deinem Grab erheben und wieder frei sein!"
Der Schatten verschwand und Erde wurde auf Keseneites geworfen,
der nun auch nicht mehr sprechen oder schreien konnte.
'Oh, ich vergaß dir zu sagen', setzte der Schemen mental hinzu,
'dass du dann nicht mehr Keseneites, der Mensch, sondern Hum'à'yiyén-Sym'drylr
sein wirst. Dies ist ein würdiger Name für einen Dämon
des Feuers!' Schallendes Gelächter begleitete den Abgang der
Schatten, während die Krieger das Grab ihres Heerführers
so richteten, dass niemand es finden konnte.
Mit dem Morgengrauen waren die Schatten durch das magische Tor in
ihren Verbannungsort zurückgekehrt und schon wenige Augenblicke
später erlosch der magische Spruch, der die Öffnung für
nur einen Tag und eine Nacht bewirkt hatte. Die Zeichen glommen
auf, die Tore verschlossen sich und die Siegel nahmen ihre alten
Positionen wieder ein, so dass dieser Weg auch mit aller Macht von
Innen alleine nicht beschritten werden konnte.
Magie war es auch, welche die Untoten in den Boden unter der Furt
und im Umland verschwinden ließ, gerade als die ersten Strahlen
der aufgehenden Sonne das entsetzliche Szenario an der Furt und
in den Auen beleuchteten.
*
Die
Alassar hatten unter Führung von Jabel die Furt fast erreicht,
als ihnen Syètch den Weg versperrte und sie so zum Halten
zwang.
"Keinen Schritt weiter, es ...!" er stockte, erkannte
das Banner des Hochkönigs und konnte dann unter den staubbedeckten
und ermüdeten Reitern den König selbst ausmachen. Schnell
kniete er nieder, aber Fgèhén'hufàr sprach
kurz mit dem Halbelfen und dieser brachte schluchzend die Geschichte
hervor, während Jabel zwar nicht verstand, was vorgefallen
war, aber sich nach einem Blick auf die immer blasser werdende Gesellschaft
durchaus vorstellen konnte, was passiert war. Ein Reiter saß
ab, überwandt die auch den Alassar anhaftende Abscheu gegenüber
Halbelfen und versuchte Syètch zu beruhigen. Der Magier übersetze
Jabel, was Syètch soeben berichtet hatte.
"Aber das ist unmöglich!" rief Jabel und sah sich
verwirrt um, als müsse er sich für die Taten seines Heerführers
entschuldigen oder rechtfertigen. "Kes hat niemals Magie benutzt.
Ich wusste nicht einmal, dass er überhaupt Ahnung davon hatte,
wie man auch nur eine Flamme magisch entzünden kann, um das
Lagerfeuer in Gang zu setzen ..."
"Und doch hat er es gewusst!" wetterte der Magier böse.
"Er wusste die Worte zur Öffnung der Tore zu den Màl'à'làhéyn,
einem Ort der ewiglichen Verbannung. Er hat einen Schrecken gerufen,
der älter ist, als selbst die ältesten Erstgeborenen.
Älter vielleicht, als einige der Götter! Wir können
von Glück sagen, dass er nur die Worte für die zeitweilige
Öffnung kannte, obwohl wir unbedingt herausfinden müssen,
woher er sie erfahren hat. Vor allen anderen Dingen aber müssen
wir uns an der Furt überzeugen, was genau geschehen ist. Wir
können nur so lange bleiben, wie es hell ist, denn es wäre
möglich, dass die Magie dieser Kreaturen etwas bewirkt hat,
dass weiter für sie im Dunkeln wirkt. Möglicherweise bekämen
wir es mit einer ganzen Armee von Untoten zu tun!" Er übersetze
kurz für die Elfen, die kein fornisch verstanden und der Hochkönig
quittierte die Worte seines Magiers mit einem grimmigen Nicken.
Syètch wurde - und das löste bei einigen anderen Alassar
Stirnrunzeln und einige geflüsterte dumme Bemerkungen aus -
auf das Gaya des Elfen gehoben, der sich offensichtlich mit ihm
zu verstehen schien. Vorsichtig näherten sie sich kampfbereit
der Furt, obwohl Rhynessar mit nachsichtigem Blick darauf hingewiesen
hatte, dass sie gegen magische Kreaturen nichts auszurichten vermochten.
Selten waren die Plätze gleich um den Hofmagier so beliebt,
wie zu diesem Zeitpunkt!
Sie
erreichten das Lager der Menschen und entsetzt sahen sie, was hier
vorgefallen war. Die durchscheinenden Körper der Toten verrieten
dem Magier sofort, dass all diese Körper nun als Untote gebannt
waren und sich irgendwo befanden, bis sie im Schutze der Dunkelheit
ihrem blutigen Geschäft nachgehen konnten. Fgèhén'hufàr
stieg ab und berührte mit beiden Händen den Boden. Er
zitterte am ganzen Körper, denn er vernahm überdeutlich
den Schmerz des Landes und der geschändeten Körper. Traurig
schüttelte er den Kopf und führte sein Gaya an den Zügeln
weiter, während auch die restlichen Krieger absaßen.
Nur der Magier, Syètch und Jabel blieben auf ihren Tieren.
Überall war der Boden mit Blut getränkt, selbst am Ufer
des Argenon standen noch einzelne Lachen in flachen Steinen. Dann
durchquerten sie die Furt und sie spürten, dass der Boden unter
ihnen zitterte. Rhènéssar trieb sein Gaya an und wurde
erst auf dem Ufer wieder etwas ruhiger.
"Dies ist ihr Ort", sagte er und wies auf die Furt "Dort
warten sie auf Zwerg und Elf, um sich zu rächen und der Seelenwesen
habhaft zu werden. Es ist ein komplexer Bann und er ist auf merkwürdige
Art und Weise mit einem Fluch gekoppelt, den ich noch nicht verstehen
kann. Aber es wird nicht mehr lange dauern!"
Sie erreichten das Lager der Zwerge und selbst einer der älteren
und erfahrenen Krieger der Alassar musste sich übergeben, als
er sah, was hier angerichtet worden war. Der Hochkönig dieser
Länder kniete nieder und weinte bitterlich, wie dieses Land
geschändet und welche Gräuel hier unnötigerweise
angerichtet worden waren. Dann rief er laut in der Sprache der Alassar
und alle Elfen senkten den Kopf für eine Weile.
" Fgèhén'hufàr nennt diese Furt fortan
die Gdnun-er-kéyuhyl", übersetzte der Magier traurig.
"Dies bedeutet in eurer Sprache soviel wie: Schlachtfeld-ohne-Ehre!
Niemand soll diese Furt betreten, wenn nicht die Strahlen des Himmelslichts
auf den Wellen des Flusses tanzen, denn sonst ist es nicht sicher
hier. Kein Alassar wird mehr in Rovanessanar wandeln, dass fortan
nach dem Willen der Menschen Rovan heißen soll. Die Elfen
wollen weder etwas von den Zwergen noch wollen sie etwas mit den
Menschen zu schaffen haben. Die Grenzen des Reiches im Süden
sind fortan geschlossen!"
Syètch sah Jabel betreten an, denn den Worten war nichts
mehr hinzuzufügen. Es mochte sein, dass der Hochkönig
seine Meinung noch änderte, aber an diesem grauenvollen Ort
war sicherlich nicht der richtige Platz, um mit Fgèhén'hufàr
über seine Entscheidungen zu diskutieren.
Lange
Zeit nach Mittag traf ein weiterer Tross einer Einheit aus Alassanar
und auch ein kleinerer Trupp Menschen, die ihre Toten begraben wollten
ein. Schon bald mussten sie erfahren, was vorgefallen war und was
der Hochkönig der Elfen angeordnet hatte.
"Und es sieht so aus", stellte Rhènéssar
vor einer Versammlung aller Anwesenden am Nachmittag fest, "dass
dieser Bann mit einem Fluch gekoppelt ist. Sollte der Bann gebrochen
werden, so sind wir zwar die Untoten los, aber dafür wird sich
Keseneites als Feuerdämon erheben. Ich gebe zu bedenken, dass
es ein leichtes wäre, den Bann zu brechen, aber der Fluch kann
nicht rückgängig gemacht werden. Ganz abgesehen davon
sind die Feuerdämonen ewiglich wie die Götter selbst.
Sie können nicht vernichtet werden! Dazu kommt, dass die Wirkung
des Bannes auf diese Furt begrenzt ist, der Fluch jedoch nicht ortsgebunden
ist. Ich schlage vor, es bei den Untoten zu belassen, die Furt zu
meiden und den östlichen Quellenweg vielleicht ganz zu versperren,
anstatt sich mit einem umhergeisternden Feuerdämon anzulegen."
Die Kompetenz des Magiers in dieser Angelegenheit wurde in keinster
Weise in Frage gestellt und so blieb es wie es war, während
die Menschen die Zwerge begruben. Oder zumindest das, was von ihnen
übrig geblieben war.
Dann
entfernten sich Elfen, Menschen und ein Halbelf schnellstmöglich
aus der Reichweite des Bannes an der Furt durch den Argenon und
sie alle trugen die traurige Kunde ins Land. Am Schlimmsten traf
dies jedoch die Beziehungen zwischen den Alassar und den Zwergen,
da die Elfen sich hintergangen fühlten. Dennoch vermieden beide
Parteien einen Krieg, sondern beschränkten sich darauf, sich
gegenseitig möglichst zu ignorieren, bis sich nach vielen Jahrhunderten
endlich wieder Erleichterungen im Handel und beim Reisen bewerkstelligen
ließen.
*
An
der Gdnun-er-kéyuhyl geschahen jedoch im Laufe der Zeit merkwürdige
Dinge. Einige Reisende wollen das Wasser des Argenon rückwärts
fließen gesehen haben, andere berichten von einer eisigen
Kälte inmitten der Furt im Hochsommer. Wieder andere erzählten
haarsträubende Geschichten, wie sie in letzter Minute den Klauen
der Untoten entkamen oder sich geifernde Kreaturen aus den Büschen
über sie herzumachen versuchten.
Ob diese Geschichten stimmen, kann letztlich nicht mit Sicherheit
gesagt werden. Tatsache ist jedoch, dass die Gdnun-er-kéyuhyl
lange Zeit ein beliebtes Studienobjekt der Magier aller Rassen blieb.
In einem Bericht an den Hohen Oya, den Herrscher über die Magier
in den Reichen von Ur, schreibt jedoch ein Kundiger der Gun, der
Steine der Magie, dass der Bannfluch so eng mit dem Fluch um Keseneites
verwoben ist, dass empfohlen wird, alles Wissen um die Geschehnisse
an der Furt der Vergessenheit anheim fallen zu lassen. Weiter schlug
der Magier vor, die Geschichte als Legende darzustellen und die
Geschehnisse soweit wie irgend möglich herabzuspielen, damit
niemand auf die Idee kommen würde, den Bann aufzuheben, da
dieser nicht sonderlich kompliziert sei.
Die Alassar kümmerten sich nicht mehr um die aufgegebenen Länder,
auch wenn sie Larn in der nähe der Furt des östlichen
Quellenwegs durch den Tumbach als Freigrafschaft behielten. Es sollte
Jahrhunderte dauern, bis die Menschen bis nach Bungjenen durften,
um dort Handel mit den ansässigen Elfen zu treiben.
Es
wurde ruhig um die merkwürdige Furt, denn sie wurde des Nachts
gemieden. Es geschahen nur noch sehr selten merkwürdige Dinge,
aber die Phantasie half nach, wo nichts geschah. So hat die Furt
bis heute ihren Ruf als Schlachtfeld-ohne-Ehre gehalten und gilt
als eine der unsichersten Stellen auf Gunya!
© 1991, Thomas Klaus
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