Kastas Plan

 

Der Söldner namens Kasta ist kein rücksichtsvoller Mensch. Deshalb ist er noch am Leben. Die kleine Truppe, die er in für Menschen sehr gefährliche Teile des Elfischen Bundes auf der von mir entwickelten Welt Rakirr führt, ist zudem ein zusammen gewürfleter Haufen rüder Gesellen.

Neben dem kleinen Einblick in die elfischen Länder werden hier auch die Halblinge Rakirrs eingeführt, die zugegebenermaßen ein ganz klein wenig anders gestrickt sind, als ihre Artverwandten auf anderen Welten und in anderen Erzählungen.

 

 

 

Dinnix himmelte seine Freundin an, die er nach einer wilden Verfolgungsjagd endlich in der Nähe des kleinen Teiches gestellt hatte. Zu guter Letzt waren sie noch einige Schritte weit über den moosigen Grund des Waldes gerollt und Tayrén saß nun rittlings auf ihrem jungen Freund, dessen Arme sie in Siegerpose am Boden festhielt. Ihre lange, im Licht des Tages funkelnde goldene Mähne vermischte sich mit den langen schwarzen Haaren von Dinnix und mit all den Farnrispen und Moosteilen im Haar sah sie eher wie eine wilde Dryade, denn ein jugendlicher Halbling aus.

„Wenn deine Eltern uns hier so sehen würden“, lachte Tayrén auf und ließ die Arme los, um Dinnix leichtes Hemd aus der Hose zu ziehen, „werden sie uns wahrscheinlich nicht mehr zusammen losziehen lassen.“

„Ich dachte“, grinste der junge Halbling unverschämt und zupfte Teile von Farn und Moos aus dem Haar seiner Begleiterin, „wir sollten Kräuter sammeln?“ Er hielt ihr die Pflanzenteile vor die Nase. Sie lachten laut auf.

„Wenn unser Clan davon erfährt, bist du tot, Dinnix!“ Die Unbekümmertheit wich einen kleinen Augenblick aus dem Gesicht des Halblings und er ergriff die Handgelenke seiner Begleiterin fest. Sie sah ihn irritiert an.

„Tay ...“, begann Dinnix flüsternd und seine Stimme zitterte dabei. „Ich will nicht daran denken, was passiert, wenn sie es erfahren würden. Schlimmstenfalls würden sich unsere Clans gegenseitig an die Gurgel gehen ... Aber ich liebe dich und der Tod scheint mir einfacher zu ertragen, als dich nicht mehr sehen zu dürfen. Ich ...“

„Dinnix!“ Tayrén sah auf ihre Handgelenke hinunter und dann mit schmerzverzerrtem Gesicht den Halbling unter sich an. Für seine siebzehn Lebensjahre war er ungewöhnlich kräftig und wild, was sie schon mehr als einmal eindrucksvoll erlebt hatte.

„Oh!“ rief er und blickte gedankenverloren auf. Dann ließ er schnell die Gelenke seiner Freundin los, um sie näher an sich heranziehen zu können. Tayrén kam ihm zuvor, schnappte sich die Mähne ihres Gegenübers gleich über den Ohren und fixierte ihn so auf den Boden, um gleich darauf kichernd über ihn herzufallen.

Auf dem weichen Moos hatten sie keinerlei Schwierigkeiten, einen geeigneten Platz zu finden, um sich mehrmals innig und ausgiebig zu lieben. Schließlich lagen sie erschöpft nebeneinander, während die Sonne sich langsam auf ihren Weg vom Himmelszelt machte.

„Lass uns schwimmen!“ rief Tayrén, sprang auf und sprang mit einem Satz in den Teich. Einig kleinere Tiere verließen voller Panik das Wasser. Die Halblinge waren in der jüngeren Vergangenheit oft genug hier gewesen und im Normalfall hieß dies, in Deckung zu gehen.
Dinnix setzte sich langsam auf und schüttelte den Kopf. Tayrén schien niemals genug zu bekommen. Sein Blick wanderte über die kleine Lichtung und mit einem Schmunzeln sah er die verschiedenen Kleidungsstücke auf einer großen Fläche verstreut. Er stand auf, sammelte Hosen und die weichen Lederstiefel ein; Gürtel und Messer, ein kurzes gebogenes Schwert, Hemden, ein lederner Beutel für Kräuter und ein kleines Amulett folgten, um auf einem Haufen zu landen. Dann eilte er zum Wasser, um sich ebenfalls eine kleine Erfrischung zu gönnen. Jedenfalls, wenn Tayrén und ihm nicht wieder etwas Besseres einfiel.

***

„Gib endlich zu“, zischte Arkan böse, „dass du dich verlaufen hast!“

„Wir haben uns verlaufen“, antwortete Kasta lakonisch. „Wir. Nicht nur ich.“

Gemurre entstand in der kleinen Truppe, doch Kasta blieb plötzlich stehen, drehte sich herum und schlug dem einen halben Kopf kleineren Arkan die Faust ins Gesicht. Unvorbereitet taumelte dieser rückwärts und stieß gegen Deeka, eine ältere Kriegerin, die ihn wütend von sich stieß.

„Nun wird mal nicht zudringlich, Kleiner“, setzte sie mürrisch hinzu und verzog ihr von zwei großen Narben entstelltest Gesicht zu einem hässlichen Grinsen. Der linke Mundwinkel zuckte dabei wild, offensichtlich war der Heiler ein Quacksalber gewesen oder aber die Amazone hatte nicht das notwendige Geld gehabt, sich einen vernünftigen Heiler zu suchen.

„Nenn mich nicht immer Kleiner!“, brauste der jugendliche Mensch auf, rollte herum und sprang auf. Dabei versuchte er, sein Schwert zu ziehen, welches sich allerdings mit dem Heft im Tragegurt seines Ruchsacks verheddert hatte. Deekas Linke schnellte vor und erwischte den Jungen an der Gurgel. Ihr Funkeln in den Augen verhieß nichts Gutes und Arkan ließ schnell vom Heft seiner Waffe ab und spreizte die Arme in einer unterwürfigen Geste von sich. Er hatte Deeka oft genug bei den Spielchen mit ihren Opfern beobachtet, um zu wissen, dass er hier und jetzt keine Chance hatte. Doch die Amazone hielt ihn noch immer in ihrem stahlharten Griff und langsam ging ihm die Luft aus.

„Komm, lass den Scheiß“, maulte Tek, ein weiterer Krieger in dem Tross, und legt seine Rechte auf die Schulter der Amazone. Der Junge entglitt ihrem Griff und sie wirbelte zu Tek herum, um ihm eine zu langen.

„Ich habe dir gesagt, dass du mich nicht anfassen sollst!“, keifte sie. Tek schlug ihren Angriff jedoch beiseite und verpasste der Kriegerin nun seinerseits einen leichten Stoß vor den ledernen Brustpanzer. Zwar war der Hieb keineswegs derart, dass er sie von den Füßen geschickt hätte, dennoch schien sie etwas überrascht.

„Wollen wir spielen?“ Tek sah sie herausfordernd an. „Kleine?!“
„Hört auf!“, ging Kasta nun herrisch dazwischen, sah Deeka fest an und hielt schon einmal seine Hand ausgestreckt, um Arkan wieder aufzuhelfen. Der schlug die Hilfestellung jedoch aus und erhob sich maulend aus eigener Kraft.

„Scheiße, Kasta!“, fauchte die Kriegerin und funkelte den Anführer böse an. „Der Typ ist ein Haufen Scheiße. Irgendwann schlitze ich ihm seinen feisten Wanst auf, schneide ihm sein Ding ab und stopfe es dir in die Fresse!“

„Sie ist einfach herrlich, wenn sie sich aufregt“, warf Nykor sarkastisch ein, nachdem er sich vergewissert hatte, außer Reichweite zu stehen.

„Krieg dich ein, De!“ Kasta wurde langsam sauer. Mit einer Handbewegung wies er Tek an, sich jetzt herauszuhalten. Sein Blick heftete sich auf den grinsenden Nykor.

„Komm schon, Kasta“, entgegnete Nykor und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Ich halt ja schon die Klappe.“

„Wir hätten niemals in diese beschissene Gegend ...“, brüllte Deeka weiter. Sie war wirklich außer sich und gerade auch in den letzten Tagen überhaupt nicht mehr zu genießen gewesen.

„Deeka!“, schrie Kasta jetzt mit zornesrotem Kopf. „Es reicht jetzt! Jetzt! Wir sind doch gut bezahlt worden. Und wir werden den gleichen Betrag noch einmal bekommen, wenn wir hier wieder heraus sind.“

„Wenn ist übrigens das Stichwort, Kasta“, warf Nykor lakonisch ein und erntete einen giftigen Blick seines Anführers. Daraufhin hob er beide Hände in einer unschuldigen Geste an und setzte ein mitleidheischendes Gesicht auf. Kasta musste unwillkürlich grinsen. Nykors Art war geradezu einmalig und er hatte bislang noch jeden Gegenüber hereingelegt. Aber Kasta wusste nur zu genau, dass sich hinter der Maske des verspielten und unschuldigen Jünglings ein erfahrener Krieger verbarg, den es glücklicherweise noch nicht im Gesicht erwischt hatte.

Deeka hatte sich irgendwann beruhigt und sogar bei Arkan entschuldigt, der dies mürrisch entgegennahm. Kasta erklärte seiner kleinen Truppe noch einmal, dass er sich in der Tat nicht bewusst war, in welchem Teil des Waldes sie sich gerade aufhielten, der Fen-Aurôgh, die große Verbindungsstraße durch die Elfenländer, allerdings nicht allzu weit entfernt sein dürfte.

„Ziemlich vage Sache, Meister“, meinte Nykor ernst.

„Eine eher heikle Sache“, stimmte Kaste diesmal sogar zu. Wenn ich nur daran denke, dass wir hier diesen kleinen Biestern in die Arme laufen könnten, wird mir ganz anders.“

„Kleine Biester?“ Arkan blickte irritiert in die Runde.

„Halblinge“, erklärte Deeka und eine ungewohnte Bitterkeit schwang in ihrer Stimme mit. „Die kleinen Miststücke sind verdammt gute Kämpfer, etliche unter ihnen exzellente Magier und Psioniker und der Rest beschäftigt sich damit, dir das Fell über die Ohren zu ziehen. Je jünger ein Opfer ist, umso schneller landest du am Spieß oder im Topf.“

„Sie ...“, schluckte Arkan entsetzt. "Das sind Menschenfresser?!“

„Nicht alle, aber viele Stämme halten Menschen für eine Delikatesse. Sie veranstalten regelrechte Treibjagden!“ Kasta sprach hier durchaus aus Sachkenntnis. Er hatte schon genug gute und schlechte Kumpel an Halblingshorden verloren. Und so manches Mal hatte er gerade dafür gesorgt, dass es die schlechten Kumpel waren, die als nächster Festtagsbraten über einem Lagerfeuer endeten. Bei dem Gedanken daran schmunzelte er sein gefürchtetes Lächeln und Arkan lief ein Schauer über den Rücken. „Und dann gibt es da noch Gerüchte, dass sie Menschen wie Vieh halten, damit immer wieder für Nachschub gesorgt ist ...“

„Scheiße“, flüsterte Arkan genervt. „Hör auf.“ Da keiner lachte oder ihn sonst wie aufzog, musste er wohl oder übel davon ausgehen, dass dies ausnahmsweise einmal den Tatsachen entsprach.

Nach einer kurzen Lagebesprechung gingen sie vorsichtig weiter und näherten sich offensichtlich mit dem späten Nachmittag einer Lichtung. Unweit voraus schimmerte Licht durch die dichten Bäume und Sträucher. Auf ein knappes Zeichen ihres Anführers verharrte die Gruppe sofort regungslos, während Kasta angestrengt lauschte.
Hatte er nicht Lachen gehört? Unmöglich zwar, aber vielleicht liefen sie geradewegs Halblingen in die Arme. Kasta konnte sich nur schwer vorstellen, dass die Halblinge so dumm waren, sich mit Gelächter zu verraten, aber mitunter geschahen seltsame Dinge. Er wies seinen Leuten Plätze im Unterholz zu, legt beinahe seine gesamte Ausrüstung ab und machte ein Zeichen, dass er nachsehen wollte, was sich auf der Lichtung abspielte. Tek schüttelte zwar den Kopf, aber Kasta war bereits auf dem Wege, bevor irgendwer einen Einwand machen konnte. Wobei letzten Endes fraglich war, ob sich überhaupt jemand zu einem Einwand hätte hinreißen lassen.
Kasta schlich sehr leise auf die Lichtung zu, behielt seine Umgebung im Auge und achtete auf jedes noch so leise Geräusch. Ab und an glitt sein Blick zu den Bäumen hinauf, dann spähte er lange auf den Boden, um Fallen ausmachen zu können. Er wusste nur zu genau, dass die Halblinge Meister der Tarnung und gar vortreffliche Fallensteller waren. Immerhin jagten sie Wild, welches nicht ganz so beschränkt war wie irgendwelches Getier. Aber da waren keine Fallen und da waren auch keine Halblinge auf den Bäumen. Lediglich Gelächter von zwei Personen drang nun etwas klarer an Kastas Ohr.
Sehr vorsichtig näherte er sich durch dichten Grünbewuchs und schob einen Wedel der beinahe mannshohen Farne nach dem anderen beiseite. Gelächter und Geplansche machten ihn nun beinahe sicher, dass es sich um unvorsichtige Reisende handelte, die möglicherweise unweit der Straße einen Teich oder See entdeckt hatten. In Gedanken malte er sich aus, wie sie die überraschten Gestalten ausnehmen würden.
‚Aha!’ dachte er bei sich, als er vor sich auf einen Haufen geworfene Kleidungsstücke ausmachen konnte. Langsam und sehr bedächtig langte er vor und zog am Gürtel. Dann sah er vor sich das kurze gebogene Schwert eines Halblings und ihm stockte beinahe der Atem. Vorsichtig schob er sich weiter vor und spähte um den Kleiderhaufen herum. In einem kleinen Teich bot sich ihm ein bizarrer Anblick: Zwei Halblinge – noch dazu offensichtlich Jugendliche – trieben Spielchen, zu denen er nach gut drei Monaten in der Wildnis auch Lust gehabt hätte. Und weit und breit waren keine anderen Halblinge zu sehen!
Während Kasta noch überlegte, sprang das Mädchen aus dem Wasser und kam auf die Kleidungsstücke und damit auf Kastas Versteck zugelaufen. Ihm wurde augenblicklich klar, dass ihn jede Bewegung verraten hätte und so rührte er sich nicht.

***

Tayrén hatte jetzt genug und außerdem war es an der Zeit, sich wieder auf den Heimweg zu machen. Sie tauchte Dinnix unter und verließ fluchtartig das Wasser, um ihn nicht noch einmal zu animieren. Für einen Tag mochte dies nun reichen!
Sie hockte sich vor den durcheinander liegenden Kleidungsstücken nieder und begann darin zu suchen, als plötzlich aus dem Farn vor ihr eine Hand hervor schnellte und sie bei den Haaren griff. Bevor sie einen Schrei ausstoßen konnte, wurde sie nach vorn zu Boden gerissen und eine zweite Hand schloss sich über ihren Mund. Sie wurde in das Gebüsch gezerrt und war für einen Augenblick derart irritiert, dass sie sich nicht wehrte. Dies gab Kasta die Gelegenheit, von den Haaren abzulassen und nach dem Schwert des anderen Halblings zu langen, dass er ihr an die Kehle hielt.
Kasta sprang lachend auf und trat vor, während er Tayrén mit der freien Hand wieder an den Haaren ergriff und den Kopf in den Nacken riss. Dinnix blickte entsetzt auf das Szenario und wollte aus dem Wasser.

„Bleib, wo du bist!“, rief der Mensch und hob die Klinge noch etwas näher an den Hals des Mädchens. „Verstehst du mich?!“

„Ja.“ Dinnix nickte. „Tu ihr nichts. Bitte!“

„Hängt von dir und der Kleinen ab, Bastard“, brummelte Kasta wenig verständlich. Dann stieß er einen kurzen Pfiff aus, der seine Begleiter auf den Plan rief.
Wie eine Horde Ennus auf der Flucht brachen sie durchs Unterholz und landeten dann ebenfalls am Ufer des Teiches. Nykor und Deeka staunten nicht schlecht, Tek schüttelte einmal mehr den Kopf und Arkans Kinnlade klappte herunter.

„Kasta“, maulte Deeka quengelnd. „Was soll denn das jetzt schon wieder?!“

„Festhalten!“, befahr er barsch und schleuderte Tayrén Nykor in die Arme, der sie mit festem Griff an sich zog.

„Nicht schlecht, die Kleine“, meinte Tek beifällig.

„Dürfte nur was eng werden!“ feixte Nykor und zog den Griff etwas fester an, so dass Tayrén mit schmerzverzerrtem Gesicht zu ihrem Peiniger aufblicken musste.

„Für dein Teil völlig ausreichend“, stellte Deeka beinahe sachlich fest und maß ihre Gefangene mit abschätzendem Blick. Dabei vergaß sie jedoch keinen Augenblick, dass sie es hier mit Halblingen zu tun hatten.

Kasta war unterdessen an den Rand des Teiches getreten und maß den wüst aussehenden jungen Halbling genau. Dieser hier schien für sein Alter gut durchtrainiert und im Kampf nicht unerfahren. Kasta würde nicht den Fehler machen, das scheinbar harmlose Kerlchen mit dem freundlich kindlichen Gesichtsausdruck zu unterschätzen.

„Komm jetzt da heraus“, wies er den Halbling an. „Langsam, wenn dir das Leben deiner Freundin lieb ist!“ Da Dinnix keine Möglichkeit sah, Tayrén ohne Gefahr für deren Leben zu Hilfe zu eilen, kam er der Aufforderung nach. Sein Blick glitt dabei stets an Kasta vorbei zu der Gruppe, die seine Begleiterin hielten.

„Nein!!!“ Selbst für Kasta überraschend stürmte der Halbling plötzlich los, als er sah, dass Nykor Tayrén zu Boden geworfen hatte und mit Arkan und Deeka festhielt, während Tek sich an seiner Hose zu schaffen machte. Kastas Arm schnellte hervor und erwischte die schwarze Mähne des Halblings, den es in vollem Schwung erwischte und mit einem Aufschrei herum wirbelte. Dinnix landete auf dem moosigen Boden und ein langes Schwert war an seiner Kehle.

„Ich sagte langsam!“, brüllte Kasta wütend. „Was soll der Blödsinn?!“

Dinnix wand sich im Griff des Menschen und sein verängstigter Blick lieb auf die Gruppe gerichtet. Kasta warf einen schnellen Blick hinüber und ihm stockte beinahe der Atem.

„Verdammt“, murrte er, ließ den Halbling einen Halbling sein und sprang auf. Schnell lief er zu der Gruppe hinüber und erreichte Tek mit herunter gelassener Hose, wie er bereits vor Tayrén kniete, die sich unter Weinen und Schmerzensschreien in den stahlharten Griffen von Deeka, dem grinsenden Arkan und Nykor wand. Ein Faustschlag schickte Tek zur Seite zu Boden, dann stand Kasta über Tayrén und hielt ihr das Schwert an die Kehle.
Keinen Augenblick zu früh, denn schon war Dinnix zur Stelle, um die Chance zu nutzen. Aber der Halbling kam nur einen kleinen Moment zu spät, fiel sofort auf die Knie und sah Kasta bittend an.

„Tu ihr nichts“, bat er eindringlich. „Bitte!“

„Was fällt euch eigentlich ein!“ keifte Kasta seine Begleiter an. „Seid ihr noch von allen guten Geistern verlassen?“ Sein Blick ruhte auf Deeka. Doch die Kriegerin zog nur leicht die Schultern in die Höhe, während Tayrén langsam zur Ruhe kam.
„Zieh dich an“, maulte Kasta Dinnix an. Der erhob sich mit Tränen in den Augen und wich keinen Schritt von der Stelle.

„Zieh dir was an!“ Kasta wurde langsam nervös und so kam der Halbling seiner Aufforderung schließlich nach.

„Also ehrlich, Kasta ...“ Tek erholte sich langsam von dem Hieb, richtete seine Kleidung wieder her und machte nicht den Eindruck, dass er mit der Entscheidung und dem Handeln seines Anführers einverstanden wäre.

„Fesseln!“, kommandierte er jedoch kommentarlos und Tek ging zu dem inzwischen beinahe wieder angezogenen Dinnix hinüber. Als der Halbling fertig war, schnürte er die Hände auf dem Rücken zusammen und stieß ihn brutal zu Boden. Dinnix starrte Tek durchdringend an, blickte dann aber wieder zu Kasta und Tayrén hinüber. Tek verschnürte auch die Fußgelenke des Halblings und sah dann erwartungsvoll zu Kasta hinüber.

„Loslassen!“ Deeka, Arkan und Nykor ließen Tayrén los, die sich schluchzend aufrichtete und die Knie anzog. „Und du“, befahl er Tayrén barsch, „wirst dich jetzt anziehen. Denk immer daran, dass du zwar fliehen kannst, wir dann aber aus deinem Freund Hackfleisch machen!“

Tayrén reagierte nicht und Kasta griff ihr ins Haar, um sie auf die Beine zu ziehen. Verwirrt und voller Schmerz laut aufschreiend sah sie den Menschen an.

„Sie versteht dich nicht!“, rief Dinnix entsetzt und versuchte aufzuspringen. Ein Tritt in die Seite schickte ihn jedoch stöhnend zu Boden.

„Dann sag du es ihr, Bastard“, maulte Tek und trat noch einmal nach. Dinnix japste nach Luft.

„Hör jetzt auf“, beendete Kasta den Wutausbruch seines Begleiters. Dann ließ er Tayrén los und gab ihr mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass sie zu ihrem Freund gehen könne. Stolpernd und schluchzend stürzte Tayrén zu Dinnix und hockte sich neben ihn. Zärtlich nahm sie seinen Kopf in beide Hände und küsste ihn, dann schmiegte sie sich eng an ihn.

„Übersetz es.“ Kasta stand neben den beiden. „Jetzt!“

Dinnix kam der Aufforderung nach und Tayrén sah zu Kasta auf. Dann nickte sie und sagte etwas in ihrer seltsamen Sprache.

„Was hat sie gesagt?“ Kasta legte die Stirn in Falten und sah zu Dinnix hinunter. Doch der schüttelte lediglich leicht den Kopf.

„Keine Spielchen, Jungchen! Ich warne dich.“

„Sie sagt“, Dinnix keuchte noch immer, „dass sie dir gehorcht.“

„Gut. Dann soll sie sich jetzt anziehen.“

Tayrén hatte sich noch immer nicht beruhigt, als sie bereits wieder bekleidet vor Tek stand, der Dinnix mit fachmännischen Knoten an einen massiven Baum band. Der Blick des Menschen traf den von Tayrén und verhieß nichts Gutes. Schnell sah sie beiseite und ging dann zu ihrem Begleiter.

„Wenn sie die Stricke auch nur anpackt, Bastard“, warnte Tek mit giftigem Blick, „bist zumindest du tot!“ Dinnix wies Tayrén stöhnend an, nicht an die Stricke zu fassen.

***

„Wir werden hier lagern“, verkündete Kasta schließlich, da der Tag sich langsam seinem Ende näherte.

„Bist du völlig durchgedreht?“ Deeka sah ihren Anführer an als habe er gerade verkündet, dass zwei und zwei fünf sei. „Wollen wir uns nicht besser gleich gegenseitig umbringen und auf einem Feuer zubereiten?! Also ehrlich, Kasta, ich ...!“

„Halt endlich einmal die Schnauze!“ Kasta hatte das ewige Genörgel gründlich satt. „Ich möchte einmal erleben, dass ihr das tut, was man euch sagt. Denkt ihr ich wäre so alt geworden, wenn ich auf einen von euch Holzköpfen gehört hätte? Wir bleiben hier. Ich will kein Wort mehr hören.“

„Ach, und Deeka“, setzte er nach einer kurzen Pause ruhiger hinzu, „die Halblinge lässt du gefälligst in Ruhe. Und das gilt natürlich auch für alle Anderen!“ Dann ging er zu den Gefangenen hinüber.

***

„Wo kommt ihr her und wo ist euer Stamm?“ fragte Kasta den bestens verzurrten Dinnix. Doch der schwieg sich lediglich aus.

„Hör mal zu, Kleiner“, Kasta atmete tief durch und setzte einen genervten Blick auf, „mir liegt gar nichts daran, euch auch nur ein Haar zu krümmen, aber ich habe auch keine Lust, eurer Sippe in die Arme zu laufen und dann als Hauptgericht zu enden.“

„Wenn das so ist“, maulte Dinnix, „solltest du uns schnell gehen lassen. Nur wenn wir hier bleiben, dürften unsere Clans bald nach uns suchen und ...“

„Ihr seid von verschiedenen Clans?“ Kasta schmunzelte. Er hatte schon so manchem Halbling Informationen entlockt, so dass er die Situation nach seinen Vorstellungen relativ gut einschätzen konnte. Sein Blick heftete sich auf Tayrén, die einen halben Schritt zurück wich, ihre Hand aber nicht von Dinnix Schulter nahm. „Da bin ich aber gespannt, was die zu eurem munteren Treiben zu sagen haben!“

Kasta lachte laut und schallend auf. Dinnix stieg die Zornesröte ins Gesicht und er stemmte sich gegen die Fesseln. An den Handgelenken quoll Blut unter den Stricken hervor, die Seile um den Baum ächzten bedenklich. Tayrén hielt Dinnix zurück, sich weiter zu verletzen, und redete schnell auf ihn ein.

„Na, na“, konterte Kasta scherzhaft auf die offensichtlichen Beschimpfungen des Halblings. Man musste die Sprache nicht verstehen können, um sich auszumalen, welcher Art die Flüche waren. „Beherrschung ist nicht gerade dein Stärke, hm? Aber Scherz beiseite. Ich erwarte, dass ihr uns zum Fen-Aurôgh bringt. Dann könnt ihr gehen und niemandem wird ein Leid geschehen. Einverstanden?“

„Haben wir eine andere Wahl?“, keifte Dinnix böse.

„Es gibt immer eine Wahl. Die zwischen Leben und Tod. Ich könnte euch meinen Begleitern überlassen. Deeka hat eine Rechnung mit Halblingen zu begleichen, Tek hat seine Ambitionen bereits offenbart, Nykor scheint wahrscheinlich an eine ähnliche Verlustierung zu denken und Arkan könnte dabei eine Menge lernen. Eine Menge unnötiger Dinge, versteht sich.“

„Einverstanden“, lenkte Dinnix ein. „Lasst Tayrén gehen...“

„Ah, ah, ah!“ Kasta machte ein belustigtes Gesicht und stemmte beide Hände in die Hüften. „Sag deiner kleinen Gespielin, dass du tot bist, sobald sie außerhalb meiner Sichtweite ist. Ich hoffe, Kleiner, du vertraust ihr, so wie ich ihr vertraue!“ Der feixende Unterton jagte dem jugendlichen Halbling einen Schauder über den Rücken und sein Blick glitt zu Tayrén hinüber. Die sah ihren Begleiter jedoch nur fragend an.

„Wie weit ist es zur Straße?“ Kasta wirkte teilnahmslos, konnte seine innere Anspannung dennoch kaum verbergen.

„Zwei, vielleicht drei Stunden“, antwortete Dinnix wahrheitsgemäß und wirkte nachdenklich. „Es gibt da allerdings ein Problem!“ setzte der Halbling hinzu, als Kasta sich bereits zum Gehen gewandt hatte.

„Welches Problem?“

„Wir müssen quer durch den Ghy’Faî ... Ein Waldstück, welches einem Clan gehört, der nicht erfreut über eure Anwesenheit sein dürfte.“
„In eurer Begleitung“, Kasta winkte ab, „fühlen wir uns schon recht sicher. Jungchen, ich habe euch kleine Biester schon oft genießen dürfen und dabei einige wichtige Erkenntnisse gesammelt. Versuche nur nicht, mich zu verscheißern! Ihr geht euch zwar gelegentlich auch einmal gegenseitig an die Gurgel, aber ansonsten könnt ihr es einfach nicht ertragen, einen anderen Halbling leiden zu sehen. Schluss jetzt!“

„Kasta!“ Dinnix benutzte zum ersten Mal den Namen des Menschen. „Wir werden Ärger bekommen.“ Er sah Tayrén an und der Frust stand ihm ins Gesicht geschrieben. Kasta runzelte die Stirn und überlegte einen kleinen Augenblick, dann hellte sich sein Blick auf.

„Ihr dürft nicht zusammen sein“, stellte der Mensch sachlich fest. „Ich meine, zumindest nicht so ...“ Er wies auf den Teich und grinste breit. Dinnix nickte ernst. Tayrén sah von einem zum anderen und fragte sich, was hier gerade besprochen wurde.

„Ich habe gehört“, Kasta rieb sich das Kinn, „dass Halblinge zu ihrem Wort stehen. Machen wir folgendes Geschäft: Ihr führt uns zur Straße, bringt uns also in Sicherheit, und ich werde euch die Gelegenheit geben, eine Rechtfertigung vorzubringen. Außerdem werdet ihr gleichzeitig auch noch als Helden dastehen.“

„Und wie soll das funktionieren?“ Dinnix blickte ein wenig erstaunt ob dieses seltsamen Angebotes. Zwar war es Kasta gewesen, der sie bislang vor den Übergriffen seiner Begleiter geschützt hatte, aber diese Versicherung wirkte nun doch wenig glaubhaft. Der Halbling konnte sich kaum vorstellen, wie sich dies abspielen sollte.

„Dein Wort?“, verlangte Kasta zu wissen, nachdem er sich vergewissert hatte, dass keiner der anderen aus seiner Gruppe zuhören konnte. Dinnix überlegte nicht zu lange und stimmte schließlich zu.

„Übersetze es“, ordnete Kasta an und sah Tayrén mit einem Schmunzeln an. „Alles, Halbling, denn wenn ihr versuchen solltet, uns herein zu legen, werde ich euch finden. Und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben anstelle.“ Dinnix übersetzte und dann und wann stellte Tayrén eine Frage, staunte Kasta ungläubig an. Schließlich nickte sie zustimmend und trat wieder dichter an Dinnix heran.

„Du hast ein gutes Auge, Kleiner“, meinte Kasta aufmunternd und nickte in Richtung Tayrén. „Selbst für unsereins sieht sie wirklich gut aus.“

„Soll ich das auch übersetzen?“

„Wenn es dir was bringt“, setzte Kasta schlagfertig nach, griff in eine Gürteltasche und holte ein kleines Messer heraus. Tayrén zuckte zwar kurz zusammen, behielt diesmal allerdings die Fassung. Es hätte wenig Sinn gemacht, die Gefangenen hier und jetzt umzubringen. Kasta durchschnitt die Seile, die Dinnix am Baum festhielt. Der Halbling strauchelte, da die Beine bereits eingeschlafen waren. Tek hatte beim Fesseln ganze Arbeit geleistet und Dinnix jetzt unter den Folgen zu leiden. Da Tayrén ihren Freund von der Seite kaum halten konnte, ergriff Kasta den Halbling am linken Arm und hielt ihn fest. Dann bückte sich der Mensch und durchschnitt auch die Fußfessel. So auf gleiche Größe gebracht, sahen sie sich einen kurzen Moment in die Augen und Kasta musste unwillkürlich schmunzeln.

„Ich wünschte“, meinte Kasta nachdenklich, „wir hätten uns unter etwas anderen Umständen kennen gelernt.“ In den Augen des Halblings hatte er das Quäntchen Verschlagenheit, gepaart mit Schabernack erkannt, das er nur zu gut kannte. Er sah es jedes Mal, wenn er in den Spiegel blickte ...

***

Natürlich gab es Aufruhr unter den Begleitern, als Kasta mit den Gefangenen ans Lager schritt. Insbesondere Deeka war keineswegs davon begeistert, die Halblinge in ihrer direkten Nähe zu wissen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Dinnix Hände noch immer auf dem Rücken gefesselt waren. Kasta beendete den Aufstand mit einigen harschen Worten und wies seine Begleiter nunmehr an, die Sachen sofort wieder zusammen zu packen, damit der Marsch fortgesetzt werden konnte. Mit einigem Gemaule und Gemurre wurde das teilweise errichtete Lager wieder abgebrochen und insgeheim fragten sie sich, ob Kasta nun den Verstand verloren hatte.

Arkan betrachtete indes neugierig die zwei Halblinge, die kaum älter als er selbst waren. Eigentlich waren sie nicht so viel anders, wenn auch sehr viel kleiner gewachsen. Durch ihre langen und dichten Haare wirkten sie recht wild, andererseits gingen sie – jedenfalls diese beiden hier – untereinander doch liebevoll miteinander um. Nachdem er seinen Blick eine ganze Weile nicht von dem Pärchen abgewendet hatte, traf sich sein Blick mit dem von Tayrén. Im Bewusstsein, sie angestarrt zu haben, blickte er mit rotem Kopf schnell fort und ging seiner Arbeit nach. Tayrén lächelte und sprach dann weiter mit Dinnix.

„Es gefällt mir nicht“, maulte Deeka und betrachtete die Gefangenen mit mordlüsternem Blick, „dass sie sich in ihrer Sprache unterhalten. Also ehrlich, Kasta, du scheinst die Ruhe weg zu haben.“

„Hast du einmal darüber nachgedacht“, erinnerte Nykor seinen Anführer, „dass sie uns mit ihren Gedankenkräften ganz einfach außer Gefecht setzen könnten?“

Kasta ging zu Nykor und stieß ihn mehrfach leicht mit der flachen Hand vor die Stirn.

„Ja“, meinte er nicht ohne sarkastischen Unterton, „das habe ich getan. Im Gegensatz zu dir habe ich nachgedacht. Die zwei hier sind noch viel zu jung, um in diesen Kräften unterrichtet worden zu sein. Sie könnten es allenfalls instinktiv nutzen. Und wenn sie dazu in der Lage wären, hätten sie es im Augenblick der Gefahr genutzt, während wir sie überrascht haben. Nicht jetzt. Nykor, wenn du irgendwann auch einmal anfängst, nachzudenken, wirst du sicher auch in der Lage sein, eine Gruppe zu führen, die ihr Ziel nicht nur erreicht, sondern sogar mit heiler Haut wieder zu Hause eintrifft. Wenn du jetzt das Denken mir überlassen würdest, wäre ich dir sehr verbunden."

Nykor holte tief Luft, sagte aber nichts mehr. Er hatte Kasta gründlich satt. Irgendwann würde er sich vergessen und diesem aufgeblasenen Fatzke eins auswischen. Sein Blick glitt zu den Halblingen hinüber und hing seinen Gedanken nach, die sich mit den verschiedenen Todesarten für Kasta beschäftigten. Und vielleicht würde sich schon sehr bald eine ganz vortreffliche Gelegenheit dazu bieten.

„Ich finde“, meine Arkan beiläufig, „dass sie gar nicht gefährlich aussehen.“

„Was?!" Deeka wäre dem jüngeren Begleiter beinahe wieder an die Gurgel gesprungen. „Du meinst sie sehen nicht gefährlich aus? Gut, da gebe ich dir durchaus recht. Es geht auch nicht ums Aussehen, Jungchen. Sie sind es einfach, wenn du kapierst, was ich meine. Denkst du, ich habe immer so ausgesehen wie jetzt? Was meinst du wohl, woher alle diese netten Verzierungen stammen?“

„Schon gut, schon gut“, beruhigte Arkan sie. Vorsichtig wich er einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände.

„Können wir jetzt endlich?“, wollte Kasta wissen, nachdem der Disput mehr oder weniger beigelegt worden war. Unter Gemurre setzte sich die Gruppe in Bewegung, nachdem Dinnix mit Tayrén die Spitze übernommen hatten. Dahinter marschierte Deeka, die kleine und handliche Armbrust schussbereit, nachdem sie Dinnix darauf hingewiesen hatte, dass Tayrén sehr schnell tot sein würde, wenn er versuchen würde, sie hereinzulegen oder in eine Falle zu locken. Da der Halbling verstanden hatte, woher die Narben im Gesicht der Kriegerin stammten, hielt er den Mund und sagte gar nichts dazu. Arkan folgte, dann Kasta, dahinter Nykor und Tek.

Dinnix blieb gelegentlich stehen, musterte die Umgebung und schien irgendwie in der Luft zu schnüffeln. Dann setzte er sich wieder in Bewegung, ohne seine Peiniger eines Blickes zu würdigen.

„Ich habe es dir gesagt“, maulte Deeka und wies auf die Halblinge. „Es sind Tiere.“

Arkan zog ob dieser Feststellung lediglich die Schultern in die Höhe und marschierte weiter. Dinnix und seine Begleiterin legten ein erstaunliches Tempo vor und Nykor ächzte mehr als einmal, da er zu dem normalen Gepäck einen weiteren Beutel mit sich herum schleppte. Langsam und doch beständig hielt die Dunkelheit Einzug und die Menschen begannen an verschiedenen Stellen über aus dem Boden heraus ragende Wurzeln zu stolpern. Schließlich blieb Dinnix stehen und wandte sich direkt an Deeka.
„Nimm die Waffe fort“, forderte er nachdrücklich. „Wir möchten keinen Bolzen abbekommen, nur weil du stolperst.“

„Ich werde dir zeigen, du kleiner Bastard ...!“

„Deeka!“ Arkan wurde nachdrücklich. „Er hat Recht. Leg zumindest nicht mehr auf sie an. Wenn sie uns hätten hereinlegen wollen, boten sich schon tausend Gelegenheiten.“

„Sprichst du aus Erfahrung, Kleiner?“, feixte die Amazone, nahm allerdings dennoch die Waffe herunter. „Was jetzt?“, keifte sie Dinnix an, der sich lediglich wieder zum Gehen wandte. Erneut setzte sich die Gruppe in Bewegung, verhielt hier und dort zu einer kleinen Erholungspause und schließlich blieb Dinnix stehen.

„Noch etwa fünfzig Schritte und ihr seid auf der Straße.“ Der Halbling machte eine Bewegung mit dem Kopf und Kasta blickte neugierig durch den nun doch recht dichten Bewuchs. Und tatsächlich konnte man dort Fackeln und Leuchten an Fuhrwerken ausmachen. Selbst dumpfe Geräusche schwer beladener Wagen drangen durch das dichte Unterholz bis hierher.
Hoffnung regte sich in den genervten Menschen und selbst Kasta schloss für einen Augenblick die Augen, um tief durchzuatmen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass auf den Handelsstraßen Reisende nichts von den Halblingen zu befürchten hatten. Ein Grund sicherlich, warum die Elfen nichts gegen sie unternahmen.

Kasta ließ sich von Nykor den Beutel geben, der doch ein beachtliches Gewicht auszumachen schien.

„Hätte dir auch etwas früher einfallen können“, murrte er seinen Anführer an, der jedoch in keinster Weise darauf einging. Dann gingen sie noch etwas näher an die Straße heran und mussten die Halblinge nun doch ein wenig schieben.
„Was soll das?“, sträubte sich Dinnix schließlich und brachte die Gruppe zum Stehen. „Ihr wisst genau, dass sie auf uns schießen werden, wenn wir auf die Straße kommen.“

„Du kommst garantiert nicht mal bis auf die Straße, Herzchen!“ Deekas Augen funkelten böse. „Den Spaß werde ich mir nicht nehmen lassen!“

„Schluss jetzt!“ Kasta trat vor, nahm Arkans Waffe und durchschnitt die Fesseln des Halblings, der seine blutigen Gelenke rieb. Dann ließ er sich von dem maulenden Tek die Waffen der Gefangenen und einen kleinen Kräuterbeutel geben und reichte die Utensilien weiter.

„Wie besprochen“, setzte er hinzu. Dann wandte er sich an seine Begleiter. „Tek, Nykor, Deeka. Geht schon einmal vor und sorgt für Transport. Ich habe keine Lust, noch weiter zu laufen. Wir kommen nach und entlassen die beiden hier, sobald ein Wagen hält.“

Nur zu gerne kamen sie der Aufforderung nach und eilten durch die Büsche zu Straße. Dabei gingen sie etwas unwirsch zur Sache und verursachten eine kleine Panik unter Fuhrleuten und den elfischen Wächtern. Die Wachen sprangen vor, Elfen hielten Bögen und Armbrüste auf sie gerichtet! Schnell erklärten sie sich und außerdem erweckten sie nicht den Eindruck, vom Irrsinn umzingelt zu sein und mit drei Leuten einen Überfall auf den Fen-Aurôgh durchführen zu wollen. Am Rande der Straße blieben sie stehen und starrten noch einmal ins Gebüsch zurück, während ein Elf sich erklären ließ, dass sie sich verirrt hatten und gleich noch zwei Gefährten auftauchen würden. Der Elf war damit zufrieden und widmete sich wieder der Begleitung der kleinen Karawane von Händlern, während Deeka und Tek nach einem Wagen Ausschau hielten, der sie mitnehmen würde. Schon nach wenigen Augenblicken hatten sie einen willigen Kaufmann gefunden, der gegen ein kleines Entgelt auch Personen transportierte. Der Wagen hielt an und Nykor pfiff seinem Anführer das vereinbarte Zeichen.

***

Als der Pfiff ertönte, drehte sich Kasta zu Arkan um und schlug diesen mit einem Schlag nieder. Der Junge rührte sich nicht mehr und lag bewusstlos auf dem Boden. Kasta bückte sich, während die Halblinge die Szene irritiert beobachteten. Er zog einen kleinen Lederbeutel mit Geld hervor, den er einsteckte, suchte noch weiter und fand dies und jenes Utensil, welches er ebenfalls fortstreckte.

„Dein Beweis für eure Schwierigkeiten“, meinte er schließlich zu Dinnix, erhob sich und drückte dem Halbling auch noch das Kurzschwert des jungen Menschen in die Hand. „Verschnüren müsst ihr ihn schon selbst. Und denkt daran, ihn zu knebeln, ansonsten hetzt er euch noch jemanden von der Straße auf den Hals. Ach, und Dinnix ...“, setzte er hinzu, nachdem er sich bereits zum Gehen gewandt hatte. „Es tut mir leid. Aber anders wären wir aus dem Wald nicht mehr mit heiler Haut zurück gekommen. Mach es gut und vergiss mein Gesicht. Ich wünsche euch viel Glück und lasst euch nicht von euren Clans einschüchtern!“

Ohne einen weiteren Blick auf Arkan zu verschwenden, trat er aus dem Gebüsch auf die Straße, marschierte zu dem Wagen und schwang sich auf die mit einer Plane überdachte Ladefläche.

„Los geht’s!“, rief er dem Kaufmann zu, der sein Gefährt selbst lenkte. Der grinste sein breitestes Grinsen und fördete damit ein recht marodes Gebiss zutage. Dann setzte er die Zugtiere in Bewegung und reihte sich mit einigen Flüchen und Beschimpfungen in den unablässigen Strom der Reisenden und Händler ein.

„Wo ist Arkan?“, fragte Tek, obwohl er bereits vermutete, was geschehen sein mochte. Kasta sah seinen Begleiter überrascht an, zog die Schultern hoch und griente vor sich hin.

„Du bist ein Roka, Kasta“, meinte Deeka böse und sah ihren Anführer angewidert an. „Hab ich dir schon einmal gesagt, dass du ein verdammtes Roka bist?“

„Mehr als einmal, Herzchen“, erwiderte Kasta lakonisch und zog ein Stückchen Dörrfleisch aus seinem Proviant hervor, auf dem er zu kauen begann.

„Verdammt, Kasta“, maulte Deeka, „was hindert mich eigentlich daran, dich hier und jetzt abzustechen?“

„Na, wenn es schon nicht die Strafe ist, die dir die Elfen angedeihen lassen würden“, antwortete Kasta kauend, „wirst du dich immerhin daran erinnern, dass ihr unseren Auftraggeber nicht kennt und nicht wisst, wo und wann die Beute abgeliefert und in Bares ausgetauscht wird.“

„Roka!“, zischte Deeka wütend und lehnte sich zurück.

„Ja, ja“, seufzte Kasta gespielt teilnahmsvoll.

***

Dinnix hatte in der Zwischenzeit den bewusstlosen Arkan durchsucht und noch ein kleines Stiefelmesser zutage gefördert. Als sich der Mensch langsam regte, hockte er sich schnell und mit funkelnden Augen auf Arkan und hielt ihm das Messer an die Kehle.

„Scheiße!“, meinte Arkan, als er die Situation schließlich erkante. Er zweifelte keinen Augenblick daran, gleich das Zeitliche zu segnen und dann in Streifen geschnitten beim nächsten Fest als Hauptmahlzeit für einen Halblingsclan zu enden. Doch dann sprang Dinnix von seinem Opfer herunter und hielt ihm die Hand hin.

„Steh auf“, forderte der Halbling den Menschen auf. „Kasta hat dich hereingelegt und dich als Opfer zurück gelassen. Aber so einfach mache ich es ihm nicht. Wenn wir uns beeilen, können wir sie noch erreichen.“

„Wir?" Arkan nahm nervös seine Waffe aus den Händen des Halblings entgegen, während dieser Tayrén etwas erklärte. Diese trat einen Schritt zurück und verschmolz mit dem Dunkel der Nacht. Arkan zitterte.

„Keine Angst“, meinte Dinnix. „Niemand wird dir was tun. Jetzt lass uns gehen.“

„Auf die Straße?“ Arkan wirkte ungläubig.

„Warum nicht?“ antwortete Dinnix und marschierte los. Arkan lief schnell hinterher, und so erreichten sie wenige Augenblicke später die Straße.

Zwar rief der Anblick eines bewaffneten Halblings nicht gerade Begeisterungsstürme aus, aber die Elfen unternahmen nichts gegen sie. Dann setzten sie sich in einen schnellen Marsch, umschritten langsamere Fahrzeuge und hatten schließlich den Wagen des Kaufmannes in Sicht, auf dessen Ladefläche sich Kasta und seine Leute wohl zum Schlafen ausgestreckt hatten.

***

Vorsichtig näherten sie sich dem Wagen und Dinnix schwang sich behende auf die Ladefläche. Im magischen Licht eines kurzen Stabes, der in einer Halterung festgebunden war, bot sich ein grausiges Szenario. Deeka, Nykor und auch Tek lagen dort mit durchgeschnittenen Kehlen. Weiter vorne lag der von hinterrücks erdolchte Kaufmann. Die Zugtiere folgten auch ohne Anleitung dem Zug der Karawanen.
Der Boden war eine einzige Blutlache. Kasta war nirgends zu sehen, und Arkan musste sich übergeben. Der Dolch im Rücken des Kaufmannes stammte aus Arkans Besitz, ein Fetzen Papier mit etwas darauf Gekritzeltem war am Heft befestigt. Mit dem Blut seiner nichts ahnenden Opfer hatte Kasta seinen Plan vollends umgesetzt und abgeschlossen.

„Ich spreche eure Sprache“, Dinnix hielt Arkan das Papier hin, „lesen kann ich sie nicht.“
Der junge Mensch versuchte sich zu fassen und entfaltete das Papierstück. Dann schüttelte er den Kopf.

„Wie konnte er das nur wissen?“, Arkan war entsetzt. „Wie konnte er das nur wissen?“

„Was steht da?“, verlangte Dinnix energisch zu wissen.

„Nicht schlecht, Dinnix“, zitierte Arkan Kastas Machwerk, „aber noch nicht gut genug. Aber du bist noch jung. Kasta.“

Dinnix schaute einen Augenblick verblüfft, dann sprang er vom Wagen und begann damit, Kasta zu suchen. Aber auch für einen guten Spurenleser war es in der Dunkelheit unmöglich, die Spur Kastas auf der viel benutzten Straße aufzunehmen, zumal sie nicht wussten, wann und wo er den Wagen verlassen hatte.

„Hör gut zu“, wandte Dinnix sich schließlich an Arkan. „Ich kann nicht länger hier bleiben, denn sonst schieben sie mir das hier in die Schuhe. Sieh zu, dass du herausfindest, wo sich Kasta herumtreibt. Wenn du ihn gefunden hast, will ich es wissen.“

Der Halbling griff unter sein Hemd und zog schließlich einen Anhänger von seltsamer Form hervor, den er Arkan hinhielt.

„Hiermit kannst du gefahrlos durch unsere Wälder gehen und wirst den richtigen Weg zu unserem Lager finden. Trage ihn offen, so dass ihn alle sehen können. Außerhalb des Waldes musst du ihn verborgen halten. Ich will Kasta!“

Mit zittriger Hand nahm Arkan den Anhänger entgegen. Schon als er ihn berührte, verspürte er einen bislang unbekannten Orientierungssinn und wusste genau, wo er sich derzeit befand. Beeindruckt steckte er das Relikt fort und bedankte sich bei Dinnix.
Arkan hielt Dinnix am Arm zurück.

„Warum hast du mich nicht getötet?“ wollte er wissen.

„Weil ich verrückt bin“, antwortete Dinnix und sah den Menschen mit ausdruckslosem Gesicht an. „Das war Kastas Plan. Er spekulierte darauf, dass ich dich nicht töten würde. Er ist außergewöhnlich. Und er weiß, dass du lebst und ihn verfolgst. Also pass auf dich auf.“
Dinnix löste die Hand von seinem Arm und entfernte sich schnell in den nahen Wald.

Er und Tayrén würden daheim einiges zu berichten haben. Allerdings hatten sie auch noch mehr zu erklären ...