Vor
gar nicht all zu langer Zeit - dank der Experimentierfreudigkeit
der Menschheit - hat es sich zugetragen, dass Weisheit und Intelligenz
über sie kamen. Da trotteten sie nicht mehr nur hinterher,
wehrten sich ihrer Wolle und lauerten in kleinen Gruppen denen auf,
die sie sonst vor sich her getrieben hatten. Und einer unter ihnen
war es, der am lautesten rief und sie aufforderte, sich nicht mehr
länger den falschen Göttern, den Zweibeinern zu ergeben,
Wolle und Haut zu Markte zu tragen, sondern eine eigene Zivilisation
zu gründen! Schon bald darauf ergriffen ihn die Menschen, nagelten
seine Haut an ein Gestell, verwoben seine Wolle zu einer hässlichen
und nutzlosen Decke und sein Fleisch landete auf dem Teller, die
Innereien in Würsten. Da war ein großes Blöken unter
den anderen Schafen und siehe da, er wurde ein großer Mährtyrer
... auch wenn keines der anderen Schafe sich mehr an seinen Namen
erinnern konnte. Und während nur einige Unverbesserliche (oder
zu blöde) unter ihnen weiter als Herde den falschen Göttern
folgten, war die Schafheit in all ihrer Herrlichkeit, Glorie, Pracht
und Größe geboren und die alten Götter dachten bei
sich, dass dies ein ganz hervorragender Streich sei. Am Anbeginn
waren es nur Schafe, aber andere folgten ihnen bald, das Antlitz
der Erde dauerhaft zu verändern ...
Der Hörstall war zum Bersten voll. Angefüllt mit Schafen,
aber es hatten sich auch andere Gestalten mit unter die Menge gemischt,
die teils von den wolligen Kreaturen argwöhnisch beäugt
wurden. Sodann steckte man die Köpfe zusammen, tuschelte, wandte
den Blick wieder und wieder in Richtung einer Kuh und blökte
sich eins. Die Kuh schien es nicht zu interessieren, sondern sie
wartete wie all die anderen auch auf den Auftritt
des legendären Gelehrten Wollus McSheep. Ein Hammel, dessen
Ruf als brillanter Archäologe, Historiker und weitgereistes
Schaf weit über die Grenzen seiner Rasse hinausging. Manche
beschuldigten ihn insgeheim der Hexerei und andere - vorzugsweise
betrogene Hammel - sagten ihm noch ganz andere Dinge nach, aber
seine Vorlesungen waren dennoch stets bestens besucht. Heute weilte
er nach langer Abwesenheit endlich wieder an seiner Heimatuniversität
in Schafhausen, in der Nähe von Alzey, normalerweise sehr ruhig
auf dem Weg nach Gau-Odenheim gelegen.
Selbstverständlich
genoss Wollus die Aufmerksamkeit und bereitete sich sorgsam auf
seinen Auftritt vor. Schließlich konnte er als Gelehrter nicht
einfach irgendwie vor die Menge der Wissbegierigen treten, sondern
musste auch an seinem Äußeren arbeiten, welches meist
unter seinen Reisen und den damit verbundenen Anstrengungen litt.
So waren dann auch sieben Adlaten voll und ganz damit beschäftigt,
die Wolle des Dozentenschafs in Fasson zu bringen und ihm noch das
ein oder andere Stichwort für seinen heutigen Vortrag mit auf
den Weg zu geben. Und die Vorträge des bekanntesten Wissenschaftlers
waren inzwischen ebenso berühmt, wie der 'Ring des Schafs'
berüchtigt war.
Als er dann endlich
den Saal betrat, kehrte für einen kurzen Augenblick ehrfurchtsvolles
Schweigen ein, doch dann wurde die Menge euphorisch. Jubelgeblöke
und Hufgetrampel, begleitet von einigen lautstarken Bekundungen
die vom schlichten "Hurra!" bis hin zu "Mach mir
ein Lamm!" reichten.
Zwei ältere
Eulen, Dozenten an der Partneruniversität von Vogelsberg, bestaunten
das Treiben und den Aufruhr aus einer der Logen. Einer der Beiden
lehnte sich mürrisch ein wenig vor, um sich ein besseres Bild
von den völlig aus dem Ställchen geratenen Schafdamen
machen zu können.
"Er ist beliebt",
murrte er unwillig, "das muss man ihm lassen. Von mir hat noch
keine verlangt, ich solle ihr ein Lamm machen."
"Sehr witzig",
konterte der Kollege und versuchte, die Vorgänge im Hörstall
so gut es ging zu ignorieren, warf dann der anderen Eule einen amüsierten
Blick zu. "Wenn ich es genau betrachte, würde ich als
Weibchen auch lieber auf den Kuckuck warten."
Wollus betrat
mit dem Gehabe eines siegreichen Feldherren das Podium, verneigte
sich nach hier und dort, bewegte sich stets ein wenig vor und zurück,
hob mal zum Gruß einen Huf und platzierte sich schließlich
auf einigen der für ihn dort angeordneten Kissen. Er lächelte
und genoss den Trubel. Bis er ihn sah!
Direkt hinter
den enthusiastischen Schafdamen hockte, wie der sprichwörtliche
Schockstock des Horst Hirsemann (Fußnote: In Anlehnung an
das Schwert des Damokles das Instrument des Schlachters, der sich
am namenlosen Mährtyrer der Schafheit vergriffen hatte.), Prof.
Ram van Achterop aus Schaapbulten bei Delfzijl. Ein hochgeachtetes
niederländisches Schaf und Konkurrent von Wollus. van Achterop
war allerdings mehr oder weniger Theoretiker und ließ die
Dinge zu sich kommen, anstatt in der Weltgeschichte umherzureisen.
Für seinen Kollegen hatte er nur Verachtung übrig und
kritisierte ihn und seinen wolllüstigen Lebensstil bei jeder
sich bietenden Gelegenheit. Zu Vorlesungen hatte er sich allerdings
noch nie bemüht und Wollus pflegte um die niederländischen
Universitäten meist einen großen Bogen zu machen. Doch
mit dem Auftauchen von Ram van Achterop war dieser Burgfrieden nun
beendet.
Wollus starrte
das niederländische Schaf zuerst fassungslos an, doch dann
umspielte ein süffisantes Grinsen sein Maul. Sein Blick wanderte
triumphierend über die noch immer blökenden und trampelnden
Schafdamen, zu den applaudierenden und krächzenden Zuhörern,
um dann wieder seinen Kollegen ins Visier zu nehmen. Ram van Achterop
hatte sich weder gerührt noch hatte er die nichtssagende Miene
verzogen. Also widmete sich Wollus wieder der Versammlung und nickte
nach hier und dort bis dann endlich irgendwann Ruhe einkehrte.
"Das könnte
interessant werden", flüsterte eine der Eulen ihrem Kollegen
zu und machte mit dem linken Flügel eine knappe Geste in Richtung
van Achterops. Der Kollege lehnte sich mit gespieltem Desinteresse
vor und wäre dann beinahe vor Schreck aus der Loge gefallen.
"Stimmt", bestätigte er das Offensichtliche und versuchte,
sich zu fangen. "Das der mal die Hufe vor die Tür setzt
..."
Wollus räusperte
sich, rückte sich auf den Kissen zurecht und versuchte möglichst
gebildet dreinzuschauen.
"Meine lieben
Mitwesinnen und -wesen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen",
begann er gehaltvoll und vermied dabei den Blick in Richtung eines
gewissen Schafs. "Es gibt Beweise, die ein generelles Umdenken
notwendig machen, wenn es zur Schafheit und zum Führungsanspruch
auf dieser Welt kommt."
Zustimmung durch
schlichtes Nicken, wie auch zustimmendes Blöken oder Krächzen,
nebst anderer Geräusche. Eines der Geräusche wurde zudem
von einem durchdringenden Geruch begleitet, der für ein wenig
mehr Platz rund um die anwesende Kuh führte.
"Schulligung",
meinte sie widerkauend.
"Na da möchte
man doch gar nicht wissen, wie es in Kuhfelde zugeht!", schimpfte
eine der Eulen und versuchte durch Flattern den Geruch zu vertreiben.
Die Kuh warf ihm einen giftigen Blick zu, während zwei Wiesel
sich kichernd abwandten.
"Hab schon
schlimmeres gerochen", raunzte eine sich auf der hintersten
Bank fläzende Hyäne. Zwei Krähen nickten zustimmend
und hüpften umher.
Einige Schafdamen
nutzten die Gelegenheit, um Wollus erneut und mehr oder weniger
leise ihr Anliegen in Sachen Nachwuchs vorzubringen. Der Dozent
ignorierte die gesamten Vorgänge mit betonter Gelassenheit
und fuhr dann mit seinem Vortrag fort.
"Wie wir
sicherlich alle wissen stammen alle Lebewesen von den älteren
Göttern ab. Gaia und Pontos waren mit verantwortlich für
die ersten wirklich wichtigen Kreaturen. Denn Gaia, aus dem Chaos
entsprungen und Mutter aller Lebewesen, hatte mit ihrem Gatten Pontos
eine Tochter mit Namen Ketos. So weit stimmt auch die Geschichtsschreibung
der Menschen. Faktisch gesehen, war aber Gaia, als sie Ketos empfing
ein Schaf."
Staunen, Raunen
und ein kopfschüttelnder Ram van Achterop begleiteten den geistigen
Erguss des Dozenten. "Beweisführung?", maulte der
Hammel unwirsch. Dies brachte ihm einige böse Blicke ein, Wollus
ignorierte ihn vollständig.
"Während
nun Ketos nicht wie ein Schaf daherkommt und dann mit ihrem Gatten,
einem Meeresbewohner mit Namen Phorkys diverse Nachkommen zeugt,
setzte sich bei einer der Gorgonen genannten Schwestern das Schafgen
wieder durch. So wurde also Mähdusa geboren, die als einzige
sterblich unter diesen Nachkommen war. Um sie besser zu schützen
wurde sie mit einer Gabe versehen, die es ihr ermöglichte,
jeden, der sie ansah sofort festzusetzen und damit dauerhaft auszuschalten."
Die Eulen sahen
sich fragend an und schüttelten die Köpfe. Ram van Achterop
verbarg das Gesicht hinter den Vorderhufen.
"Als dann
die Menschheit, immer darauf bedacht alles zu töten, was ihr
nicht in den Kram passt, einen gewissen Perseus losschickte, um
das bedauernswerte Mitschaf zu enthaupten, musste dieser einen Trick
anwenden, um Mähdusa ungestraft betrachten zu können.
Er benutzte die auf Hochglanz polierte Innenseite seines Schildes
und sah deshalb nur das Spiegelbild eines Schafs, dessen direkter
Blick ihn hätte erstarren lassen. So konnte er Mähdusa
enthaupten, da sie mit so viel Verschlagenheit als Schaf natürlich
nicht gerechnet hatte. Also schleppte er das Mähdusenhaupt
mit sich und erschreckte damit seine Feinde, die entweder vor Angst
flüchteten oder versteinert wurden ... Jedenfalls für
eine Weile, wie wir vermuten."
"Das ist
der hahnebüchendste Unsinn", flüsterte eine der Eulen,
"der seit dem Aussterben der Saurier verzapft wurde."
Ein unweit sitzender Hahn warf einen missbilligenden Blick hinüber
zu den Eulen.
"Das lässt
die bereits vermuteten Rückschlüsse auf Dein Alter zu",
amüsierte sich die andere Eule. "Kuckuck!" Ein Flügelschlag
sorgte für Ruhe.
"Da nun aber
Mähdusa ja sterblich war, verweste ihr Haupt und brachte nicht
mehr die geforderte Wirkung, weshalb Perseus das Haupt des Gorgonenschafs
auf seinen Schild malen ließ. Dies reichte noch für eine
lange Zeit, um seine Feinde zu erschrecken und außerdem wurde
damit die direkte Linie der intelligenten Schafe rüde unterbrochen!
Ein Verbrechen der Menschheit an der Schafheit, welches sicher schon
bald vor dem internationalen Gerichtshof für Wesenrechte für
Aufsehen und hoffentlich Gerechtigkeit sorgen wird. Nun, wie dem
auch immer sei, meine Ausgrabungen in der Nähe von Medousa
in Griechenland haben die Wahrheit und den Schild des Perseus ans
Licht gebracht."
Erstaunte Blicke,
aber auch Hufgetrampel und "Großartig!"-Rufe sowie
die obligatorischen Forderungen zur Vermehrung der Art und ein entsetzter
Blick aller anwesenden Gelehrten gingen mit dem Transport eines
großen Schildes einher, der von vier Adlaten hereingeschleppt
wurde. Mit Mühe und der gewissen Portion Fantasie konnte man
auf der Vorderseite eine Art Kopf ausmachen, von dem sich Schlangen
in alle Richtungen wanden. Eine gewisse Ähnlichkeit mit einem
Schafskopf war vorhanden ... Der Schild wurde gedreht und die Rückseite
blendete das Licht der Scheinwerfer zurück ins Publikum.
"Wie um alles
in der Welt kommt Ihr darauf", donnerte van Achterop los, "dass
das der Schild des Perseus ist?"
Alle Blicke ruhten
wieder auf Wollus.
"Nun",
konterte er gelassen und erhob sich grazil, "wir habe auf der
einen Seite den Schafskopf der Mähdusa und die stark polierte
Innenseite des Schildes. Wer außer Perseus hätte einen
solchen Schild gebraucht? Im übrigen haben wir auf dem Schild
mit einer DNA Analyse Schafblut nachgewiesen, welches unzweifelhaft
von Mähdusa stammt, deren Kopf eine Weile an diesem Schild
befestigt war. Hierzu passen auch Abriebstellen von Seilen sowie
eine Analyse des Materials, welches Auskunft darüber gibt,
dass der Schild in der passenden Zeitperiode verwendet wurde. Sicher
werden wir an der Ausgrabungsstelle noch weitere Beweise in der
Sache finden ..."
Schweigen. Staunen.
Raunen. - Fassungslosigkeit.
"Das ist
bar jedes wissenschaftlichen Beweises!", blökte Ram van
Achterop los und schien kurz vor der Explosion zu stehen.
"Neidhammel!"
war da noch die netteste Bezeichnung, die dem niederländischen
Dozentenschaf aus der versammelten Mengen an den wolligen Schädel
geworfen wurde; begleitet von giftigen Blicken der anwesenden Schäfinen.
"Es ist logisch
erklärt", entgegnete Wollus gelassen und mit einem - zumindest
für Schäfinnen - umwerfenden Lächeln. "Wo ist
der wissenschaftliche Gegenbeweis?"
"Genau!"
und "Brilliant!"-Rufe, nebst einem uns bereits bekannten
Begehren, waren im aufkommenden Jubel und Applaus zu hören
und van Achterop setzte sich verblüfft auf sein Hinterteil.
Der Stall tobte, während der Schild in Sicherheit gebracht
wurde. Wollus saugte die Huldigungen auf, und schritt dann langsam
von der Bühne, während die Kuh erneut für eine gewisse
Ablenkung sorgte. Weiterer Trubel entstand und der Stall war in
Aufruhr. Empörte Eulen sahen sich mit einer gerade aufwachenden
Fledermaus konfrontiert, die mit einem deftigen Gähnen ihre
Lederflügel spreizte und dabei vergaß, das sie nichts
drunter trug. Dies sorgte bei den älteren Eulenprofessoren
beinahe für einen Infarkt, eine nachfolgend heftige Diskussion
über das für und wieder solchen Verhaltens ging jedoch
in der Kakophonie unter.
Diskussionen entbrannten,
während der ein oder die andere sich bereits entfernten und
die Eulen vor der Fledermaus und den Blähungen der Kuh die
Flucht ergriffen. Der greise Dekhahn der Universität beglückgackerte
Wollus und sich selbst ob der neuesten Erkenntnisse und Errungenschaft
in Gestalt des Schildes, während sich das Dozentenschaf von
seinen Adlaten mit Komplimenten überhäufen ließ.
Völlig außer
Fassung verließ ein niederländisches Schaf mit dem festen
Willen, dem Schaflatarn das Handwerk zu legen, den Hörstall
und begab sich auf die lange Reise nach Hause, während die
Party in Schafhausens Universität erst richtig begann.
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