Is dat Markt?

 

Ein Ausflug in den Bereich des Humors ... auch wenn man natürlich durchaus anderer Auffassung sein kann, ob sich diese reale Story auch wirklich als Humor eignet. Nun, ich muss zugeben, dass es mir wirklich wesentlich leichter fällt, den Vorfall zu erzählen, akls ihn zu Papier bzw. Bildschirm zu bringen.

Außerdem haben wir hier die Rückkehr zu einer meiner beliebtesten Buslinien, die ebenso verlässlich ist, wie die Deutsche Bahn. Sozusagen eine ganz wundervolle Kombination, die keiner Absprache bedarf, wenn es um eventuelle Anschlüsse geht.

 

 

 

Es geschah an einem Freitag. Freudlos, regnerisch bis in den späten Nachmittag hinein. Ich nahm den Bus, der natürlich - wie üblich - zu spät kam. Ein Luxus, den sich die Fahrer[innen] herausnahmen, denn es war die einzige Linie. Für das folgende Erlebnis, welches mich die Langeweile des Tages sowie allen Regen vergessen machen ließ, ist dies jedoch ohnehin völlig unerheblich.

Acht, vielleicht zehn Gestalten hockten auf verschiedenen Plätzen in dem muffigen Bus, dessen Scheiben beschlagen waren. Diverse Versuche, freie Sicht nach Draußen zu schaffen, Zeichen, Worte ... all das war auf den Scheiben zu erkennen. Es regnete bereits seit dem frühen Morgen, vielleicht schon seit der Nacht. Es war warm, dunstig-schwül. Das richtige Ambiente um in Stimmung zu kommen.

Der Bus durchkreuzte Wasseransammlungen auf der maroden Straße, dei den Verdacht aufkommen ließen, das man einen Binnenschifffahrtsschein benöitgte, um das Gefährt lenken zu dürfen. Am Krankenhaus hielt er an, denn eine hutzelige Gestalt in langem Trenchcoat, mit Hut und Stock harrte bereits der Ankunft. Niederflurfahrzeug hin oder her, die uralte Gestalt mit eingefallen Gesicht und dem intensiven Geruch lange nicht gewaschener Bekleidung hatte Schwierigkeiten, einen Fuß vor den anderen zu setzen und pflanzte sich in betonter Langsamkeit auf den Sitzplatz vorne rechts. Der Fahrer betrachtete den letzten Neuzugang aufmerksam und geduldig wartete er, bis der alte Mann seinen Platz eingenommen hatte. Bemerkenswert immerhin, denn die wenigsten Fahrer kümmerten sich darum, ob Gebrechliche sich sicher auf einem Platz untergebracht hatten. Und verspätet war die 'Kutsche' ja so oder so schon.

Mit verkniffenem Blick stierte der alte Mann, dessen durchdringender Geruch sich langsam aber sicher im Bus verbreitete, mal nach vorne, dann wieder durch die beschlagene Seitenscheibe.

Eine kurze Strecke weiter, im Angesicht der nächsten haltestelle - jedenfalls wenn man weiter als zwanzig Meter sehen konnte - rief die hutzelige, kleine Gestalt laut und mit durchdringend krächzender Stimme: "Is dat Markt?"

Erwähnt sei zum besseren Verständnis, dass die zwölfte Haltestelle 'Benrather Marktplatz' heißt. Wir reden von etwa zwölf Minuten Fahrzeit. Und um es noch deutlicher zu sagen: Vor gar nicht all zu langer Zeit, waren es weniger Haltestellen, denn der Bus fuhr einen sehr viel kürzeren Weg.

Ein rascher Blick vom Fahrer zu dem alten Mann und ein "Nee ... noch nit." ließen den Frager nicken. Nur um nach dem Passieren der Haltestelle und einem Abbiegen erneut die Frage aufkommen zu lassen: "Is dat Markt?"

Nicht minder laut, nicht minder krächzend.

Erste nachdenkliche Blicke beim Fahrer, der widerum kurz verneinte, sich dann wieder auf die Fahrbahn und das Lenken seines Gefährts besann, gesellten sich zu erstem Grinsen der in der Nähe sitzenen Fahrgäste. Und ich hatte so eine Ahnung, dass sich hier vielleicht eine der Anekdoten anbahnte, die einem nur in Bussen und Bahnen widerfahren und die einem hinterher ohnehin niemand glaubt.

Und ungefähr im Intervall von dreißig Sekunden schallte erneut die Frage "Is dat Markt?" nebst der sehr geduldigen Antowrt des Fahrers durch den Bus. Und mit jeder Frage wurde das Schmunzeln so manches Passagiers größer. Gelegntlich kam noch ein "Häh?" hinzu, wenn die Antwort des fahrers nicht bis dem selstamen Fahrgast vorgedrungen war. Stets bestätigte er aber mit einem Kopfnicken irgendwann, dass er es verstanden hatte. Gelegentlich sah der fahrer in den Spiegel und musste selbst dann und wann ein Lachen unterdrücken. So tragisch der Alte auch war, so witzig war die Nummer doch. Irgendwie. Aber das Beste sollte ja noch kommen ...

Problem an der Nummer war, dass an diesem Tag eine der kleinen Einbahnstraßen im Bereich um die Benrather Fußgängerzone herum durch einen Kranwagen blockiert war, der teile für den Ausbau von Gebäuden gen Himmel wuchtete. Und damit war die Haltestelle 'Benrather Marktplatz' nicht auf direktem Weg anfahrbar. Durch einen kleinen Umweg gelangten die Busse an diesem Tag wieder auf den Linienweg, ließen 'Markt' aber aus, denn normalerweise war eszumutbar von der vielleicht dreihundert Meter entfernten nächsten Haltestelle 'Börchemstraße' den Marktplatz zu erreichen.

Dem jetzt nicht mehr mitgezählten "Is dat Markt?" folgte die kurze, aber lautstarke Erklärung, dass 'Markt' wegen der Umleitung nicht angefahren wurde. Und - wie sollte es anders sein - konterte der selstame Fahrgast mit "Häh? Is dat jetzt Markt?"

Der Fahrer winkte schmunzelnd ab und konstatierte lautstark: "Is OK. Ich fahr zum Markt."

Nun muss man wissen, dass schon das Befahren der Umleitung in den sehr engen Straßen ein Akt an und für sich ist. Normalerweise fährt dort kein Bus und deshalb gibt es natürlich auch Gegenverkehr,d er sein Recht begehrt. In beidseitig beparkten Straßen - Verbote hin oder her - ist das schon eine Zumutung für den Fahrer. Und der hier machte sich sogar die Mühe, erst wieder eine weitere zugeparkte Straße in gegenrichtung zurückzufahren, um so auf einen Weg zu kommen, um 'Benrather Marktplatz' für den Alten anfahren zu können.

Und während ich so bei mir dachte, dass dies eine tolle Geste ist wurden meine Gedanken jäh von einem "Is dat Markt?" unterbrochen.

"Ja!", rief der Fahrer zurück. "Gleich." Er war kurz angebunden, denn die Route führte ihn an eine Stelle, die nicht für das Abbiegen von Linienbussen konstriert wurde. Dreimaliges Zurücksetzen und das, was ich immer liebevoll 'Verkehrsbastelstunde' nenne, brachten usn dann wiedere auf den richtigen Weg.

Nach weiteren zwei Minuten hin und her hatten der Fahrer es vollbracht. Eine reife Leistung sozusagen.

"Is dat Markt?"

Die Tür klappt auf.

"Ja", anwortet der sehr soziale Fahrer nicht ohne unterschwelligen Stolz in der Stimme. "Dat is Markt."

"Gut." Der Alte nickt zum Fahrer hin, die Augen zusammengekniffen. "Dann steig ich die nächste aus."

...

Der Fahrer stiert den Alten mit dem Blick und Maß an Fassungslosigkeit an, bei dem man sich nicht sicher sein kann, ob die Mordgedanken nicht Überhand nehmen. Gelächter im Bus. Es dauert eine gute Minute, vielleicht länger, bis der Fahrer den Blick von dem Alten loseisen kann, bis es weiter geht.

Der Tag ist gerettet! Was für 'ne Nummer!