Gdnun-Er-Kéjuhyl

Das Schlachtfeld ohne Ehre

 

Die Geschichte um die Furt durch den Argenon ist legendär auf der Welt Gunya, meinem ersten größeren Projekt, auf dem auch der Roman "Winde des Krieges" beheimatet ist. In eben diesem Roman rastet eine Abenteurergruppe an der Furt wobei sie durch den uralten Fluch heimgesucht und später beim durchwaten des Flusses angegriffen werden. Ihr Führer, der Séhéta-Elf Torm, erzählt ihnen in seinen Worten von den grausamen Ereignissen, als in den alten Tagen ein Heer der Zwerge unter dem Kriegstaîn Gubgrulum auf das erste Heer der vereinigten Menschen unter ihrem Anführer Keseneites stießen. Es kam zu einem grausamen Gemetzel, bei dem die auf Gunya allgegenwärtige Magie eine wesentliche Rolle spielt.

Die folgende Geschichte wird so wiedergegeben, wie die unbeteiligten Séhéta sie niederschrieben und erzählen. Im Roman ist die Erzählung natürlich kürzer, weshalb ich an dieser Stelle auch den entsprechenden Auszug zur Verfügung stelle.

Später kam mir die Idee, dass die verschiedenen Völker dies durchaus aus einem anderen Blickwinkel in ihre Historie aufgenommen haben, weshalb ich eben diese Geschichten auch niederschreiben wollte. Während "Gubgrulum" bereits fertig ist und die Ereignisse aus der Sicht der Zwerge schildert, harrt "Keseneites" bedauerlicherweise immer noch der Fertigstellung.


- Gdnun-Er-Kéjuhyl
- Torms Bericht aus "Winde des Krieges"
- Gubgrumlum
- Keseneites

Empfohlene Erzählung bei .

 

 

 

Die Sytyn dr'Ygolar, die Hohen und Heiligen Schriften der Wakanéé und Séhéta, schreiben das Jahr 188 eines Zyklus, den die Elfen später das 'Zeitalter-der-Tränen' und die 'Zeit-der-Talmas' nennen werden. Die Stämme verschiedener nomadisierender Menschen streunen im Osten von Ur umher und versuchen mühselig, sich gegen die dominanten Elfen durchzusetzen und ihnen wenigstens einen kleinen Flecken abzutrotzen.
Doch die Elfen der Südländer plagen andere Probleme, denn die Séhéta unterlagen den finsteren Mächten vor nunmehr achtundsiebzig Jahren. Die Anführer dieser unseligen Horden aus dem benachbarten Lilinu sind die Talmas, Steingeister die ungeheuer mächtige Magie bewegen können. Diese Talmas etablieren sich weiter in Lilinu und es steht zu befürchten, dass sie entweder über Eriu'ur im Westen herfallen oder aber die Länder Urs heimsuchen.
Die Menschen könnten sich einigermaßen sicher wähnen, wenn sie nicht den Fehler gemacht hätten, die Zwergenreiche im Norden des Pittanmassivs anzugreifen. Sturheit und Unnachgiebigkeit der Zwerge führte dazu, dass eine gewaltige Streitmacht dieser kleinwüchsigen Rasse die Menschen gnadenlos auszurotten versuchte und auch vor den Grenzen der Elfenreiche nicht halt machte. Hätten die verschiedenen Führer der Menschen gewusst, dass die Alassar-Elfen Verträge mit den Zwergenherrschern hatten, die ihnen dieses Verfolgen gestatteten, wären sie sicher nicht nach Ur gekommen. Ihr einziger Fluchtweg, der Rovsteig zur Acheuel-Wüste hin, war bereits durch eine weitere aus dem Osten anrückende Streitmacht der Zwerge blockiert, im Norden eilte ein sehr rachsüchtiger Kriegstain der Zwerge namens Gubgrulum mit seinen Männern heran und im Süden befand sich eine gut bewachte und gesicherte Grenze, da man auf diesem Wege nach Ogywyen und damit ins Herz der Elfenreiche in den Südländern gelangte.
Die verschiedenen Gruppen der Menschen taten das einzig vernünftige, indem sie sich zu einem großen Heer zusammenschlossen und einem Mann folgten, dessen Charisma alle für sich einnehmen ließ. Außerdem war er der erfolgreichste Führer einer recht großen Gruppe, die Gubgrulum schon so oft arg zugesetzt hatte, dass der Hass des Zwerges sicher nicht unbegründet war. Der Name dieses Menschen war Keseneites, ein Name, den so manchen Zwerg bis zur Weißglut reizen konnte!

Die von den Elfen in Rovanessanar tolerierten Menschen hatten viele Siedlungen angelegt, einen eigenen Herrscher gewählt und nannten das Gebiet Rovan. Rovan zahlte Steuern an die Alassar und genau deshalb wurden sie offensichtlich in Ruhe gelassen. Die Menschen zeigten sich ebenso tolerant und die in Rovanessanar lebenden Waldelfenstämme und -gruppen kamen mit den Menschen gut zurecht. Streit gab es kaum, aber jetzt wurde diese Idylle von den sich nähernden Truppen der Zwerge bedroht. Es war klar, dass die Zwerge und ganz besonders Gubgrulum! keinen Unterschied zwischen den streunenden Gruppen der Menschen und den friedlichen Dorfbewohnern machen würden, wie es klar war, dass die Alassar ganz sicher nicht einmal auch nur einen Bogenschützen zum Schutze der Menschen schicken würden.
So wurde Keseneites und sein gewaltiger Anhang die erste offizielle Streitmacht Rovans!

Die Heere prallten in den Wäldern der rovanischen Ebene zwischen Ygjegy und Argenon zusammen. Es fanden unerhörte Gemetzel statt, die später in historischen Berichten als ungeheuerliche Schlachten und nicht einmal mehr als Krieg bezeichnet wurden, obwohl diese Umschreibung die begangenen Gräuel noch in den Schatten stellte. Aber dann bissen sich die Truppen an einer Furt des Quellenweges durch den Zy'à'émrohyl, der später von den Menschen Argenon genannt wurde, fest. Die Menschen saßen in den Wäldern und Auen auf dem westlichen Ufer, während sich Gubgrulum mit seinen Mannen auf dem östlichen Gebiet eingrub.
Völlig sinnlose Gemetzel färbten die Wasser des Flusses oftmals rot, bis erbleichte und entsetzte Kundschafter der Elfen, dem Hochkönig im fernen Talys-Nessen von diesen Gräueln berichteten. So entsandte dieser Botschafter nach Gryndra, dem Sitz des Zwergenherrschers und auch nach Kasnor, dem Sitz des selbstgewählten Regenten der Menschen in Rovanessanar. Die Elfen versuchten zu vermitteln, aber zunächst einmal kam dabei nichts zustande. Doch dann drohte der Elfenkönig damit, die Verträge mit den Zwergen zu kündigen und die Menschen aus seinen Ländern hinauszuwerfen, wenn diesem sinnlosen Abschlachten nicht ein Ende gemacht würde!
Die Drohung zeigte Wirkung und Menschen und Zwerge sprachen sich in Talys-Nessen aus. Es wurde ein Friedensvertrag geschlossen, in dem auch das Gebiet Rovanessanars endgültig an die Menschen abgetreten wurde.

Doch Verträge, die diejenigen schließen, die sich nicht seit Jahren und Jahrzehnten befeindet haben, sind nur so viel wert, wie das Papier, auf dem sie geschrieben sind! Gubgrulum hatte nie die Absicht, sich an etwas derartig perverses zu halten. Für ihn waren die Menschen der Abschaum, der vielleicht zur Verrichtung der schmutzigen Arbeiten in den Minen taugte! Ganz sicher aber galt ihnen - und insbesondere Keseneites - sein unabänderlicher Hass und die Absicht, die Menschen vom Antlitz dieser Welt zu vertilgen ...

***


"Verdammt noch mal, Kes!" der Hauptmann war völlig außer sich. "Was machen wir hier eigentlich? Wir kommen seit Monaten nicht von hier weg."
"Beruhige dich bitte, Jabel", beschwichtigte der hünenhafte Keseneites und legte seine Pranke auf die linke Schulter des Mannes. "Ich sehe, was vor sich geht und ich weis, dass dieser vermaledeite Zwerg nur darauf wartet, dass wir uns bewegen. Wir sitzen hier wie das Gaya inmitten einer Horde Ridibus und wissen nicht genau, wann uns eines der Viecher die Augen aushacken wird. Wir haben gegen die versammelten Heere von Gubgrulum in offenem Gelände nicht auch nur andeutungsweise eine Chance!"
"Aber es sind wieder weit über hundert Tote zu beklagen! Der Angriff in der Furt ...", der Hauptmann schluchzte. "Aber wenigstens haben unsere Männer mehr Zwerge in den Boden gestampft, als Gubgrulum lieb sein kann. Sie werden es auch langsam müde."
"Glaube mir, Jabel, es ist Gubgrulum vollkommen egal, wie viele seiner Leute draufgehen. Er ist nicht derjenige, der die Toten zählt, sondern lediglich schaut, dass er noch genug Leute hat, um uns auszurotten. Und zahlenmäßig kann er uns allemal fertig machen! Wir müssen an dieser verdammten Furt bleiben und darauf hoffen, dass die Alassar irgendwie einen Vertrag zustande bringen, der uns die Zwerge vom Halse hält."
"Es wäre einfacher, wenn die Langohren mit einem vernünftigen Heer anrücken!" sagte Jabel bitter. "Die Zwerge werden sich nicht mit denen anlegen wollen."
"Überlege doch einmal", Keseneites sah seinen schmutzigen und verletzten Hauptmann müde an, "warum die Elfen das für uns tun sollten? Wir sitzen in ihren Ländern und haben sie vorher nicht einmal gefragt, ob wir hier siedeln dürfen. Jabel, erinnerst du dich daran, dass wir alle streunende Räuberbanden waren? Dieser Ratsherr in Kasnor hat uns irgendwann einmal gesagt, wir wären jetzt die Landesverteidigung! Jabel, was oder wen verteidigen wir eigentlich? Wir haben kein Land, dieser Mensch in Kasnor ist nicht der Regent von irgendwas, sobald den Alassar einfallen sollte, wir würden sie hier stören. Lass die Elfenheere wo sie sind, sie könnten genauso gut gegen uns eingesetzt werden. Und was das bedeuten würde, brauche ich dir sicher nicht zu erklären! Eine solche Schlacht würde nicht einmal einen Tag dauern!"
"Es kann diesem Wirrkopf von einem Zwerg doch jederzeit einfallen, über die Siedlungen herzufallen. Kes, was sollen wir denn nur tun?"
"Wir werden hier sitzen und warten", entgegnete der frustrierte Heerführer, "denn ich habe schon einmal gesagt, dass Gubgrulum uns auf dem offenen Feld nicht nur zahlenmäßig weit überlegen ist. Er hasst die Wälder und Zwerge hassen Wasser, also bleiben wir an dieser Furt. Wenn es ihm einfällt, die Siedlungen anzugreifen, kann ich es nicht ändern. Aber ich bin sicher, dass er sich voll und ganz auf uns konzentriert, denn in seinem kranken Hirn habe ich ihn alleine bloßgestellt. Er wird nicht eher Ruhe geben, bis er mich erwischt oder sein eigener König ihn zurückpfeift. Und dass, bei allen Göttern Jabel!, wird hoffentlich bald geschehen, denn sonst, Wald und Wasser hin oder her, wird Gubgrulum uns einfach niedertrampeln!" Heerführer und Hauptmann verließen das Zelt, um sich unter ihre Männer zu mischen, die Verwundeten zu besuchen und den Verzweifelten Mut zuzusprechen. Und leider auch, um wieder einmal festzustellen, wie viele heute wieder fahnenflüchtig waren ...

Wer Gubgrulum kannte, wusste nur zu genau, dass eine sogenannte Lagebesprechung ganz sicher nicht dazu diente, dass irgendjemand außer dem Kriegstain den Mund hätte aufmachen dürfen. Wenn Gubgrulum anwesend war, sprach Gubgrulum! Der Rest durfte zuhören oder ansonsten günstigstenfalls damit rechnen, hinausgeworfen zu werden. Dennoch war an diesem Tag alles anders und die in der rauen Sprache der nordischen Zwerge geführte Debatte erregte die Gemüter der Anwesenden.
"Bei den Höhlen von Gryndra!" brüllte der Kriegstain und alle anderen Anwesenden verstummten. "Wollt ihr wohl endlich ruhig sein! Euer Gewäsch raubt einem den Verstand. Wenn noch einmal jemand in Erwägung zieht, diese Menschenbastarde abziehen zu lassen, werde ich ihn als Verräter hinrichten lassen. Mit Freude werde ich das Beil selbst schwingen!"
"Aber Hochkönig Ameratat verhandelt mit diesem Menschen in Kasnor, den sie ihren Führer nennen und ..."
"Es ist mir vollkommen egal", schrie Gubgrulum und ergriff den Sprecher am Kragen, "was der senile Ameratat im Süden treibt! Unser König ist Harvatut von Hug-R-Zelam und der hat mich beauftragt, diese Menschen auszurotten."
"Hat er nicht!" fiel einer der jüngeren Hauptleute dem Heerführer ins Wort und die umstehenden Zwerge wurden bleich, wenn sie daran dachten, was gleich geschehen würde.
"Was!?" Gubgrulum kochte vor Wut und sein Gesicht wurde krebsrot.
"Ich sagte", wiederholte der Zwerg ruhig, "dass er nicht gesagt hat, dass ihr sie ausrotten sollt. Er sagte lediglich, dass ihr alle Vollmachten habt, den Horden eine Lektion zu erteilen, die sich an unserem Eigentum vergriffen und uns überfallen haben. Vergesst nicht, dass ich ebenfalls einen Clan anführe und bei der Audienz zugegen war!"
"Das ist Hochverrat!" die Stimme des Kriegstains überschlug sich fast. "Verdammt, dafür werde ich euren Kopf abschlagen lassen!"
"Dazu habt ihr kein Recht", konterte der junge Zwerg und wurde selbst langsam ärgerlich, "und irgendjemand muss euch langsam einmal sagen, dass euch niemand beauftragt hat, sämtliche Clans zu führen. Außerdem habt ihr auch als Kriegstain nicht die Vollmacht, Recht im Namen des Königs zu sprechen."
"Dann spreche ich eben in meinem Namen Recht! Schluss jetzt! Ich bleibe dabei, dass wir in der Nacht angreifen und damit befehle ich euch, dass ihr jetzt verschwindet und mich in Ruhe last."
"Ein solcher Angriff ist ebenso absurd", gab der Jüngere keine Ruhe, obwohl er einen Ellbogen in seinen Rippen spürte, "wie es all die anderen vorher auch schon waren. Wir sitzen hier in einer Position, die Keseneites erlaubt, uns gegen ihn anrennen zu lassen, ohne einen entscheidenden Erfolg verbuchen zu können. Wenn wir abziehen, wird er sich vielleicht aus diesen Wäldern fortbewegen und wir können ihm eine Falle stellen."
"Quatsch!" tobte Gubgrulum. "Dieser Oberbastard wird sich keinen Finger breit aus diesem Wald bewegen. Das ist keine reguläre Armee, sondern ein Zusammenschluss von streunenden Räubern und Meuchelmördern. Wenn es euch gefällt, Clanlord Avaksain, verzieht euch mit eurem armseligen Haufen. Aber verschont mich mit eurem kindischen Gewäsch! Wir werden siegen, wenn es an der Zeit ist. Und, bei Key-eyx!, ich schwöre euch, dass wir uns über eure Vermessenheit vor Harvatut unterhalten werden. Raus jetzt hier!"
Murrend und meckernd verschwanden die Clanlords und Gruppenführer, während Avaksain im Zelt verblieb. Gubgrulum funkelte ihn böse an.
"Was noch?" maulte er überreizt. "Wollt ihr mir noch mehr meiner kostbaren Zeit stehlen? Spekuliert ihr darauf, dass ich euch den Kopf nicht abschlagen lasse, nur weil ihr ein Clanlord seid?"
"Nein, Lord Kriegstain Gubgrulum", Avaksain benutzte mit ironischem Unterton den vollen Titel seines erheblich älteren Gegenüber und grinste ein wenig, "genau daran zweifle ich nicht eine Sekunde. Aber ihr habt sicher subtilere Methoden, einen unliebsamen Gegner aus dem Wege zu räumen. Ich denke an meinen Freund Gwinndrud und an einige, die ich weniger gut kannte. Sie alle hatten etwas gemeinsam, da sie gegen euch opponierten. Darüber werden wir uns in der Tat vor Harvatut unterhalten müssen." Er wandte sich zum Gehen, blieb jedoch am Ausgang noch einmal stehen und sah den kurz vor der Explosion stehenden Gubgrulum fest an. "Und denkt dann, großer Kriegsmeister, dass ich stets unter meinesgleichen schlafe und von heute an mein Essen selbst zubereite. Des weiteren wird Clan Biaute morgen abziehen! Gute Nacht."
Gubgrulum konnte nicht fassen, was sich dieser Schnösel erlaubte und tobte in seinem Zelt herum, bis er alles kurz und klein geschlagen hatte, was es zu zerschlagen gab. Der große Heerführer blieb schließlich auf seinen Knien liegen und hieb wieder und wieder mit beiden Fäusten auf den Boden ein, bis er mit irre funkelnden Augen und Schaum vor dem Mund in Berserkerwut aus dem Zelt tobte und in die nahen Wälder stürzte. Dort erging er sich in ausufernden Beschimpfungen und zerfetzte kleine Gewächse, während sich alles Getier schnellstmöglich in Sicherheit brachte. Die Wachen ließen ihn gewähren und auch alleine in den Wald stürzen. Niemand hätte sich Gubgrulum in seinem Zustand in den Weg gestellt! Jedenfalls niemand, der auch nur andeutungsweise seine Sinne noch beisammen hatte.

Noch anderthalb Stunde dauerte der Tobsuchtsanfall, bis Gubgrulum einigermaßen ermattet an einem kleinen Teich ankam und am Rande zusammenbrach. Er trank ein wenig, musterte dann die gekräuselte Oberfläche und schließlich umspielte ein mildes Lächeln seine Lippen und verlieh seinem harten Gesicht einen noch irrwitzigeren Ausdruck. Dann wartete er mit einer Geduld, die sein sonstiges Temperament Lügen strafte, darauf, dass die Oberfläche des Teiches sich wieder glättete. Als dies endlich geschehen war, lehnte sich der Kriegstain über die Wasseroberfläche und betrachtete schmunzelnd sein Gesicht. Dann begann er in einer sehr dumpfen und merkwürdigen Sprache einen rauen Singsang zu intonieren und wartete. Eine unnatürliche Düsternis umfing den Teich und die nähere Umgebung und Gubgrulum fror ein wenig, ob der massiven Kälte ringsumher. Die Oberfläche des Teiches gefror schließlich und die Eisschicht wurde dicker und dicker. Dann tauchte eine Gestalt in dem Wasser darunter auf, die zu schlafen schien und plötzlich entsetzt erwachte.
Clanlord Avaksain befand sich inmitten eines eiskalten Teiches und über ihm winkte ihm Gubgrulum freundlich zu. Welch ein Alptraum! Der Clanlord strampelte sich aus seiner Decke - was er in der Tat auch im Lager bewerkstelligte - und wollte atmen. Es strömte eisiges Wasser in seine Lungen und er hustete und spuckte im Lager Wasser aus, während seine Krieger und Freunde ihn zu wecken versuchten, um zu erfahren, was mit ihm los sei. Doch der Griff des Alptraumes war stärker und hielt den Clanlord in dem Teich gefangen! Avaksain versuchte aufzutauchen, stieß aber gegen eine massive Eisschicht, auf der jetzt der Kriegstain laut lachend stand und auch noch mit seinen schweren Stiefeln darauf herumstampfte. Die Eisschicht bekam nicht einmal andeutungsweise einen Knacks! In einem letzten Aufbäumen schlug Avaksain mit seinem Schädel gegen die Eisschicht und Blut strömte völlig unerwartet aus eine großen Platzwunde auf der Stirn, während sich seine Leute und ein Heiler im Lager nicht erklären konnten, was überhaupt vor sich ging.
Auf die Idee, dass es sich um einen magischen Alptraum handelte, kam Avaksain nicht, denn sonst hätte er sich sicherlich darauf konzentriert endlich aufzuwachen. So ertrank er, inmitten seiner Freunde und Clanmitglieder auf trockenem Land in der Nacht, bevor der entscheidende Schlag gegen die Menschen geführt werden sollte.
Gubgrulum konnte sich vor Freude kaum noch einkriegen, als er die Alptraumvision langsam verblassen lies und sich auf den Rückweg machte. Er fand das Lager in Aufruhr und ordnete gleich an, dass es etwas gesitteter zugehen könnte, auch wenn er sich zu einem Spaziergang im Wald befand. Gubgrulum begab sich zum Lager des Clans Biaute und fand dort alles in großem Durcheinander. Er verschaffte sich mit harschen Worten Ruhe und sorgte für eine Art Ordnung, die zwar nicht seinen Vorstellungen entsprach, aber immerhin dafür Sorge trug, dass ihm die notwendige Beachtung zuteil wurde. Ein Heiler erklärte dem Kriegstain, dass der Clanlord auf dem trockenen Land offensichtlich ertrunken sein musste. Hier und dort hörte Gubgrulum unterschwellige Anschuldigungen gegen ihn, wussten doch alle nur zu gut, dass sich ihr oberster Kriegsherr in frühen Tagen bereits mit der praktischen Magie beschäftigt hatte und dabei vor den übelsten Dingen nicht zurückgeschreckt war. Es ging das Gerücht, dass er den König bedroht hatte und dadurch seinen Posten als Heerführer erhalten hatte. Gubgrulum war alles andere als eine Autorität auf dem Gebiet der Kriegskunst.
Gubgrulum ordnete eine Trauer an, sprach sein Mitgefühl aus und marschierte darauf zu seinem Zelt, um sich endlich zur Ruhe zu begeben. Er instruierte die Wachen, dass Lager der Biautes zu umstellen und niemanden heraus zu lassen.
In seinem Zelt fand er allerdings statt der erwähnten Ruhe einen Botschafter in den dunklen Farben der Zwerge des Südens vor und er runzelte die Stirn ob dieser Unverfrorenheit.
"Was, bei Key-eyx, ... ", begann er, wurde aber mit einer raschen und herrischen Handbewegung zum Schweigen gebracht.
"Seid ihr Lord Kriegstain Gubgrulum?"
"Ja und ..."
"Ich bin Lordmeister Apulaksar", unterbrach der Fremde und erhob sich von einem noch einigermaßen intakten Stuhl, "Gesandter unseres großen Hochkönigs Ameratat mit einem Befehl für euch."
"Was fällt euch eigentlich ein?" brüllte Gubgrulum wütend und vergaß seine gute Laune augenblicklich. "Von euch Feiglingen hat sich nicht ein einziger in den vergangenen Jahren hier blicken lassen! Wir kämpfen seit Jahren gegen diese räuberischen Bastarde und haben herbe Verluste hinzunehmen und jetzt kommt ihr anstelle einer Armee, um mir Befehle zu erteilen! Wer hat euch hier überhaupt hereingelassen? Macht euch davon, ihr ..."
""Halt!" auch Apulaksar war jetzt ernsthaft wütend, denn so hatte noch niemals jemand mit dem offiziellen Repräsentanten des Hochkönigs gesprochen. "Gubgrulum, ihr seid wohl von Sinnen, wie? Wollt ihr die Befugnis von Ameratat, unserem geliebten Hochkönig, euch Befehle zu erteilen, etwa in Frage stellen? Dies wäre Hochverrat!"
"Hochverrat?" kreischte der Zwerg und es hätte nicht viel gefehlt und er hätte die Kriegsaxt ergriffen, um den Gesandten zu erschlagen. Doch er besann sich eines besseren und versuchte, sich unter Kontrolle zu halten. "Verzeiht mir, Lordmaster, aber es war ein grauenvoller Tag. Wir haben große Verluste aufgrund der Feigheit eines ganzen Clans einstecken müssen, als diese ihre Posten aufgaben und wie die Gisgars rannten. Dann hat es einen Clanlord durch eine rüde magische Attacke des Feindes erwischt, der vor wirklich nichts zurückschreckt. Und zu allem Überfluss finde ich euch unangemeldet in meinem Zelt vor. Natürlich stelle ich nicht in Frage, dass der Hochkönig letztendlich die Entscheidung zu fällen hat."
"Also", beruhigte sich auch Apulaksar schnell wieder, da er als Diplomat diesen Vorfall beflissentlich zu übergehen gedachte, um nicht irgendwelche Streitigkeiten unter den Königen der Zwergenreiche zu entfachen, "dann kann ich euch die Nachricht nun übermitteln?"
"Natürlich", Gubgrulum schwitzte und rang mit den Händen und obendrein um seine Fassung.
"Am heutigen Tage hat der Vermittler des Hochkönigs, Lordmeister Thanagram, mit dem Repräsentanten der Menschen in Kasnor einen Friedensvertrag geschlossen. Damit sind alle Kampfhandlungen sofort einzustellen, weshalb ich auch eiligst hier hergeritten bin, da alle Schwellen zerstört wurden!"
"Einen Friedensvertrag?" schrie Gubgrulum und verlor fast wieder seine Fassung. "Wie kann er so etwas nur zulassen? Weis er denn nicht, was diese räudigen Hunde uns im Norden angetan haben? Ich ..."
"Kriegstain Gubgrulum!" der Unterton war dem hysterischen Zwerg Warnung, dass auch Apulaksar sich nicht unentwegt anbrüllen lassen würde. "Euer König Harvatut hat diesen Plan eingebracht und unterstützt, da ihm die vielen Leute zur Landesverteidigung und für sonstige Arbeiten fehlen. Offenkundig war er wohl nicht in der Position, seinen Kriegstain zurückzurufen, da er ihm zu viele Vollmachten eingeräumt hatte! Wie dem aber auch immer sei. Mit dem Vertrag soll dem Gemetzel nun endlich ein Ende gemacht werden. Der Friede gilt mit sofortiger Wirkung, Gubgrulum. Ich erwarte, dass ihr spätestens Übermorgen von hier in Richtung Norden abrückt."
"Das Land hier gehört nicht den Menschen, wie kann er einen Friedensvertrag mit ihnen schließen? Die Elfenbrut wird sich ..."
"Gubgrulum!" brüllte jetzt der Gesandte. "Was denkt ihr euch eigentlich? Es ist keine Elfenbrut, sondern es sind seit Jahrhunderten unsere Freunde und Verbündeten! Wollt ihr Krieg mit allen Völkern und Rassen dieser Welt?"
"Und wenn schon!" fuhr der Kriegstain dazwischen und sah sich nach der Zeltwache um. Die war jedoch anderweitig beschäftigt. "Habt ihr die Kunde schon verbreitet?"
"Ich dachte", erwiderte der Gesandte müde, "der Heerführer sollte eine solche Nachricht als Erster erhalten."
"Danke", entgegnete Gubgrulum mit ätzendem Unterton. "Ich werde euch euren Schlafplatz zeigen." Er marschierte drauflos und Apulaksar folgte dem Kriegstain ohne Argwohn.
"Zu Keseneites ist ein Kundschafter unterwegs, der ihm die gleiche Nachricht bringt?" wollte Gubgrulum wissen.
"Ich sagte es bereits!"
"Nun gut, dann besteht ja die Hoffnung, dass endlich Ruhe einkehrt", der Kriegstain dachte bereits darüber nach, wie er eine solche Situation zu seinem Vorteil ausnützen konnte.
Apulaksar schlief in einem Zelt weit abseits des gewöhnlichen Lagers ein und sollte niemals wieder aufwachen! Gubgrulum wob seine Magie um dessen Träume, so dass er auf ewig darin gefangen sein würde. Niemand wusste etwas von dem Kundschafter, niemand wusste, was er zu berichten hatte. Der Kriegstain verfiel in ein hämisches Gekicher und bemerkte nicht die neugierigen Blicke anderer Zwerge, die seinen Weg kreuzten. Einige schüttelten den Kopf. Er ließ die Wachen wissen, dass es in dieser Nacht keinen Angriff geben würde, da er seinen Plan geändert habe, legte sich hin und schlief einen tiefen und erholsamen Schlaf.
Allein in seinen Träumen war alles in heller Aufregung: Er sah sich als der Sieger der kommenden Schlacht und trat mit dem Kopf Keseneites in der Hand vor Havatut, der vor seinem großen Kriegstain niederkniete. Dann blickte der entsetzte König jedoch auf den Kopf in der anderen Hand des Kriegstains. Der lächelnde Gubgrulum, auf seinem Haupt die Krone Ameratats, hielt am ausgestreckten linken Arm den Kopf des Hochkönigs der Alassar! Mit diesem Anblick in seinem Traum umspielte ein zufriedenes Lächeln den Mund des schlafenden Gubgrulum, dann erging er sich in weiteren süßen Träumereien.

Gubgrulum rief sehr früh seine Kriegs- und Clanlords zu sich und an diesem Morgen schien er seltsam befriedigt und ruhig zu sein. Er redete nicht lange Drumherum, sondern kam gleich auf den Punkt.
"Unser hochverehrter König hat es eingefädelt, dass Keseneites ein falscher Kundschafter die Nachricht überbringt, dass ab sofort Frieden herrscht!" sagte er mit Nachdruck. "Dies ist natürlich nicht der Fall! Wir werden zum Schein darauf eingehen, uns diesem Frieden beugen und ein gemeinsames Fest feiern. Ich nehme an, die verblödeten Menschen werden nur zu gerne darauf eingehen. In diesem Falle gibt es Wein als Schlaftrunk für diese Bastarde, den wir mitbringen werden, während wir deren Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Ich gebe zu, dass es sich nicht um die ehrenvollste Methode handelt, aber ich bin es leid, noch mehr Leben aufs Spiel zu setzen. Immerhin hat sich Keseneites jedem fairen Kampf entzogen und hier in die Wälder geflüchtet!" Gubgrulum klang betont ruhig und gelassen, so dass er verschiedentlich sogar Zuspruch aus dem Lager seiner Gegner erhielt.
"Außerdem", setzte der Kriegstain noch nach, "darf ich noch einmal daran erinnern, dass es sich um einen Zusammenschluss von Räubern, Wegelagerern und Mördern handelt. Keseneites befehligt keine regulären Heerscharen, sondern ist der Anführer einer verkommenen Bande minderwertiger Menschen, die in der Vergangenheit nichts besseres zu tun hatten, als harmlose Zwerge zu überfallen!" Bei den letzten Worten wurde seine Stimme wieder von einer abgrundtiefen Leidenschaft gegen alles menschliche getrieben.

*

Der Botschafter erreichte das Lager von Keseneites nach einigen Umwegen, da es nicht unbedingt leicht zu finden war. Unterwegs war er von verschiedenen Spähern aufgehalten worden und so betrat Syètch, ein Halbelf, das Zelt des Heerführers erst mit dem Einbruch der Dämmerung. Im Gegensatz zu einigen der Menschen um Keseneites, war dieser ohne Argwohn und begrüßte seinen Gegenüber freundlich, da es ihm vollkommen egal war, welcher Herkunft Syètch sein mochte.
"Der Krieg ist beendet, Lord Keseneites", der Halbelf verbeugte sich und seine Freude über die Botschaft, die er überbringen durfte, ließ ihn die Schmährufe vieler Menschen im Lager wieder vergessen, "und ihr sollt sofort alle Kampfhandlungen einstellen. Ich übergebe euch die Nachricht mit dem Siegel unseres Ratsherren in Kasnor, dem Siegel des Hochkönigs der Alassar und der Zwerge." Er hielt dem völlig überraschten Keseneites die gesiegelte Pergamentrolle hin, der sie mit zittriger Hand entgegennahm.
"Nach so langer Zeit ...", murmelte er und sein Blick schien hinter Syètch in die Ferne zu schweifen. Einen Augenblick verhielt er in seinen Gedanken, doch dann wandte er sich mit freundlichem Grinsen wieder dem Halbelfen zu. "Eine wahrhaft gute Nachricht, Botschafter. Und wir betrachten es als ein besonderes Zeichen der Versöhnung, dass gerade ihr die Nachricht überbringt. Wirklich und wahrhaftig, dieser Tag soll gefeiert werden!"
"Ein gewisser Lordmeister Apulaksar wird gemäß der Absprache und den Bedingungen im Vertrag dem Kriegstain Gubgrulum heute eine ebensolche Rolle überbringen, in der ihn Hochkönig Armeratat auffordert, die Kriegshandlungen sofort einzustellen und wieder in seine Heimat zurückzukehren." Damit beantwortete Syètch die offensichtliche Frage von Keseneites, der zufrieden nickte und er wandte sich zu Hauptmann Jabel um, der den Halbelfen kritisch musterte.
"Und was passiert", wollte der Hauptmann wissen, "wenn dies ein neuer Trick von Gubgrulum ist?"
"Jabel, Jabel", mahnte ihn sein Heerführer und hielt Syètch mit einer Handbewegung zurück, "du siehst nur noch Feinde um dich herum und manchmal frage ich mich, ob du dir insgeheim Gedanken machst, ob mich Gubgrulum vielleicht auch schon gekauft hat!"
"Aber Kes, ich ..." Der Hauptmann sah Keseneites entsetzt an.
"Das war doch nur ein Scherz, Jabel! Aber denk doch mal nach. Selbst Gubgrulum könnte nicht drei Siegel fälschen und damit den Zorn der Elfen auf sich lenken. Obendrein können die Zwerge Halbelfen nicht ausstehen und unser meistgehasster Gubgrulum würde nicht einmal einen Alassar in seine Nähe lassen. Wenn es nach ihm ginge, würde er mit seinem Haufen auch noch gegen die Elfen marschieren!"
"Entschuldige Syètch", murmelte Jabel verlegen und blickte zu Boden, "aber ..."
"Schon gut", entgegnete der Halbelf. "Ich denke, dass die Anspannung dafür verantwortlich war. Mit eurer Erlaubnis, Lord Keseneites, werde ich mich kurz ausruhen und dann zurückkehren. Ich gebe euch den gutgemeinten Rat ..." Syètch stockte und bekam einen roten Kopf. "Ich wollte sagen, ich sollte euch daran erinnern, nicht zu unvorsichtig zu sein, da nicht sicher ist, dass die Zwerge die Nachricht ebenfalls schon erhalten haben."
"Es war ein guter Rat, Syètch", entgegnete Keseneites gelassen und klopfte dem Halbelfen jovial auf die Schulter, "denn in seiner Freude übersieht so mancher eine Kleinigkeit, deren Auswirkungen wirklich fatal sein können. Und jetzt sieh zu, dass du noch etwas zu Essen bekommst, ruhe dich aus und verschwinde wieder nach Hause. Wirklich ein großartiger Tag!"
Keseneites hatte sich noch einen Augenblick mit seinem Hauptmann besprochen, während Syètch sich auf den Weg machte, für sich und sein Gaya etwas Nahrung zu bekommen, als ein weiterer Hauptmann in Keseneites Zelt stürmte. Dabei stolperte er und rannte seinen Heerführer fast um.
"Kes!" brüllte er völlig unnötigerweise viel zu laut. "Die Zwerge zeigen am anderen Ufer drei Schwerter spitzab und Gubgrulum steht zu einem Drittel in der Furt! Ich möchte wissen, was wir tun sollen. Wenn ich nur wüsste, welche Schweinerei er jetzt wieder vorhat."
"Beruhige dich, Minlus!" Keseneites ergriff seinen viel zu jungen Hauptmann bei den Schultern und rüttelte ihn durch. "Drei Schwerter spitzab bedeutet Aufgabe. Gubgrulum in der Furt bedeutet, dass er mit mir sprechen will. Und obendrein haben die Könige einen Friedensvertrag unterschrieben, den ich bisher noch nicht die Zeit zu lesen hatte. Geh jetzt wieder zu deinen Leuten, damit sich ja keiner untersteht einen Angriff zu unternehmen!" Er wandte sich zu dem im Zelt verbleibenden Jabel um. "Und du sieh zu, dass alle außer den Wachen antreten und das wir ebenfalls drei Schwerter spitzab zeigen, Jabel. Los jetzt, lasst uns das schmutzige Geschäft endlich beenden."

Mensch und Zwerg trafen sich unter den staunenden und wachsamen Blicken ihrer Soldaten inmitten der Furt des östlichen Quellenweges durch den Argenon und standen sich lange Zeit wortlos gegenüber. Gubgrulum brach schließlich das Schweigen, indem er von Keseneites barsch eine Bestätigung verlangte, dass er ebenfalls die Nachricht erhalten hatte.
"Ich kann nicht sagen", maulte der Zwerg und versuchte sich dabei zu beherrschen, "dass mir die Sache gefällt, da wir zu viele Jahre kämpften. Ich hätte gerne deinen Kopf auf einer Lanze nach Hause getragen und meinem König vor die Füße geworfen."
"Und ich", seufzte Keseneites und blickte voller Mitleid auf seinen Gegenüber, "habe mir immer gewünscht, endlich mit dem unsinnigen Morden aufzuhören. In der Zeit, als es noch darum ging, Raubüberfälle zu rächen und abzuwenden, hätte ich dir vielleicht zugestimmt, Gubgrulum, aber in der jetzigen Situation ..."
"Egal!" der Zwerg war keinen Deut freundlicher geworden, obwohl er bemüht war, seiner Stimme einen freundlichen Klang mit auf den Weg zu geben. "Wenn es recht ist, so werden wir heute Abend gemeinsam ein kleines Fest feiern, bevor wir uns morgen auf den Weg machen. Wir haben noch Wein und anderes Gebräu, welches sich hervorragend eignet, einen Frieden zu begießen. Einverstanden?"
"Sehr gerne!" Keseneites war hocherfreut, auch wenn er in dem Blick von Gubgrulum eine gewisse Abscheu zu erkennen glaubte und die verschlagenen Augen des Zwerges fast verrieten, dass er nicht die Absicht hatte, sich einem Fest hinzugeben. "Kommt ..."
"Wir werden zu euch kommen, denn in unserem Lager dürfte alles etwas zu klein für euch geraten sein. Bis heute Abend dann!" Gubgrulum wartete nicht mehr, sondern wandte sich um und stampfte durch die Fluten davon. Keseneites schüttelte den Kopf und sah seinem alten Feind schweigend nach. Gubgrulum drehte sich nicht mehr um.

Am späten Nachmittag kam eine große Zahl von Zwergen mit Wein und einem starken Bier ins Lager der Menschen. Zuerst beäugte man sich noch vorsichtig, aber je später es wurde und je höher die Lagerfeuer loderten, um so besser und gelöster wurde die Stimmung. Gubgrulum warf Syètch einen abfälligen Blick zu, doch Keseneites redete lange und ausgiebig mit dem Halbelfen, so dass diesem der Hass des Zwergenführers verborgen blieb.
Sehr viel später verabschiedeten sich die Zwerge und ließen noch ein ehrklägliches Potential von berauschenden Getränken aller Art zurück, damit das Fest fortgesetzt werden konnte. Keseneites, Jabel und Syètch wankten schließlich davon, um einen etwas ruhigeren Fleck im Wald aufzusuchen, betranken sich ebenso sinnlos, wie der Rest der Menschen und schliefen sehr bald tief und fest ihren Rausch aus.
Ebenso erging es dem Rest des Heeres, während sich durch die Furt die Streitmacht der Zwerge unter der persönlichen Führung von Gubgrulum näherte. Vorsichtig entstiegen die Zwerge dem Wasser, stießen jedoch nur auf überall im Lager verstreut liegende Betrunkene. Eine Wache gab es nicht, aber selbst wenn es eine gegeben hätte, wären die Kämpfer der Menschen nicht einmal in der Lage gewesen, auch nur den Angriff von zwanzig Zwergen abzuwehren! Auf Befehl von Gubgrulum begann das Abschlachten der wehrlosen Opfer, von denen die Mehrzahl nicht einmal wach wurde. Das ungeheuerliche Gemetzel ging nicht ohne Murren unter den Zwergen vonstatten, aber Gubgrulum war ohnehin schon nahe der Raserei, so dass sich niemand auflehnen wollte. Die schlechte Tat war in weniger als einer halben Stunde erledigt und die Zwerge entfernten sich von dem Ort, den sie wie ein Schlachthaus hinterlassen hatten.
Der Kriegstain war außer sich, da niemand mit Sicherheit sagen konnte, ob Keseneites unter den Opfern war, aber dann ordnete er schließlich doch ein Fest an, um den unlauteren Sieg gebührend zu feiern.

*

Syètch erwachte als erster und beschwerte sich lautstark über seinen hämmernden Kopf. Doch auch sein zielloses Umherlaufen und die seit einer Stunde aufgegangene Sonne konnte weder Jabel noch Keseneites zum Aufstehen bewegen. Maulend wälzten sie sich über den Boden und wichen Syètch aus, verfluchten ihn und schliefen dann endlich weiter. So wanderte der Halbelf auf der Suche nach etwas Essbarem ins Lager. Zuerst hielt er den Anblick für einen Trick seines überforderten und noch immer umwölkten Hirns, aber dann übergab er sich mehrmals und sank an Ort und Stelle in sich zusammen. Der Anblick der umherliegenden und dahingeschlachteten Körper war einfach zuviel für ihn und er konnte sich fast zehn Minuten nicht bewegen. Endlich schaffte er es unter Tränen, sich wieder zu erheben und sich auf die Suche nach Keseneites und Jabel zu machen, während vom anderen Ufer des Argenon die johlenden Stimmen der ausgelassen feiernden Zwerge zu ihm hinüberdrangen.
"Lord Keseneites", die Stimme war mehr ein tränenersticktes Hauchen, als ein forderndes Wecken, aber der Heerführer wälzte sich unter der Berührung des Halbelfen herum und blinzelte diesen an, als habe er ihn gerade zum erstenmal gesehen.
"Hm?" Er blickte sich um und entdeckte Jabel, der sich um einen am Boden liegenden dünnen Stamm geschlungen hatte, als läge er mit einem Mädchen im Bett. Keseneites lachte herzhaft und wies auf den Hauptmann, der sich ebenfalls zu rühren begann. Aber Syètch lachte nicht, sondern schüttelte nur leicht den Kopf.
"Junge", grölte Keseneites, "du siehst so tot aus, wie eine Leiche, die seit Tagen im Wasser ..." Der Halbelf drückte dem Heerführer seine Hand auf den Mund und brachte ihn damit zum Schweigen.
"Leise", flüsterte Syètch, "denn wenn sie hören, dass noch jemand lebt, werden sie sicher noch einmal kommen."
"Was ist los?" Keseneites war zu verwirrt, um einen klaren Gedanken fassen zu können, während sich Jabel aus der Umklammerung mit dem Baumstamm löste und diesen dabei vollkommen irritiert anblickte. "Wer kommt zurück? Was ist denn hier los?"
"Die Zwerge haben ...", Syètch versagte die Stimme und er fiel vor Keseneites auf den Boden und schüttelte sich in einem Krampf.
"Du liebe Zeit!" der Heerführer ergriff den Halbelfen schnell und schüttelte ihn, damit er wieder zur Besinnung kam. "So viel hast du wohl noch nie in deinem Leben getrunken, was?"
"Ich geh schon mal vor", krächzte Jabel und schwankte unsicher, "damit wir möglichst schnell wegkommen."
"Halt!" rief Syètch und ergriff den Hauptmann an seiner Hose. "Bleib hier. Sie sind alle tot und wenn die Zwerge sehen, dass noch jemand lebt, werden sie noch einmal kommen."
"Syètch!" mahnte Keseneites den Halbelfen und hielt ihn so, dass er ihm in die Augen sehen konnte. "Das ist jetzt nicht mehr komisch und ich ..." Er fand nur Trübsal und Elend in Syètchs Blick und ihn überkam die Erkenntnis wie ein Blitzschlag.
"Bei den Göttern", flüsterte er, "das darf nicht sein. Geh ins Lager, Jabel. Aber sei vorsichtig. Wenn ich mir vorstelle, dass Syètch auch nur andeutungsweise Recht hat, dann ..." Mühsam stand er auf und half dabei dem vollkommen schlaffen Halbelfen ebenfalls auf die Beine. Schließlich gingen sie dann gemeinsam in Richtung Lager.
"Nein!" Syètch blieb gerade außer Sichtweite des Lagers stehen und schüttelte hysterisch den Kopf. "Nein! Nein! Ich komme ganz sicher nicht mit!" Er weigerte sich energisch im Griff von Keseneites, auch nur einen Schritt weiter voranzugehen und so blieb dem Heerführer und seinem Hauptmann nichts anderes übrig, als sich alleine dem Lager zu nähern.
Der Anblick war grauenvoll und übertraf die Alpträume, die so manchen Krieger nach Schlachten plagten um ein Vielfaches. Weder Jabel noch Keseneites waren in der Lage, ein einziges Wort zu sprechen oder sonst auf dieses Massaker zu reagieren. Schockiert standen Heerführer und Hauptmann inmitten eines Lagers von Toten und langsam breitete sich schon der erste Geruch aus, den ein Schlachtfeld nun einmal verbreitet.
Vom anderen Ufer tönten die johlenden Stimmen feiernder Zwerge!

Syètch, Keseneites und Jabel saßen abseits des grauenvollen Anblicks und sprachen lange Zeit kein Wort. Der Heerführer schien seltsam ruhig und Jabel kurz davor den Verstand zu verlieren, als Keseneites sich schwerfällig erhob.
"Was ... was sollen wir denn nur tun?" Jabels Entsetzen war überdeutlich hörbar und er war kurz vor einem hysterischen Anfall. Doch Keseneites stierte ihn lediglich an und schien ihn nicht einmal zu bemerken. Er lächelte schweigend vor sich hin!
"Gubgrulum hat den Vertrag gebrochen und sich des Friedens bedient", Syètch konnte es immer noch nicht fassen. "Er hat seinen König verraten und sich gegen den Hochkönig der Alassar gestellt. Möglicherweise hat er damit einen Krieg mit den Elfen heraufbeschworen! Sie werden ihn dafür zur Rechenschaft ziehen."
"So lange wird er nicht mehr leben", versicherte Keseneites trocken und sprach damit die ersten Worte an diesem Nachmittag seitdem er seine toten Männer in der Frühe gesehen hatte. Er klang gelassen, als hätte er alle Trümpfe in der Hand und die Ruhe glitt auch ein wenig auf seine beiden Begleiter hinüber.
"Was?" fragte Jabel etwas ruhiger. "Kes, was willst du damit sagen? Wir können Gubgrulum wohl kaum etwas anhaben. Sie werden uns nicht in ihr Lager spazieren lassen und ..."
"Sicher nicht, Jabel, mein Freund." Der Heerführer setzte sich und schien über etwas nachzudenken, als er dann plötzlich in einer sehr seltsamen Sprache zu sprechen begann und seine Augen leer in die Ferne blickten.
"Kes, was ...?" Jabel sah Syètch an, der wiederum den Heerführer entsetzt anstarrte.
"Nein!" rief der Halbelf, sprang schnell auf und schüttelte Keseneites rabiat. Dennoch störte er dessen Trance nicht. "Nein! Das darfst du nicht! Hör sofort auf damit oder du bringst uns alle um."
"Was tut er? Welche Sprache ist das?" der Hauptmann hielt Syètch zurück und betrachtete seinen Heerführer und Freund besorgt.
"Es ist Magie, dunkelste Elfenmagie, wie sie in den frühen Jahren im Kampf gegen die Talmas benutzt wurde. Mach ihn wach, Jabel, er darf diese Formeln nicht benutzen. Verflucht sei dieser Tag, woher kennt er nur diese Formeln!"
"Was bewirken sie?" forderte Jabel zu wissen und hielt Syètch weiter fest, schüttelte dennoch seinen Heerführer nun mit Nachdruck.
"Dunkle Magie!" Syètch wurde langsam aber sicher hysterisch. "Er ruft böse Geister aus längst vergangenen Tagen. Oh, ihr Götter, woher kennt er diese Formeln?" Endlich gelang es ihm, sich aus dem Griff des Hauptmannes zu befreien und aufzuspringen.
"Du wirst deine Finger von ihm lassen!" Jabel war aufgesprungen und stellte sich abwehrend vor seinen Freund, der die magischen Formeln jetzt nachdrücklich und ohne Stocken intonierte. Formeln, die kaum jemals ein Magier zu sprechen gewagt hatte.
"Das ist Irrsinn!" rief Syètch wild. "Er kann diese Geister nicht kontrollieren und er wird über uns alle einen unglaublichen Fluch bringen. Ich kann ihm nichts mehr tun, Jabel. Es ist zu spät! Flieh von hier, wie ich es tue, denn nun ist es bereits zu spät." Der Halbelf begann zu rennen, als würde er von einem ganzen Rudel Evals gejagt. Irgendwo brach er schluchzend im Wald zusammen und eine tiefe Bewusstlosigkeit, gefolgt von einem erholsamen Schlaf umfing ihn.

*

'Wy'anur?' raunte es leise. Die schemenhafte Gestalt sah sich verwirrt auf der mentalen Ebene um, konnte jedoch keinen seiner Artgenossen ausmachen, der ihn gerufen haben könnte.
'Wy'anur?'
Weitere Schemen gesellten sich zu diesem zwei Mann hohen Wesen, das mit unglaublicher Geschwindigkeit die Ebene der Geisterwelt durchstrebte. An einem Ende erspähten die Gestalten ein schwaches Glimmen, welches sie schmerzte. Seit ungezählten Zeitaltern war das Licht aus ihrer Region verbannt gewesen! Dennoch strebten sie darauf zu. Sie erreichten die Stelle, an der sich ein Tor aus mattem Licht abzeichnete und darauf erschienen in stets gleichen Glanz die versiegelnden Zeichen der Elfenmagier, die diese Seelenwesen einst hierher verbannten. Die Schriftzeichen loderten auf, verblassten wieder, nur um erneut grellrot aufzuleuchten. Ein Geschnatter entstand unter den Wesenheiten und sie riefen sich zu, dass sie nun endlich befreit werden würden. Doch ein tieferer Schatten eilte herbei und die anderen wichen vor ihm zurück! Er manifestierte sich vor dem Tor und rief Worte in einer Sprache, die seit Jahrtausenden nicht mehr gesprochen worden war, gegen das Tor. Die Schriftzeichen flammten auf und erloschen dann vollständig!
'Der Weg ist geebnet, Brüder und Schwestern', intonierte die Gestalt, 'aber die Passage ist nur von kurzer Dauer. Wenn sie sich wieder schließt, müssen wir zurück sein, denn jenseits dieser Tore, die von den Ky'ad'dèayi als die Màl'à'làhéyn, die Pforten der Toten bezeichnet werden, würden wir aufgrund der Macht vergehen. Trotzdem könnte es uns gelingen, durch diesen Ausflug endlich wieder Kontakt zu den lebenden Wesen herzustellen. Jemand muss uns gerufen haben und diesem Ruf sollten wir unbedingt folgen!'
Die Geistwesen strebten durch die sich öffnenden Pforten hinaus in die mattgraue Welt der mentalen Ebene, deren dezent fahles Licht die Wesenheiten blendete. Nur ein greller Lichtpunkt in weiter Ferne ließ sie den rechten Weg finden. Zu diesem Zeitpunkt versagte auf Gunya das gesamte Schwellensystem und alle unternommenen Transporte kamen erst Tage später an völlig falschen Orten wieder heraus. Eine Erklärung dafür fand zunächst niemand, aber sehr viel später sollten die Geschehnisse an der Furt durch den Zy'à'émrohyl für entsprechende Aufklärung sorgen.

*

Jabel sah Keseneites an, der etwa eine handbreit über dem Boden schwebte und dessen Gestalt immer durchscheinender wurde. Mit einem Male gesellten sich Schatten um ihn, die ihn umkreisten. Sie wirbelten wild umher, fuhren durch Gegenstände, den Heerführer selbst und auch in den Boden und wieder heraus. Jabel entfernte sich entsetzt, denn er hatte niemals vermutet, dass sein Feldherr und Freund solche Kräfte entfesseln konnte. Kräfte, vor denen der Halbelf Syètch entsetzt geflohen war! Die Augen von Keseneites glühten tiefrot und er senkte sich langsam wieder zum Boden herab, während er in einer Sprache redete, die Jabel nicht verstand oder jemals zuvor gehört hatte.
Endlich verharrten die Schatten und umgaben ihren Rufer wie ein Schleier. Doch es dauerte nicht lange, bis sie wieder verschwunden waren, Keseneites sich lachend zurücklehnte und dann aufstand.
"Fürchte dich nicht, Jabel", rief er erregt, "denn der Sieg wird bald unser sein!"
"Sieg? Bist du verrückt geworden, Kes?" Jabel war entsetzt. "Selbst dieser Syètch ist abgehauen, als du anfingst in dieser merkwürdigen Sprache zu sprechen, die kein Mensch versteht. Verdammt, Kes, was ist mit dir los? Ich habe nicht gewusst, dass ausgerechnet du dich auf Magie verstehst."
"Es ist nicht sehr viel Magie in diesen Worten, sondern es ist lediglich der Bruch eines Siegels. Vor langer Zeit hat mich einmal ... ein guter Freund diese Worte gelehrt und ich hatte sie vergessen, bis ich heute all unsere Kameraden hier niedergemetzelt liegen sah."
"Denkst du nicht, dass es gefährlich ist, Kes?" Jabel war keineswegs erbaut von den gegebenen Umständen und Magie ängstigte ihn normaler weise zu Tode. "Was hast du denn überhaupt gemacht?"
"Es ist ... es sind ...", der Heerführer sah Jabel mit seinen immer noch mattrot glänzenden Augen an und schien doch durch ihn hindurchzuschauen, " ... Geistwesen, die mir helfen werden, Gubgrulum eine Lektion zu erteilen."
"Der Preis?"
"Was für ein Preis, Jabel?"
"Ich denke", der Hauptmann zitterte am ganzen Körper, "sie werden dir nicht helfen, weil sie gerade nichts anderes zu tun haben."
"Ich habe sie befreit. Sie werden mir ihre Dankbarkeit zeigen und einen Dienst erweisen."
"Syètch sagte ..."
"Syètch!" Keseneites lachte schrill. "Was weiß denn schon ein Halbblut von solchen Dingen!"
"Immerhin schien er zu wissen, was du rufst! Warum waren diese Kreaturen eingesperrt, Kes?"
"Es war die Schuld der Elfen, die sich von ihnen angegriffen fühlten. Diese Wesenheiten waren völlig zu Unrecht so lange verbannt!"
"Kes, ich denke ..."
"Jabel", Keseneites Stimme war wieder sanfter geworden und der raue und hysterische Unterton daraus verschwunden, "bitte gehe jetzt, so lange noch Zeit ist. Wenn die Sonne untergeht, werden die Wesen zurückkehren und sie werden ... Nun sie werden mir helfen, Gubgrulum zu besiegen! Du solltest nicht hier sein, wenn sie kommen, denn ich habe nur die Macht sie zu rufen und wieder fortzusenden. Ich habe keine Ahnung, wie ich dich schützen könnte!"
"Das ist doch absoluter Irrsinn, Kes! Ich bin dein Hauptmann und ..."
"Du bist entlassen, Jabel!" fiel ihm Keseneites barsch ins Wort. "Verschwinde von hier. Jetzt!" Dann drehte er sich um, damit Jabel nicht die Tränen in seinen Augen sehen konnte und stapfte durch das verwüstete Lager davon.
Jabel stand noch eine Zeit völlig verstört an diesem Ort, doch dann besann er sich, dass in der Nähe Siedlungen sein mussten. Wenn er sich beeilen würde, konnte er vielleicht noch einen Magier finden, der mit diesen merkwürdigen Wesen umgehen konnte. Aber viel Zeit hatte er nicht mehr. Auf einem umherstreunenden schnellen Gaya eines Meldereiters machte er sich schließlich davon, als wären alle Krieger Gubgrulums ihm dicht auf den Fersen.

*

Die Sonne sank unendlich langsam vom Himmel herunter, doch Keseneites hatte es nicht eilig. Er wusste, dass er seine Rache bekommen würde, sobald die Wesenheiten wieder zurückkehren würden. Es waren mächtige Verbündete und er fragte sich, warum er sie nicht schon längst zu Hilfe gerufen hatte. Zwar hatte er nie viel von solchen magischen Dingen gehalten, aber Gubgrulum hatte in all den vergangenen Jahren die Magie benutzt, wie Keseneites sein Schwert gebraucht hatte. Es schien ihm nur recht und billig, wenn er sich jetzt entsprechend rächen würde.
"Was nun, großer Keseneites?" unterbrach eine betonungslose und dumpfe Stimme die schweifenden Gedanken des Heerführers, der erschreckt auffuhr. Vor ihm hatte sich ein großer Schatten ausgeprägt, hinter dem Keseneites weitere erkennen konnte. "Was sind deine Befehle?"
Hätte Keseneites auf mentaler Ebene Kontakt mit dieser Wesenheit gesucht, wäre ihm die Ironie in den Worten aufgefallen, aber in der völlig eintönigen Stimmlage der manifestierten Kreatur war ihm dies nicht möglich.
"Nun, ich verlange für eure Freiheit, dass ihr die Zwerge auf der anderen Seite des Argenon vernichtet", antwortete er fest und hoffte inständig, dass seine Angst vor diesen mächtigen Wesen nicht zum Ausdruck kam. Der dunkle und große Schatten rief verschiedenen kleineren, umherwirbelnden Schatten etwas in einer unverständlichen Sprache zu. Daraufhin entfernten sich etwa zehn der Schatten, die nicht einmal die Größe eines Zwerges erreichten, um nur einen kleinen Augenblick später wieder zurückzukehren. Sie schnatterten wild durcheinander, doch das schien den offensichtlichen Anführer dieser Wesenheiten nicht weiter zu stören. Er sog die Informationen in sich auf, veränderte seine Gestalt etwas und wandte sich wieder an Keseneites.
"Es sei, wie du es wünschst, Heerführer. Gehe zum Lager und führe deine Krieger über den Zy'à'émrohyl. Dort nimm dann deine Rache noch in dieser Nacht!"
"Meine Krieger sind tot!" Keseneites runzelte die Stirn und sah den Schatten forschend an, obwohl er keine menschlichen Konturen oder ein Gesicht ausmachen konnte. "Wie soll ich sie führen, wenn ..."
"Geh!" zischelte der Schatten und es war offensichtlich, dass er lachte. "Geh, und sie selbst! Heerführer!"
Es entstand ein kleinerer Wirbel und die Geistwesen waren entschwunden. Kopfschüttelnd begab sich Keseneites zum Lager und blieb entsetz und mit offenem Mund stehen. Vor ihm erhoben sich die Toten und stellten sich in der alten Marschordnung auf. Kein Wort entglitt ihren Kehlen, sie verursachten kein Geräusch und in ihren leeren Augenhöhlen glomm ein schwacher rötlicher Schimmer.
"Ihr Götter!" stöhnte Keseneites und sah sich um. "Das habe ich nicht gewollt!" Doch dann hörte er die Stimmen der feiernden Zwerge und er besann sich anders. Er gab seinen Kriegern ein Zeichen und ohne ein Geräusch zu verursachen setzte sich die seltsame Streitmacht in Bewegung.

*

Aus einer sicheren Entfernung heraus beobachtete Syètch - nahe daran, den Verstand zu verlieren - die Geschehnisse. Er wagte es nicht, sich zu rühren, denn in alten Geschichten hatte er gehört, dass die Untoten seine Gegenwart schon allein durch die anziehende Kraft seines Lebens spüren konnten. Sicher hielt sie lediglich der magische Bann von Keseneites gefangen und die vielen Zwerge auf der anderen Seite des Argenon lockten sie an, wie die Insekten das Licht!

*

Jabel ritt sein Gaya fast zu Tode, als er auf dem östlichen Quellenweg von der Vorhut einer Eskorte aufgehalten wurde. Schnell erkannte er, dass er es mit Elfenkriegern zu tun hatte, die sich auf dem Weg nach Osten befanden. Er erklärte dem Bannerträger, worum es sich handelte und dieser wurde bleich wie ein Leichentuch. Er ritt zu dem sich nähernden Konvoi und ließ ihn halten, dann redete er schnell und beständig auf einen in wallende Gewänder gehüllten Magier ein. Beide kehrten sogleich zurück zu Jabel, dem ein frisches Gaya gebracht wurde. Zwei Elfen halfen dem matten Mann auf sein Reittier.
"Was genau hat dein Heerführer gesprochen?" wollte der Magier wissen, der sehr zu Jabels Überraschung sehr gut fornisch sprach. Doch der Hauptmann wusste keine Antwort drauf.
"Wusste er denn nicht, dass ein Friede geschlossen wurde? Warum hat er sich nicht daran gehalten?" Schnell erklärte Jabel, wie alles abgelaufen war und das Syètch sich, als er die merkwürdige Sprache hörte, sofort auf und davon gemacht hatte.
"Das war das Gescheiteste, was er tun konnte", der Magier schien von der Situation wenig erbaut zu sein und wandte sich an den Bannerträger. Jabel konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde, aber es war offensichtlich, dass der Magier sich auf der Stelle mit einer kleinen Truppe auf den Weg zur Furt machen wollte. Es entstand eine heftige Diskussion, bis ein Elf, der auf einem schneeweißen Gaya herantrabte, augenblicklich für Ruhe sorgte. Die Krieger und Bogenschützen, der Bannerträger und selbst der Magier verneigten sich tief vor dieser Person, die jedoch nur Augen für Jabel hatte. Doch der rührte sich keinen Deut in seinem Sattel. Immerhin kannte er diesen Elfen nicht und er dachte nicht daran, sich vor jemandem zu verbeugen, dem er noch nicht vorgestellt worden war.
Der Elf lächelte freundlich und sprach mit dem Magier mit ruhiger Stimme. Allein seine Bewegungen verrieten, dass er es gewöhnt war, Befehle zu erteilen und dabei erwartete, dass diese ohne Nachdenken ausgeführt wurden. Seine ganze Gestalt war eine einzige Autorität.
"Mein Herr und Gebieter verlangt, dass ich ihn vorstelle, Jabel", der Magier sprach relativ leise, als wollte er niemanden stören. "Dies ist Fgèhén'hufàr, Edler unter den Alassar und ..."
"Verzeiht mir meine Unverschämtheit!" Jabel sprang von seinem Gaya und kniete nieder. "Es war die Eile und die Sorge um meinen Heerführer und Freund, die mich euch nicht erkennen ließ, Hochkönig der Alassar!" Der Magier übersetzte und der Elf wies Jabel mit einer Geste an, aufzustehen und sofort aufzusitzen.
"Wir reiten sofort zur Furt!" rief der Magier und setzte sich schon in Bewegung, während Jabel erneut sein Reittier bestieg. Mit ihnen ritt eine Abteilung von zwanzig Kriegern, zehn Bogenschützen, der Magier Rhynassar und der Herrscher über alle Elfen der Südländer. Er wollte selbst sehen, ob die Zwerge es gewagt hatten, den Rovanischen Frieden zu brechen, obwohl ihnen bewusst gewesen sein musste, dass sie sich damit abseits des Rechts stellten und einen Krieg mit den Elfen provozierten.
Zwei weitere Reiter eilten davon, um weitere Truppen der Alassar zur Furt zu bringen und die Menschen zu alarmieren. Der Rest des königlichen Konvois kehrte auf der Stelle zurück, um sich in Sicherheit zu bringen.

*

Bis zur Mitternacht verharrte die Armee von Toten unter Führung eines lebenden Menschen, dem diese Krieger zu Lebzeiten schon Treue geschworen hatten, um sich dann durch die Furt zu begeben. Keseneites machte sich keine Gedanken mehr, wie sie unbemerkt hinüberkommen konnten, denn eine tiefe Dunkelheit umwölkte die Armee und seine Krieger verursachten nicht mehr Geräusche als das Wispern des Windes in den Bäumen. Selbst die Geräusche, die der Heerführer beim Durchwaten der Furt verursachte, schienen auf merkwürdige Art und Weise gedämpft zu werden. Außerdem war das Lager der Zwerge unbewacht und fast alle Kämpfer lagen betrunken umher. Wenige feierten noch, bis sie mit entsetzten Blicken ihren alten Feinden gegenüberstanden, die sie in der vergangenen Nacht gemeuchelt hatten.
Es wurde Alarm gegeben und alle Zwerge, die sich noch einigermaßen bewegen konnten, versuchten, sich gegen diese Streitmacht zur Wehr zu setzen. Doch keine Waffe schien diese Krieger verletzen zu können! Nichts hielt sie auf und einige liefen geradewegs durch die Lagerfeuer, ohne auch nur den geringsten Schaden zu nehmen. Da war den Zwergen klar, was hier geschah und sie ließen ihre Waffen fallen, um sich wimmernd zu ergeben oder zu fliehen. Die um Gnade Flehenden wurden gleich erschlagen, die Flüchtenden fanden sich, nachdem sie ein kleines Stück durch den Wald gerannt waren plötzlich in einer erstickenden Dunkelheit wieder, verloren ihre Sinne und standen urplötzlich inmitten der Armee der Untoten. Die Krieger fielen über die wehrlosen Opfer her und zerstückelten sie ohne jede Regung.
"Gubgrulum!" Keseneites versuchte das Chaos zu übertönen und seinen alten Erzfeind zu stellen. "Gubgrulum!" Aber der Führer der Zwerge schlich mit seinem Kriegshammer in der Hand um die Zelte herum und fragte sich, woher Keseneites all diese Krieger haben mochte. In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, um was für Krieger es sich handelte und so schlich er sich vorsichtig von hinten an den Menschen heran, der gerade das Lager mit seiner Armee zu vernichten drohte. Gerade hob er den Hammer, als ein Schemen hinter Keseneites den Weg versperrte.
'Nein, Gubgrulum', die Worte drangen so kraftvoll in das Hirn des Zwergen, dass ihm der erhobene Kriegshammer entglitt und er sich den Kopf hielt, als könne er die Worte so aussperren. 'Nein, diesmal nicht.'
Entsetzt und doch zugleich auch fasziniert betrachtete der Kriegstain das Schemen, setzte ein Grinsen auf und intonierte Worte der Magie. Er hob beide Hände und sandte einen grellen Lichtblitz mitten hinein in das schemenhafte Wesen, gerade als Keseneites herumwirbelte. Doch der Schatten hatte nicht die Absicht aus dem Weg zu gehen, sonder ein dumpfes und grollendes Lachen erklang und augenblicklich verhielten alle still. Der Schatten steigerte sich in ein kreischendes Inferno und selbst Keseneites musste sich die Ohren zuhalten, um nicht verrückt zu werden.
"Was war deine Absicht, du Wurm?" brüllte der Schatten dann jedoch wütend und Gubgrulum erbleichte, da seine Magie keinerlei Wirkung zeigte. Schnell konzentrierte er sich und versuchte auf mentaler Ebene zu dem merkwürdigen Schatten durchzudringen. Doch da erkannte Gubgrulum, mit was er es hier zu tun hatte und die Erkenntnis ließ sein Herz auf der Stelle stillstehen. Er fiel vom Schlag getroffen tot um, ohne das noch etwas getan werden musste.
Das Gemetzel ging weiter, während Keseneites wütend auf den leblosen Körper des Zwergen einschlug, bis dieser völlig unkenntlich war. Noch eine Stunde dauerte das Gemetzel, bis auch der letzte Zwerg vom Leben zum Tode befördert worden war und dann stand die Armee der Untoten wieder in Marschordnung vor Keseneites. Es waren keine Geräusche zu vernehmen und es wurde kein Wort gesprochen, bis der Schatten zurückkehrte und sich vor dem Heerführer aufbaute.
"Ich danke dir, auch wenn es eine sehr ungewöhnliche Hilfe war, mit der ich nicht gerechnet habe. Bitte entlasse meine Krieger jetzt wieder und geht eurer Wege."
'Er hat keine Ahnung!' wisperten die anderen kleineren Schatten ihrem Anführer zu. 'Er weis nicht, wer wir sind! Er hat keine Ahnung!' Und sie lachten laut! Keseneites sah sich verwirrt um.
"Wir werden gehen, aber die Krieger können wir nicht entlassen. Sie werden so bleiben und auch du wirst einen Preis zu zahlen haben!" donnerte der Schatten.
"Ist das der Dank dafür, dass ich euch befreite?" Keseneites reagierte ernsthaft gereizt und hielt sich jetzt auch nicht mehr zurück.
"Schweig still!" brüllte ihn sein Gegenüber an.
"Bitte lasst sie gehen, sie sind für euch doch nicht von Wert", antwortete Keseneites jetzt ruhiger. "Nehmt mich als Bezahlung, wenn ihr eine benötigt."
'Wie selbstlos er jetzt noch ist!' raunten die kleinen Schatten und wieder lachten sie und umkreisten den Heerführer, der nach ihnen schlug. "Nein", riefen sie im Chor, "dies ist nicht das Gesetz!"
"Du hörst, was sie sagen", stellte der große Schemen sachlich und wieder ruhig fest. "Du alleine reichst uns nicht!"
"Dann ... dann nehmt sie und lasst mich gehen ...", Keseneites senkte betreten den Kopf.
'Hört, hört!' schrieen die Schatten sich zu und dann kreischten sie wild und fuhren durch die Luft um Keseneites umher. "Jetzt verrät er sie sogar. Seine eigenen Leute. Aber nein, dies ist nicht das Gesetz und es ist auch nicht unser Wille!"
"Du hörst, was sie sagen?" fragte der große Schemen den Heerführer.
"Aber ...", Keseneites wusste nicht mehr, was er machen sollte, denn auch die Worte fielen ihm nicht mehr ein, mit denen er dem Spuk ein Ende hätte bereiten können.
"Höre jetzt gut zu, Mensch, denn ich werde es nur einmal sagen!" der Schatten waberte und nahm eine schemenhaft menschliche Gestalt an, in deren Gesicht zwei glühende Kohlen wie Augen zu lodern schienen. Aber es war nichts menschliches an diesem Wesen! "Die Krieger werden die Furt durch den Zy'à'émrohyl bewachen. Jetzt und für alle Zeiten. Du aber wirst zur Ruhe gebetet werden, damit du deinen Frieden machen kannst. Dies verlangt das Gesetz!"
Keseneites atmete erleichtert auf, denn er hatte sich davor gefürchtet, ebenfalls als Untoter in der Gegend zu spuken. Der Schatten winkte den Kriegern und erteilte mentale Befehle, während Keseneites bewusstlos in sich zusammensank. Sie legten ihn auf eine Trage und die Schemen hoben in immenser Geschwindigkeit ein Grab aus, in das der Heerführer hinabgesenkt wurde. Dort lag er eine Weile und kam wieder zur Besinnung. Entsetzen spiegelte sich auf seinem Gesicht, als er erkannte, dass er in einem Grab lag. Er versuchte sich zu bewegen, aber er konnte nicht einmal einen kleinen Finger krumm machen.
"Ihr Lügner!" rief er erbost und Tränen rannen über sein Gesicht. "Ihr hattet versprochen ... Sagtest du nicht, dass euer Gesetz ..."
"Schon", antwortete der große Schatten und senkte sich in das Grab auf Keseneites hinab. Dort hockte er einen Augenblick schweigend auf der Brust des Heerführers, dem das Atmen schwer fiel. "Aber ich sagte nur, dass du ruhen würdest. Ich habe nicht gesagt, dass du zuvor sterben wirst. Wie wir, die wir in die Tiefen unter die Gynen-Aron zurückkehren werden, wirst du hier verweilen. Doch wird dich kein Tor halten; wohl aber ein Bannfluch, der mit dem deiner Krieger verknüpft ist. Sie werden die Furt bewachen und alle Zwerge und auch Ky'ad'dèayi in den Stunden ohne den großen Lichtbringer vernichten und zu sich hinabziehen. Sollte dieser Fluch jemals gebrochen werden, so wirst du dich aus deinem Grab erheben und wieder frei sein!" Der Schatten verschwand und Erde wurde auf Keseneites geworfen, der nun auch nicht mehr sprechen oder schreien konnte.
'Oh, ich vergaß dir zu sagen', setzte der Schemen mental hinzu, 'dass du dann nicht mehr Keseneites, der Mensch, sondern Hum'à'yiyén-Sym'drylr sein wirst. Dies ist ein würdiger Name für einen Dämon des Feuers!' Schallendes Gelächter begleitete den Abgang der Schatten, während die Krieger das Grab ihres Heerführers so richteten, dass niemand es finden konnte.
Mit dem Morgengrauen waren die Schatten durch das magische Tor in ihren Verbannungsort zurückgekehrt und schon wenige Augenblicke später erlosch der magische Spruch, der die Öffnung für nur einen Tag und eine Nacht bewirkt hatte. Die Zeichen glommen auf, die Tore verschlossen sich und die Siegel nahmen ihre alten Positionen wieder ein, so dass dieser Weg auch mit aller Macht von Innen alleine nicht beschritten werden konnte.
Magie war es auch, welche die Untoten in den Boden unter der Furt und im Umland verschwinden ließ, gerade als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne das entsetzliche Szenario an der Furt und in den Auen beleuchteten.

*

Die Alassar hatten unter Führung von Jabel die Furt fast erreicht, als ihnen Syètch den Weg versperrte und sie so zum Halten zwang.
"Keinen Schritt weiter, es ...!" er stockte, erkannte das Banner des Hochkönigs und konnte dann unter den staubbedeckten und ermüdeten Reitern den König selbst ausmachen. Schnell kniete er nieder, aber Fgèhén'hufàr sprach kurz mit dem Halbelfen und dieser brachte schluchzend die Geschichte hervor, während Jabel zwar nicht verstand, was vorgefallen war, aber sich nach einem Blick auf die immer blasser werdende Gesellschaft durchaus vorstellen konnte, was passiert war. Ein Reiter saß ab, überwandt die auch den Alassar anhaftende Abscheu gegenüber Halbelfen und versuchte Syètch zu beruhigen. Der Magier übersetze Jabel, was Syètch soeben berichtet hatte.
"Aber das ist unmöglich!" rief Jabel und sah sich verwirrt um, als müsse er sich für die Taten seines Heerführers entschuldigen oder rechtfertigen. "Kes hat niemals Magie benutzt. Ich wusste nicht einmal, dass er überhaupt Ahnung davon hatte, wie man auch nur eine Flamme magisch entzünden kann, um das Lagerfeuer in Gang zu setzen ..."
"Und doch hat er es gewusst!" wetterte der Magier böse. "Er wusste die Worte zur Öffnung der Tore zu den Màl'à'làhéyn, einem Ort der ewiglichen Verbannung. Er hat einen Schrecken gerufen, der älter ist, als selbst die ältesten Erstgeborenen. Älter vielleicht, als einige der Götter! Wir können von Glück sagen, dass er nur die Worte für die zeitweilige Öffnung kannte, obwohl wir unbedingt herausfinden müssen, woher er sie erfahren hat. Vor allen anderen Dingen aber müssen wir uns an der Furt überzeugen, was genau geschehen ist. Wir können nur so lange bleiben, wie es hell ist, denn es wäre möglich, dass die Magie dieser Kreaturen etwas bewirkt hat, dass weiter für sie im Dunkeln wirkt. Möglicherweise bekämen wir es mit einer ganzen Armee von Untoten zu tun!" Er übersetze kurz für die Elfen, die kein fornisch verstanden und der Hochkönig quittierte die Worte seines Magiers mit einem grimmigen Nicken.
Syètch wurde - und das löste bei einigen anderen Alassar Stirnrunzeln und einige geflüsterte dumme Bemerkungen aus - auf das Gaya des Elfen gehoben, der sich offensichtlich mit ihm zu verstehen schien. Vorsichtig näherten sie sich kampfbereit der Furt, obwohl Rhynessar mit nachsichtigem Blick darauf hingewiesen hatte, dass sie gegen magische Kreaturen nichts auszurichten vermochten. Selten waren die Plätze gleich um den Hofmagier so beliebt, wie zu diesem Zeitpunkt!

Sie erreichten das Lager der Menschen und entsetzt sahen sie, was hier vorgefallen war. Die durchscheinenden Körper der Toten verrieten dem Magier sofort, dass all diese Körper nun als Untote gebannt waren und sich irgendwo befanden, bis sie im Schutze der Dunkelheit ihrem blutigen Geschäft nachgehen konnten. Fgèhén'hufàr stieg ab und berührte mit beiden Händen den Boden. Er zitterte am ganzen Körper, denn er vernahm überdeutlich den Schmerz des Landes und der geschändeten Körper. Traurig schüttelte er den Kopf und führte sein Gaya an den Zügeln weiter, während auch die restlichen Krieger absaßen. Nur der Magier, Syètch und Jabel blieben auf ihren Tieren.
Überall war der Boden mit Blut getränkt, selbst am Ufer des Argenon standen noch einzelne Lachen in flachen Steinen. Dann durchquerten sie die Furt und sie spürten, dass der Boden unter ihnen zitterte. Rhènéssar trieb sein Gaya an und wurde erst auf dem Ufer wieder etwas ruhiger.
"Dies ist ihr Ort", sagte er und wies auf die Furt "Dort warten sie auf Zwerg und Elf, um sich zu rächen und der Seelenwesen habhaft zu werden. Es ist ein komplexer Bann und er ist auf merkwürdige Art und Weise mit einem Fluch gekoppelt, den ich noch nicht verstehen kann. Aber es wird nicht mehr lange dauern!"
Sie erreichten das Lager der Zwerge und selbst einer der älteren und erfahrenen Krieger der Alassar musste sich übergeben, als er sah, was hier angerichtet worden war. Der Hochkönig dieser Länder kniete nieder und weinte bitterlich, wie dieses Land geschändet und welche Gräuel hier unnötigerweise angerichtet worden waren. Dann rief er laut in der Sprache der Alassar und alle Elfen senkten den Kopf für eine Weile.
" Fgèhén'hufàr nennt diese Furt fortan die Gdnun-er-kéyuhyl", übersetzte der Magier traurig. "Dies bedeutet in eurer Sprache soviel wie: Schlachtfeld-ohne-Ehre! Niemand soll diese Furt betreten, wenn nicht die Strahlen des Himmelslichts auf den Wellen des Flusses tanzen, denn sonst ist es nicht sicher hier. Kein Alassar wird mehr in Rovanessanar wandeln, dass fortan nach dem Willen der Menschen Rovan heißen soll. Die Elfen wollen weder etwas von den Zwergen noch wollen sie etwas mit den Menschen zu schaffen haben. Die Grenzen des Reiches im Süden sind fortan geschlossen!"
Syètch sah Jabel betreten an, denn den Worten war nichts mehr hinzuzufügen. Es mochte sein, dass der Hochkönig seine Meinung noch änderte, aber an diesem grauenvollen Ort war sicherlich nicht der richtige Platz, um mit Fgèhén'hufàr über seine Entscheidungen zu diskutieren.

Lange Zeit nach Mittag traf ein weiterer Tross einer Einheit aus Alassanar und auch ein kleinerer Trupp Menschen, die ihre Toten begraben wollten ein. Schon bald mussten sie erfahren, was vorgefallen war und was der Hochkönig der Elfen angeordnet hatte.
"Und es sieht so aus", stellte Rhènéssar vor einer Versammlung aller Anwesenden am Nachmittag fest, "dass dieser Bann mit einem Fluch gekoppelt ist. Sollte der Bann gebrochen werden, so sind wir zwar die Untoten los, aber dafür wird sich Keseneites als Feuerdämon erheben. Ich gebe zu bedenken, dass es ein leichtes wäre, den Bann zu brechen, aber der Fluch kann nicht rückgängig gemacht werden. Ganz abgesehen davon sind die Feuerdämonen ewiglich wie die Götter selbst. Sie können nicht vernichtet werden! Dazu kommt, dass die Wirkung des Bannes auf diese Furt begrenzt ist, der Fluch jedoch nicht ortsgebunden ist. Ich schlage vor, es bei den Untoten zu belassen, die Furt zu meiden und den östlichen Quellenweg vielleicht ganz zu versperren, anstatt sich mit einem umhergeisternden Feuerdämon anzulegen."
Die Kompetenz des Magiers in dieser Angelegenheit wurde in keinster Weise in Frage gestellt und so blieb es wie es war, während die Menschen die Zwerge begruben. Oder zumindest das, was von ihnen übrig geblieben war.

Dann entfernten sich Elfen, Menschen und ein Halbelf schnellstmöglich aus der Reichweite des Bannes an der Furt durch den Argenon und sie alle trugen die traurige Kunde ins Land. Am Schlimmsten traf dies jedoch die Beziehungen zwischen den Alassar und den Zwergen, da die Elfen sich hintergangen fühlten. Dennoch vermieden beide Parteien einen Krieg, sondern beschränkten sich darauf, sich gegenseitig möglichst zu ignorieren, bis sich nach vielen Jahrhunderten endlich wieder Erleichterungen im Handel und beim Reisen bewerkstelligen ließen.

*

An der Gdnun-er-kéyuhyl geschahen jedoch im Laufe der Zeit merkwürdige Dinge. Einige Reisende wollen das Wasser des Argenon rückwärts fließen gesehen haben, andere berichten von einer eisigen Kälte inmitten der Furt im Hochsommer. Wieder andere erzählten haarsträubende Geschichten, wie sie in letzter Minute den Klauen der Untoten entkamen oder sich geifernde Kreaturen aus den Büschen über sie herzumachen versuchten.
Ob diese Geschichten stimmen, kann letztlich nicht mit Sicherheit gesagt werden. Tatsache ist jedoch, dass die Gdnun-er-kéyuhyl lange Zeit ein beliebtes Studienobjekt der Magier aller Rassen blieb. In einem Bericht an den Hohen Oya, den Herrscher über die Magier in den Reichen von Ur, schreibt jedoch ein Kundiger der Gun, der Steine der Magie, dass der Bannfluch so eng mit dem Fluch um Keseneites verwoben ist, dass empfohlen wird, alles Wissen um die Geschehnisse an der Furt der Vergessenheit anheim fallen zu lassen. Weiter schlug der Magier vor, die Geschichte als Legende darzustellen und die Geschehnisse soweit wie irgend möglich herabzuspielen, damit niemand auf die Idee kommen würde, den Bann aufzuheben, da dieser nicht sonderlich kompliziert sei.
Die Alassar kümmerten sich nicht mehr um die aufgegebenen Länder, auch wenn sie Larn in der nähe der Furt des östlichen Quellenwegs durch den Tumbach als Freigrafschaft behielten. Es sollte Jahrhunderte dauern, bis die Menschen bis nach Bungjenen durften, um dort Handel mit den ansässigen Elfen zu treiben.

Es wurde ruhig um die merkwürdige Furt, denn sie wurde des Nachts gemieden. Es geschahen nur noch sehr selten merkwürdige Dinge, aber die Phantasie half nach, wo nichts geschah. So hat die Furt bis heute ihren Ruf als Schlachtfeld-ohne-Ehre gehalten und gilt als eine der unsichersten Stellen auf Gunya!


© 1991, Thomas Klaus