Es
war ein Vormittag wie jeder andere auch. Ich stand spät auf,
weil ich die Nacht mal wieder viel zu lange vor dem Computer zugebracht
und irgendwelche Spielchen gespielt hatte. Egal, es machte ja Spaß!
Warum sollte ich es auch nicht tun, schließlich wartete ja
nicht irgendwelche Arbeit auf mich ...
Ich erhob mich
so gegen elf Uhr, zog mich gähnend und streckend an und wankte
ins Bad, putzte die Zähne, warf mir ein wenig Wasser ins Gesicht
und rasierte dann die wenigen Stoppelchen weg. Es war warm, also
kurze Hose und Shirt ... dann die Umhängetasche, Handy ...
und ab. Ich wollte in die Stadt und in wenigen Minuten würde
der Bus kommen. Ich beeilte mich nicht, da die Linie sowieso ständig
zu spät kam. In all den Jahren, in denen ich schon mit dieser
Linie fuhr, kann ich mich ziemlich genau an die wenigen Male erinnern,
dass ein Bus pünktlich gefahren ist. Es reichen die drei Zehen
eines Huhns, um mitzuzählen. Allerdings war es mir ziemlich
egal, ob der Bus nun ständig zu spät oder auch schon mal
gar nicht kam. Nur bei miesem Wetter konnte einem das wirklich den
Nerv rauben, da es kein Wartehäuschen gab.
Also ging ich
ganz normalen Schrittes zur Haltestelle. Bis ans Ende der Straße,
dann kurz nach Links auf die Dorfstraße. Natürlich grüßte
ich einige Nachbarn, die zu einem Schwatz vor ihren Häusern
standen oder mit was auch immer für Tätigkeiten beschäftigt
waren oder schlicht ihrer täglichen Neugier frönten. Ein
letztes Gähnen entrang sich meinem Munde, während mich
die Strahlen der Sonne trafen und ich mit verkniffenem Gesicht die
Sonnenbrille hervorkramte und mit der anderen Hand unterdessen die
Augen beschirmte. Nachdem sich die Augen hinter den dunklen Gläsern
geschützt fühlten entschwand das verkniffene Gesicht und
wich meiner mehr oder weniger freundlichen Mine, wobei das weniger'
ein deutliches Indiz für die frühe Stunde war.
Ich bog also in
aller Ruhe um die Ecke. Und was musste ich da sehen? Genau! Hundert
Meter vor mir stand der Bus an der Haltestelle! Was fiel dem Typen
ein, einfach pünktlich zu sein? Der Fahrer musste entweder
neu oder einer von der Sorte Mensch sein, die exakt nach Plan funktionieren.
Ich fluchte innerlich und erinnerte mich daran, dass es in diesem
Land eine ganze Menge Leute gab, die nach der Uhr und einem Plan
lebten und eine Menge Dinge ebenfalls einem genauen Plan folgten.
Und das war gut so, denn sonst wäre es mir schwer gefallen,
einen großen Teil meines Lebensunterhalts auf einfache Art
und Weise zu verdienen.
Ich fluchte erneut,
setzte mich in einen leichten Trab auf den Bus zu. Der Fahrer blickte
noch einen einsteigenden Mann an, es war also sinnlos, zu winken.
Normalerweise rannte ich nicht Bussen oder sonst wem hinterher,
hatte aber ebenso wenig Lust, mindestens dreißig Minuten auf
den nächsten Bus zu warten. Außerdem würde der dann
so oder so wieder mindestens zehn Minuten zu spät kommen ...
Da wäre noch der Weg durchs Dorf bis zur nächsten Haltestelle,
denn dort fuhr noch eine weitere Linie. Öfter und auch pünktlicher.
Aber den sicheren Transport vor Augen, setzte ich mich dann eben
doch ausnahmsweise in Bewegung, obwohl dies meiner grundsätzlichen
Philosophie widersprach.
Noch gut fünfzig
Meter. Der Fahrer betätigt einen Knopf, um die Tür zu
schließen, dann drehte er den Kopf mitsamt Oberkörper
und schaute in den linken Außenspiegel. Den Bruchteil einer
Sekunde später war die Tür fast zu und der Blinker nach
Links flammte erstmals auf.
Der wollte doch
nicht ernsthaft abfahren!? Als er sich dem Blick zum Rückspiegel
gedreht hatte, musste er mich gesehen haben ... Obwohl, es gab ja
solche Arschlöcher, die dann absichtlich abfuhren und einen
im letzten Augenblick noch freundlich grinsend anblickten und trotzdem
stehen ließen. Und irgendwie war mir so, als würde dieser
Korinthenkacker, der ja schon unverschämterweise pünktlich
war, nicht warten oder etwa nochmals anhalten, nachdem er sein Vehikel
erst einmal in Bewegung gesetzt hatte.
Sechzig Katastrophen
mögen ihn treffen! Ein letzter Versuch: Ich hob im Laufen den
Arm hoch und fuchtelte wild in der Luft herum, in der Hoffnung er
sei nur blind und kein Arschloch, aktivierte mein durchaus lautes
Organ und brüllte vernehmlich: "Halt!"
Und - Wunder über
Wunder! - fuhr er nicht ab, sondern wartete, bis ich die Distanz
zur Türe überbrückt hatte. Schnaufend wartete ich
darauf, dass die Tür, die vielleicht noch zwei Spannen weit
geöffnet war, zuklappte und sich dann wieder öffnete.
Nichts rührte sich. Wenn dieses Riesen-Arschloch jetzt noch
weiterfahren würde, finge sich der Bus einen deftigen Tritt
gegen die hintere Türe ein. Und ich war mir ziemlich sicher,
dass der Hempel dann wieder anhalten würde!
Die Tür ging
weder zu noch auf. Ich blickte auf und zu dem Idioten auf dem Fahrersitz
hin. Der saß, halb in einer Drehung nach Links verhaftet auf
seinem Sitz, hatte das Lenkrad fest im Griff und stierte in den
linken Außenspiegel, als sei er eben schockgefrostet worden.
Die Situation war absurd. Es rührte sich nichts und niemand.
Und mit einem Blick nach Rechts, die Dorfstraße hoch, stellte
ich mit Befremden fest, dass ein herannahendes Auto und zwei oder
drei Passanten auf der gegenüberliegenden Straßenseite
ebenfalls in Starre gefallen waren. Über der Straße waren
drei Amseln in der Luft irgendwie festgenagelt oder an unsichtbaren
Schnüren aufgehangen worden.
Ich schluckte,
dann lachte ich laut auf und das Lachen erfüllte irgendwie
die gesamte Umgebung. Erschreckt sah ich mich um und bemerkte die
nächste Absurdität. Genauer gesagt bemerkte ich etwas
eben nicht: Geräusche. Es herrschte absolute Stille!
Die Situation
war erschreckend, gespenstisch ... absurd. Doch dann ging mir schlagartig
ein Licht auf. Ich hatte wohl doch ein bisschen viel von diesem
grünen Zeug geraucht in der letzten Nacht. Vorsichtig trat
ich einen Schritt zurück und wartete darauf, dass sich die
Situation und meine Wahrnehmung normalisierte. Es machte keinen
Sinn, gefangen in einem Flashback auf die Straße zu tappen
und angefahren zu werden.
Problem: Nichts
veränderte sich. Keine Geräusche, außer denen, die
ich selbst verursachte. Obendrein sah das hier bei genauerer Betrachtung
auch nicht wie ein Flashback aus ... irgendwie. Mit einem "Hmmm
...." näherte ich mich wieder der vorderen Tür des
Busses, die nach wie vor einen Spalt weit offen stand. Ich hatte
schon oft genug beobachtet, dass die Fahrer an den Endhaltestellen
die Tür durch den Druck auf einem rechts neben der Tür
halbwegs verborgenen Knopf von Außen schlossen oder öffneten.
Also suchte ich kurz und fand ihn zwischen einer der Abdeckungen.
Ich drückte darauf und mit einem Zischen schlug die Tür
erst zu, flog dann aber wieder weit auf.
Mit einem schnellen
Schritt sprang ich in den Bus und hielt mich sofort irgendwo fest.
Wer konnte schon wissen, wann sich das Vehikel wieder in Bewegung
setzen würde? Es rührte sich nichts, auch die wenigen
Fahrgäste machten keine Anstalten, als wollten sie sich in
der nächsten Sekunde wieder in irgendeiner Form bewegen.
Ich kam mir bescheuert
vor, setzte mich aber einfach irgendwo hin und beobachtete das Szenario.
Oder besser gesagt die Szene ... Es geschah wieder absolut nichts.
Dann kam mir eine
wirklich gute Idee. Ich kramte mein Handy hervor und sah auf die
Uhr. Vier Minuten waren bisher vergangen und gerade sprang die Ziffer
um. Fünf Minuten. Die Zeit lief scheinbar normal weiter ...
oder zumindest meine Uhr. Was also tun? Musste oder konnte ich überhaupt
etwas tun?
Ich stand auf
und ging durch den Gang zu einer jungen und wirklich gut aussehenden
Frau. Wenn schon auf Inspektion, dann musste ich mir ja nicht gerade
ein Opfer aussuchen, das hässlich war. Sie saß alleine
in einer Viersitzgruppe, Ohrstöpsel in den Ohren und lauschte
irgendwelchen Klängen, die es ganz offensichtlich seit gut
fünf Minuten nicht mehr wirklich gab. Ein ganz wundervolles
Lächeln umspielte ihre Lippen, grüne Augen blickten hinaus
auf die gegenüberliegende Straßenseite. Ich folgte dem
Blick, aber da war nichts besonderes. Wahrscheinlich hing sie ihren
Gedanken nach ...
Ich fuchtelte
mit einer Hand vor ihren Augen herum, nachdem ich mich ihr gegenüber
niedergelassen hatte. Würde die Welt sich in diesem Augenblick
wieder in Bewegung setzen, hätte ich mir mit Sicherheit nicht
nur einen bösen Blick eingefangen. Aber es setzte sich nichts
in Bewegung. Sie reagierte weder auf mein Gefuchtel noch auf Ansprache.
Also ergriff ich vorsichtig ihren rechten Arm, der auf ihrem Bein
lag. Gut, die Hand war warm ... und geschmeidig. Dann bewegte ich
den Arm vorsichtig, schließlich ging es nicht darum sie zu
verletzen. Kein Widerstand. Erstaunt ließ ich den Arm in leicht
ausgestreckter Position los. Und dort verharrte er. Dann ergriff
ich ihren Kopf vorsichtig mit beiden Händen und drehte ihn
in meine Richtung, bis ihr Blick mitsamt dem entzückenden Lächeln
auf mir ruhte. Naja sagen wir mal, der Blick ging nun in meine Richtung.
Ich lächelte freundlich zurück und wusste auch gleich,
wie bescheuert das war. Wenn alles wieder los ging, während
ich sie gerade neu justierte', konnte ich froh sein, wenn
sie keinen Kampfsport beherrschte! Aber was sollte es schon, es
rührte sich rein gar nichts ...
Sieben Minuten
waren vergangen, wie ich durch einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr
feststellte. Die Zeit lief also definitiv weiter. Die Sekunden wechselten
brav im alten Takt die Zahlen ... Dann ertappte ich mich dabei,
wie mein Blick über ihren Körper wanderte, kurz bei der
wohlgeformten Oberweite unter einem engen Shirt hängen blieb
und sich dann tieferen Regionen widmete, wo er hängen blieb.
Die Hirnwindungen beschäftigten sich dann mit ihr in einer
deutlich anderen Pose ...
"Scheiße!"
rief ich und sprang auf, als hätte mich gerade der Blitz getroffen.
Zu jeder anderen Situation mochte man vielleicht einen Gedanken
daran verschwenden, aber das hier ging jetzt zu weit. Ich ließ
sie in Ruhe und blickte mich nicht weiter um.
Ob sie wohl mitbekamen,
was ich gerade tat? Immerhin waren sie ja nicht tot. Ein Frösteln
lief mir über den Rücken, dann versuchte ich - trotz der
morgendlichen Stunde - zu rekapitulieren, was genau geschehen war.
Bis zu meinem "Halt!" kam ich und mir stockte der Atem.
Das konnte doch nicht wahr sein!? Die Zeit lief doch weiter!?
Neun Minuten.
Ich setzte mich
eine Bank hinter die Schönheit und startete einen Versuch:
"Weiter."
Die schlagartig
wieder einsetzenden Geräusche verursachten einen schmerzvollen
Stich in meinen Gehirnwindungen, die Schönheit schien für
einen Moment irritiert, sah dann aber wieder zum Fenster hinaus.
Der Bus setzte sich in Bewegung und der Fahrer vollendete seine
Bewegung und blickte nach vorne. Einen Augenblick später hielt
er wieder an. Deutlich irritiert sah er zu der offenen Türe
hinüber, schloss sie mit einem Antippen des entsprechenden
Knopfes auf seinen Armaturen und - ich sah es im Innenspiegel -
starrte fassungslos auf sein Cockpit. Dann riss er förmlich
seinen linken Arm hoch, aber auch hier zeigte ihm seine Uhr, dass
er jetzt eine Verspätung von zehn Minuten hatte. Das Entsetzen
und die Fassungslosigkeit in seinem Blick ... Ich konnte nicht anders
und brach in schallendes Gelächter aus.
Der Fahrer blickte
verstört und gereizt in den Innenspiegel und sein Blick lastete
auf mir. Die Schönheit drehte sich um und warf mir einen bösen
Blick zu, da ich ihren Hörgenuss durch mein lautes Lachen jäh
unterbrochen hatte. Ich machte eine abwehrende und entschuldigende
Geste und wies auf meine Handy, so als hätte mich irgendeine
Nachricht zum Lachen gebracht. Mit einem kurzen Kopfschütteln
drehte sie sich wieder herum und sah zum Fenster hinaus. Ich packte
endlich das Telefon weg, das ich noch immer in der Hand hielt. Der
Fahrer setzte endlich seinen Bus in Bewegung, starrte aber immer
wieder in den Spiegel.
An der nächsten
Haltestelle durfte er sich zu allem Überfluss das Gemecker
einiger alter Herrschaften anhören, die ja meist sehr bedacht
darauf sind, dass alles nach Plan läuft. Nicht alle, wohlgemerkt,
aber es gab sie und hier waren sie, als hätte das Schicksal
sie höchstselbst zu dieser Fahrt eingeladen. Vor meinem geistigen
Auge zeichnete sich bereits deutlich ab, dass auch der Korinthen
kackende Busfahrer auf dem besten Wege war, eine solch verknitterte
Gestalt zu werden, die sich über alles und jeden auslässt.
Jedenfalls hatte ich für mich beschlossen, dass es wohl so
sein würde. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und
versuchte wirklich, mich wieder einzukriegen. Es war schwer und
die Bauchmuskulatur schmerzte.
Ein wehleidiges
"Ich kann nichts dafür." des Fahrers wurde mit einem
zackigen "Bei Adolf wär' das nicht passiert!" gekontert,
was nicht gerade für Hochstimmung beim Fahrer sorgte und es
mir deutlich erschwerte, die Fassung wieder zu erlangen.
Und während
ich so da saß und die einsteigenden Fahrgäste bewunderte,
kam mir eine Idee. Naja, nicht wirklich eine Idee, aber ein Gedanke
durchzuckte mein Gehirn: War das eine einmalige Aktion oder würde
es erneut funktionieren? Musste ich nur Halt' sagen oder laut
brüllen, wie vorhin, als ich auf den Bus zugelaufen war? Im
einen Augenblick noch nachdenkend, stellte ich im nächsten
schulterzuckend fest, dass es keinen anderen Weg gab, es herauszufinden,
als es auszuprobieren.
"Halt",
sagte ich relativ leise, so dass ich es selbst gerade noch hören
konnte. Die Umgebung gefror, kaum dass ich das Schlüsselwort
ausgesprochen hatte und ich kam mir einsam, bescheuert, beschenkt
... naja, eben irgendwas zwischen all diesen Dingen vor.
Eine irre Idee
schlich sich in mein Denken.
"Zurück!"
Pustekuchen! Das
war wohl nichts. Allerdings stand die Zeit ja auch nicht still,
sondern es rührte sich nichts und niemand. Vor' und Vorwärts'
waren ebenso erfolglos. Allerdings bot die augenblickliche Situation
Möglichkeiten über Möglichkeiten sowohl meiner verspielten
Ader, als auch meinem Gewerbe nachzugehen.
Oh. Ich hatte
ja noch gar nicht erwähnt, was ich so treibe, um den Kühlschrank
aufzufüllen. Ich bin das, was sie einen Dieb nennen, auch wenn
das Geschäft in den letzten Jahren nicht einfacher geworden
ist. Billige und trotzdem gut funktionierende Alarmanlagen, Überwachungskameras,
die man wirklich so verstecken kann, dass man absolut keine Chance
hat, den Aufnahmen zu entgehen ... und dann ist da noch der unangenehme
Punkt mit der DNA-Analyse. Naja, zumindest, falls man was wirklich
Großes angezettelt hat. OK, das ist sicher nicht ihre Vorstellung
von einem ehrbaren Bürger, aber ich kann nun mal nicht anders.
Ich habe oft genug versucht, mein Geld auf die herkömmliche
Art zu verdienen, aber ich landete immer wieder und - um ehrlich
zu sein - voller Hingabe bei irgendwelchen Diebereien ... Meine
Ehre bewahre ich mir, indem ich keine Waffe mitnehme und es zu vermeiden
suche, Leute zu bestehlen, die so oder so nicht viel haben. Gut,
die Grenze ist relativ und ich lege sie selbst fest, aber ich denke,
ich habe mir über die Jahre in gutes Augenmaß zugelegt.
Jedenfalls hoffe ich das doch sehr.
Im Bus war jedenfalls
niemand, dem ich auch nur einen Euro aus der Tasche gezogen hätte.
Nicht einmal dem Fahrer. Busfahrer verdienen ohnehin schon wenig
genug und dieses Exemplar hier war bereits ausreichend damit bestraft,
dass sich seine Verspätung vermehrte, ohne dass er einen Grund
dafür ausmachen konnte. Würden die anderen in ihrer Starre
etwas wahrnehmen, hätte mich die Schönheit vor mir sicher
nicht nur mit Worten traktiert!
OK. Keine Kohle,
dann wenigstens Spaß. Hinten im Bus hockte ein Jugendlicher,
deutlich in der Hiphop-Szene zu Hause, was an den Klamotten und
der obligatorischen Kopfsocke zu erkennen war. Seine Ohrstöpselchen
wanderten von den Ohren in die Nasenlöcher, dann noch schnell
die Lautstärke auf volle Leistung. Eine rasche Inspektion seiner
Taschen förderte ein Tütchen mit Gras zu Tage, welches
ich aus gesundheitlichen Gründen beschlagnahmte, mehr war aber
nicht drin. Die winzige Gestalt eines Yorkshire, Hunde, die ich
zumeist als Fußhupe bezeichnete, wanderte von Frauchen auf
den Schoß des Fahrers, der in gefrorener Unschuld beteuerte,
dass er eigentlich pünktlich gewesen war und sich überhaupt
nicht erklären kann, wo die zehn Minuten geblieben waren und
er deshalb zu spät sei.
"Zwanzig.",
korrigierte ich ihn und richtete die Töle so aus, dass er nicht
gleich von dem verstörten Köter gebissen werden konnte.
Kein Grund für unnötiges Blutvergießen, sagte ich
mir mit einem Grinsen auf den Lippen. Insgeheim fragte ich mich
ernsthaft, wie lange ich diesen Zustand aufrecht erhalten konnte
oder ob dies auch für alle Ewigkeit so bleiben würde?
Doch der rasche Gedanke machte meinem Spieltrieb platz und so tauschten
der ältere Herr, der der Überzeugung war, dass es bei
Adolf besser gewesen sei, den Mantel mit einer älteren Dame
(Eine Aktion die an Schwerstarbeit grenzte!), Taschen wanderten
zu den falschen Besitzern, Brillen auf die falschen Nasen, Schuhe
neben die Füße ... wobei ich mit Befremden feststellte,
dass sich Gerüche offensichtlich nicht eindämmen ließen.
Alles in allem ein Chaos. Ein harmloses Chaos! Als ich endlich fertig
war, stellte ich verwundert fest, dass inzwischen weitere dreißig
Minuten verstrichen waren und ich wieder vor der Schönheit
stand und mir überlegte, was ich mit ihr anstellen könnte.
Seufzend setzte ich mich ihr gegenüber hin und irgendwie schienen
mir ihre Blicke zu sagen, ich soll es ja nicht wagen. Ich wühlte
kurz in ihrer kleinen Tasche herum, fand aber nichts Produktives.
Dann fingerte ich ihr Handy aus einer der Taschen ihrer sommerlichen
Jacke, programmierte meine Nummer nebst sinnvollem Pseudonym ins
Gerät und hoffte darauf, dass sie vielleicht irgendwann einmal
darüber stolpern würde. Bescheuert, aber was soll's!
Ich setzte mich
wieder brav auf meinen Platz, zog ihr den Stöpsel aus dem rechten
Ohr, gab das Kommando und fügte schnell und nur für ihr
Ohr "Und Dich hab' ich verschont ..." hinzu.
Erschrocken fuhr
sie herum, sah mich irritiert an, bevor ihr ein warnendes "Typ!"
entfuhr und steckte sich den Stöpsel beinahe wieder ins Ohr.
Doch dann wurde sie des Chaos um uns herum gewahr!
Die Fußhupe
hüpfte kläffend vom Schoß des nicht minder erschrockenen
Fahrers, der die Welt nicht mehr verstand und spätestens nach
einem Blick auf die Uhr entweder an einem Herzschlag sterben oder
augenblicklich in den Boden versinken würde, während das
entgeisterte Frauchen am Ende ihrer Leine einen nicht minder verstörten
Herrn mittleren Alters am Boden und auf allen Vieren vorfand. Mr.
Cool in Gestalt des Hiphop-Freaks schniefte sich dank des Kribbelns
in der Nase die Ohrstöpsel mit einem Niesen aus der Nase und
wirkte jetzt alles andere als cool. Der alte Mann versicherte lautstark,
dass ihm bei Adolf der Mantel sicher nicht abhanden gekommen wäre
und machte sich nach einer Tauschaktion mit der Frau meckernd und
auf Strümpfen auf den Weg zu einem Sitzplatz. Die Frau war
nicht weniger konsterniert. Nach einem kurzen Moment war dann auch
klar, dass Adolf sogar dafür gesorgt hätte, dass seine
Schuhe nicht da vorne im Gang des Busses stehen, sondern sich nach
wie vor an seinen Füßen befinden würden. Es kehrte
für einen kurzen Augenblick Ruhe ein.
Meine Schönheit
bewunderte das Chaos um sich herum, drehte sich mit offenem Mund
immer wieder zu mir herum und schien zwischen Faszination, Entgeisterung
und Lachen zu schwanken. Ich nickte nur kurz, nachdem sie mich zum
dritten Male ansah, schließlich konnte man mir ja sowieso
nichts beweisen. Ein "Wie ...?" kam noch über ihre
Lippen, aber dann war es um uns beide geschehen und wir brachen
in schallendes Gelächter aus, während die Brillen im Bus
wieder an die richtigen Besitzer weiter gereicht wurden. Mir schmerzte
ehrlich jeder Muskel in der Bauchgegend und die Tränen flossen
in Strömen, während sich die Situation - auch unter den
Blicken von Passanten, die am Bus vorbei gingen - langsam normalisierte.
Und während
ich noch mit den Auswirkungen meines Lachkrampfes beschäftigt
war, bemerkte ich gleich neben mir im Gang den Fahrer, dem die Zornesröte
ins Gesicht gestiegen war und dessen stierer Blick auf mir ruhte.
Ich sah ihm in die Augen und konnte mich nur schwer beruhigen. Wäre
er nicht so schwer gewesen, hätte ich ihn vermutlich während
alles stillstand draußen auf die Bank ins Wartehäuschen
gesetzt. Er schnaubte, sagte aber keinen Ton, drehte sich herum
und rannte förmlich zu seinem Sitz.
Die junge Frau
drehte sich zu mir herum und da war noch immer der fragende Blick
in ihren Augen, aber auch ein Maß an Irritation, dass mir
gar nicht gefiel. Ich lehnte mich an die Rückenlehne und sagte
nichts mehr.
Unter den ständigen
Blicken des Fahrers erreichten wir endlich den Bahnhof. Ich verabschiedete
mich freundlich mit einem Winken von der davoneilenden Schönheit
und blieb erst mal sitzen. Mit dem Korinthenkacker war ich noch
nicht ganz fertig ...
Er kurbelte wütend
und in aller Hast am Zielschild, da er jetzt sogar für die
Rückfahrt schon deutlich verspätet war. Dann kam er nach
hinten, kurbelte nun am Zielschild für die Seite und starrte
mich immer wieder wütend an. Mir war klar, dass er es wusste!
Irgendwie! Ich lachte in mich hinein. Mein Grinsen gefiel ihm sicher
gar nicht und er verlor jetzt völlig die Fassung.
"Raus jetzt!",
kreischte er hysterisch. "Stehlen Sie mir nicht meine Zeit!"
"Und was",
entgegnete ich höhnisch, "wenn doch?"
© 25. April
2004, Thomas Klaus
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