Wie
eine Hyäne um den Kadaver schleicht er ums Haus, ganz so als
gälte es, sich vor dem Fleddern des Leblosen zu vergewissern,
dass dieser seinen Atem auch wirklich ausgehaucht hat und niemand
die Szene beobachtet. Ich habe Geduld, hatte sie immer in all der
Zeit ... Habe ihn beobachtet, wie er herumlungerte. Er stand da,
scheinbar teilnahmslos, dann wieder wanderte er umher. Klingelte,
klopfte ... und auch laut wurde er. Heute ist er friedlich, beobachtet,
wartet auf seinen Triumph. Ich sah seine Frustration und auch Beharrlichkeit,
für die ich ihn bewundere. Auf eine ganz bestimmte Weise, denn
es war klar, was er wollte. Dafür verachte ich ihn und die
Art und Weise, wie er vorgeht. Er ist subtil, irgendwie, wenn er
es nur will, sich festgebissen hat. Beharrlich ... ganz so, als
hätte ihn irgendetwas infiziert. Aber für Krankheiten
gibt es meist auch eine Behandlung!
Gut, er war nicht
jeden Tag und Abend zugegen, aber er ist beharrlich, wie jemand,
der sich etwas auf die Fahne geschrieben hat. Im Halbdunkel steht
er da, in der Einfahrt halb rechts gegenüber. Hätte ich
nicht gewusst, dass er da herumlungert, wäre mir seine Anwesenheit
vielleicht entgangen. So allerdings, war seine Präsenz so offensichtlich,
als habe man ihn bestellt. Ein Blick auf den Kalender - es ist Donnerstag
- produzierte ein Lächeln auf mein Gesicht. Er hat lange genug
gewartet, Zeit, ihn angemessen zu empfangen.
Ich warte noch
eine Weile, dann schalte ich das Licht im Flur an. Wenig später
in der Diele der ersten Etage, dann im Wohnraum und anderen Räumen.
Den Fernseher schließe ich an die Antenne und ans Netz an,
denn normalerweise habe ich nichts damit am Hut. Das Licht lösche
ich, der Lamellenvorhang vorm Fenster steht noch halb offen. Bilder
und Farben wechseln in rascher Folge, Werbung.
Er grinst, hat
seinen Beweis, denn die rasch wechselnden Bilder des Fernsehers
produzieren ein unverkennbares Spektakel. Er setzt sich in Bewegung,
schleichend, lauernd ... Eben wie eine Hyäne. Für den
Augenblick verharrt er auf der Straße, nahe der Vordertüre
und sieht hinauf. Ich schließe betont langsam die Jalousie
und die Eindrücke rasch wechselnder Bilder verschwinden. Nicht
ganz, nur sehr verschleiert. Doch er weiß Bescheid. Ich kann
seinen Gesichtsausdruck erahnen. Ich lächle. Und er, ganz selbstzufrieden,
lächelt auch.
Er geht ums Haus,
denn er kennt die Gegebenheiten. Er hat jetzt fast drei Monate immer
wieder hier zugebracht. Ich habe ihn gefoppt, sogar angesprochen,
wenn er da draußen stand und wartete. Er ist gut, redete sich
mit wirren Dingen, wie einer verschollenen Liebe heraus, auf die
er nach wie vor ein Auge hat. Bevor ich lachen muss, mache ich mich
davon.
Wie die Motte
vom Licht, so wird er vom Flimmern des Fernsehers angelockt. Schon
schleicht er sich auf den Hof, denn das Tor steht offen. Die Hintertür
findet er spielend in der aufkommenden Dunkelheit, denn er war schon
oft hier auf dem Hof. Klopfen? Nein, daran denkt er nicht. Warum
auch? Ich würde ihm nicht öffnen, ein Klopfen an der Hintertüre
vermutlich nicht einmal hören. Und dass weiß er. Vorsichtig
drückt er die Klinke. Sie knirscht und gibt einen leisen, quietschenden
Laut von sich. Das irritiert ihn nicht, denn in den letzten Monaten
war es genau so. Bis auf den Punkt, dass sich die Türe diesmal
öffnen lässt.
Haben wir
die DNA?, tönt es aus der ersten Etage. Das angespannte
Grinsen auf seinem Gesicht erweitert sich zu einem ausufernden Lächeln.
Zuversichtlich schließt er die Türe und wandert durch
den schmalen Korridor zur nächsten Verbindungstür, die
halb offen steht. Vorsichtig, geduckt, wie ein Dieb, arbeitet er
sich vorwärts, öffnet die Türe ganz und sieht die
Treppe der Verheißung, die ihn in die obere Etage führen
wird. Ein Fachwerkbau, Holz ... Eine Herausforderung, denn oben
sieht er wieder eine Türe. Angelehnt zwar, aber der Schein
des Lichts dringt durch den schmalen Spalt.
Er beglückwünscht
sich zu seinem hageren Körperbau, preist insgeheim seine Agilität
und macht sich daran, die Treppe zu erklimmen. Vorsichtig, langsam,
leise ...
Seitdem er das
Haus betreten hat, weiß ich nicht, wo genau er ist. Trotzdem
kann ich ihn riechen, denn seine Erregung verrät ihn. Er und
seine Ambition ist ein offenes Buch für mich. Ich kenne ihn
und seinesgleichen.
Dämmerlicht
im Flur, als er ihn betritt. Langsam, ganz vorsichtig öffnet
er die Türe. Sie quietscht leise, wie der Deckel auf dem Sarg
eines Vampirs in einem zweitklassigen Film. Fast muss ich lachen,
aber es bleibt bei einem dezenten Grinsen. Er ist offensichtlich
so angespannt, dass er die Geräusche nicht bemerkt. Er schaut
nach rechts, denn von dort kommen die flimmernden Lichter. Fernsehbilder!
Er schleicht voran,
wird einen Augenblick von einer Börse abgelenkt, aus der mehrere
grüne Scheine deutlich herausragen. Er ignoriert sie, arbeitet
sich weiter vor und öffnet mit einem Ruck die Schiebetüre,
die Linke in der Tasche seiner dunklen Jacke.
Unser Vögelchen
ist ausgeflogen, konstatiert der Profiler im Fernsehen. Und
auch mein unerwünschter Gast sieht niemandem im Raum.
Ich bin ihm gefolgt,
räuspere mich und er wirbelt herum, zieht die linke Hand aus
der Tasche und hält mir etwas im Format einer Kreditkarte unter
die Nase.
GEZ!,
schreit er förmlich hinaus und wirft einen kurzen, aber triumphierenden
Blick auf den laufenden Fernseher. Sie zahlen seit Monaten
keine Gebühren.
Oh,
entgegne ich gespielter Überraschtheit. Das ist ... Na
ja ... erwischt! Ich lächle ihn in gespielter Unschuld
an. Er triumphiert völlig und lässt alle Vorsicht fahren.
Seit wann
wohnen Sie eigentlich hier? Er ist ganz der Inquisitor aus
eigenem Recht. Sein Blick wandert umher, ruht einen Augenblick auf
den tätigen Ermittlern von Navy CSI.
Seit zwei
Jahren, antworte ich mit gespielter Naivität. Ist
das ein Problem?
Sie müssen
Rundfunkgebühren zahlen, stellt er mit ernster Mine fest
und schaut mich an, ganz so als hätte ich jüngst ein furchtbares
Verbrechen begangen. Wenn sie hier einziehen, müssen
Sie zahlen. Sie haben sich nicht angemeldet. Da wird ein Bußgeld
fällig, aber ich kann davon absehen, wenn sie die bereits fälligen
Beiträge nachzahlen. Und ...
Und was?,
frage ich nach und treffe die richtige Tonlage der Betroffenheit.
Er grinst unverschämt.
Oh ...,
gebe ich zu verstehen, während er langsam auf mich zukommt
und dabei, einen Durchschlagssatz aus seiner kleinen Umhängetasche
hervorzaubert. Ich nehme die Papiere entgegen und sehe, dass er
einen sehr deutlich früheren Termin für die erste Zahlung
eingetragen hat. Ich schau von dem Papier auf und fixiere ihn, doch
er lächelt nur verschmitzt.
Ich tue so, als
würde ich den Vertrag lesen, beobachte ihn jedoch aus dem Augenwinkel.
Er ist ganz Gefangener seiner Welt: Betrüger und Rächer
in einer Person, Wohltäter an seinem Arbeitgeber! Und er hat
mich erwischt.
Ich seufze tief
und schaue ihn direkt an. Gibt es nicht auch noch eine andere
Lösung? Ich lehne mich ans Regal, so als benötige
ich eine Stütze. Werfe einen knappen Blick auf das Portemonnaie.
Ich meine, fahre ich mit betont zittriger Stimme fort,
dass das ein bisschen viel Geld auf einmal ist.
Du kannst
in Raten zahlen, erwidert er jetzt jovial und gönnerhaft.
Kein Problem. Wenn Du es allerdings auf ein Verfahren ankommen
lassen willst, pfänden wir Dir einfach alles unterm Arsch weg.
Da wäre dann noch der Punkt, dass Du das Einwohnermeldeamt
am Arsch hast. Also noch ein Bußgeld! Er hat Oberwasser
und kostet es aus.
Okay,
heuchle ich und drehe mich zum Regal, die Formulare in der einen
und seinen Kugelschreiber des WDR in der anderen Hand. Meine gespielte
Zerknirschtheit lässt seine Aufmerksamkeit wieder den CSI-Ermittlern
zuteil werden.
Gehen wir
hier rüber, lasse ich ihn wissen und drehe mich zur Küche
um, mache die paar Schritte und warte auf ihn.
Sicher,
entgegnet er nach einem kurzem Moment und ist wieder bei der Sache.
Mehr Licht hier, hm?
Gefliest,
konstatiere ich sachlich und weise mit der Rechten, in der ich die
Papiere halte auf den Boden. Sein Blick wandert nach unten, verweilt
kurz da und mit der Frage auf den Lippen, die er nicht extra stellen
muss, schaut er wieder zu mir auf, während ich den dreiseitigen
Dolch in seine Brust versenke.
Hier kann
ich besser aufwischen, beantworte ich seinen fragenden und
ungläubigen Blick, denn antworten kann er nun nicht mehr. Ich
hab mir schon mal den Teppichboden versaut.
Ich ziehe den
Dolch mit einem Dreher, der unsägliche Schmerzen verursachen
muss, aus seiner Brust und er sinkt auf die Knie. Starrt mich immer
noch voller Verwunderung an. Er öffnete den Mund und neben
ausdringendem Blut bringt er ein leises Gurgeln zuwege, wendet den
Kopf dorthin, wo der Ausgang ist.
Nein,
stelle ich mit dem Unterton der Entrüstung fast flehentlich
fest. Bitte füge dich. Es ist zu spät. Versau mir
nicht den Teppich. Ich wische den Dolch an seiner Jacke ab,
er sieht schlafwandlerisch zu, dann kippt er nach vorne und haucht
sein Leben aus, wie schon andere vor ihm. Das ausströmende
Blut blockiere ich mit Küchenrollen, denn ich habe bereits
Erfahrungen damit gesammelt. Das ist absolut sicher und grenzt die
Sauerei ein.
Der Flur hat einen
direkten Zugang zur Garage und so bringe ich ihn später in
den ausgelegten Kofferraum meines Wagens. Heute früh werde
ich ihn verbrennen, die Vorschriften für Krematorien verlangen
einen Testlauf. Jeden Morgen! Und niemand hat mich je danach gefragt,
was dort verbrannt wird.
Gepriesen sei
der unheilige St. Bürokratius!
(c) Februar 2006
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