Die
leicht bucklige Gestalt von der Größe eines Lin bewegte
sich mit übertriebener Vorsicht durch das opulent ausgestattete
Gemach. Mal sah sie hierhin, schnüffelte dann in der Luft,
zischelte etwas vor sich hin und stellte die gut zwei Hände
langen, spitzen Ohren auf. Als sie kein Geräusch vernahm, schlich
sie mit betont unauffälligen Trippelschritten durchs Zimmer
und nutzte dabei jede sich bietende Deckung, ohne dabei jedoch wirklich
den Blicken verborgen zu bleiben. Hinter einem bequem aussehenden,
hohen Sessel verweilte sie einen Moment und lugte über die
Rückenlehne. Das Flackern der Öllampen spiegelte sich
in gelben Augen und ließ die dunkelgrüne Haut alt und
grau erscheinen. Schmutzig-faulige, aber sehr spitze Zähne
kamen zum Vorschein, als die Kreatur zischelnd lachte. Dann huschte
sie unerwartet agil hinüber zu dem herrschaftlich anmutenden
Bett mit Baldachin und tauchte flink darunter, als sich die Türe
öffnete und Stimmen zu hören waren.
Ich danke
euch, Kapraun, sagte die eintretende Frau und verabschiedete
jemanden, der die Uniform einer Garde trug. Der Mann verneigte sich
tief und schloss die Tür leise. Mit einem Seufzer der Erleichterung
drehte sich die Frau um. Sie war in ein Ballkleid gehüllt,
dessen Wert eine normale Familie über Monate am Leben hätte
halten können. Ihr Blick schweifte durch den Raum, ruhte auf
den gewaltigen Vorhängen, welche die Fenster verhüllten,
da es bereits Nacht geworden war, wanderte dann zu einem kleinen
Tisch inmitten des Raumes und bewegte sich zu dem nahe daran stehenden
Sessel, hinter dem sich der heimliche Besucher eben kurzzeitig versteckt
hatte. Ihre Schritte verursachten auf dem dicken Flor des Teppichs
keinerlei Geräusch und nur das Rascheln ihres Kleides war zu
hören. Sie schenkte sich ein wenig Wein aus einer Karaffe in
einen goldenen Pokal, nahm Platz und nippte daran.
Die Spitzen zweier
grünlicher Ohren lugten von hinter dem Bett hervor. Nur gut
vier Schritte trennten den Besucher von der Frau und die legte er
flink und leise zurück. Mit einer, für den buckligen Körper
unerwartet galanten Verbeugung rückte er sich in das Gesichtsfeld
der Frau, die nicht einmal ansatzweise erschrocken war. Die Kreatur
erhob sich und sah die Menschenfrau ausdruckslos an, ein Ohr zuckte
in Richtung Türe.
Sieh an,
meinte die Frau und stellte den Pokal zurück auf den Tisch.
Mein getreuer Recke ist zurück. Mit guten Nachrichten
hoffentlich. Sie lehnte sich entspannt und mit dem Anflug
eines Lächelns in dem Sessel zurück, so als sei es die
natürlichste Sache der Welt, dass sich eine solche Gestalt
in ihren Gemächern aufhielt.
Gewiss.
Die grünliche Gestalt zischelte, trat vergnügt von einem
Bein auf das andere, und entblößte gelbliche Fangzähne.
Wirklich,
Gish, mahnte die Frau und wedelte mit einem kleinen Stofftuch
vor ihrem Gesicht herum, ihr solltet ein wenig mehr Aufmerksamkeit
auf die Pflege eurer Erscheinung legen.
Gish lachte hämisch
und mit einer ebenso eleganten wie gefährlich schnellen Bewegung
brachte er einen unterarmlangen Dolch hervor. Die Spitze kam etwa
eine Hand breit vor dem Gesicht der Frau zum Halt. Dann wirbelte
er den Dolch herum und hielt ihn ihr an der Klinge, Heft voran,
entgegen. Er fixierte sein Gegenüber mit interessiertem Blick,
konnte aber keine Angst oder Überraschung ausmachen. Er knurrte
ungehalten.
Der Dolch,
stellte er sachlich und ohne jede Emotion fest und zog ein wenig
die Schultern in die Höhe, nach dem ihr verlangt habt.
Ich habe ihn an der Stelle gefunden, die ihr mir beschrieben habt,
Lady Jaran.
Jaran hielt dem
Blick der Kreatur stand und brachte es sogar fertig, ein hämisches
Grinsen in ihren linken Mundwinkel zu produzieren. Auch, wenn sie
genau wusste, dass es sinnlos war, Gish etwas vorzumachen, liebte
sie doch diese Spielchen sehr. Ich hoffe doch sehr, dass ihr
Euch genau an meine Anweisungen gehalten habt. Gish? Sie ergriff
den Heft des Dolches und zog ihn vorsichtig aus seiner Hand.
Gewiss.
Gish huschte unglaublich schnell durch den Raum und lauschte für
einen Augenblick mit einer völlig übertriebenen Geste
an der Türe, bevor er sie verschloss. Doch wenn ihr einen
Rat annehmen wollt, säuselte er, dann solltet ihr
nicht mit dem Gedanken spielen, Euren Gatten, den König, damit
zu meucheln. Er schlich mehr als er ging zu dem Tisch zurück
und setzte eine betont verschlagene Mine auf. Nicht, dass es nötig
gewesen wäre, auf dem dichten Flor des Teppichs zu Schleichen.
Denkt Ihr,
es steht Euch zu, mich zu belehren? Lady Jaran erhob sich
und blickte auf die einen Kopf kleinere Gestalt herab. Den unverhohlenen
Zorn musste sie nicht spielen. Sie war es gewohnt, dass man ihr
gehorchte.
Oh,
antwortete Gish rasch und wedelte mit einem spindeldürren und
langen Zeigefinger vor seinem Gesicht herum. Ich sehe, Ihr
habt mir nicht zugehört, als ich Euch von den Dingen berichtete,
die Euren Gatten schützen. Keine Waffe, noch so wohl geschmiedet,
noch so reich besprochen, vermag ihn zu verletzen, so lange er dem
Bann des Hauses Agrinol unterliegt.
Ja ja ...
Die Lady winkte lässig ab. Ich habe Eueren Worten wohl
gelauscht, Gish. Und deshalb erteilte ich Euch den Auftrag eben
diesen Dolch zu beschaffen. Er wurde lange vor der Zeit des Hauses
Agrinol in den Schmieden des Lichts geschaffen. Sie streckte
den Dolch zur Decke hoch und lachte ein hämisches Lachen.
Gish beobachtete
sie aufmerksam und lächelte ebenfalls.
Sicher,
Lady Jaran. Doch bedenkt, dass derjenige, welcher den Bann wirkte,
sehr wohl gewusst haben mag, dass eine solche Waffe existiert. Und
hätte er dann nicht dafür gesorgt, den Bann entweder so
zu wirken, dass auch diese Waffe nichts anrichten wird? Oder hätte
er nicht dafür gesorgt, eben diesen Dolch aus der Welt oder
zumindest an einen Ort zu schaffen, der nicht so einfach zugänglich
ist?
Während Gish
den Sessel umstrich und mit den Nägeln einer Klaue kratzend
über die Kopflehne strich, schlich sich der Hauch eines Zweifels
ins Gesicht der Lady.
Harkan wurde
damit ermordet ..., erwiderte sie, nun mit deutlichem Zweifel
in der Stimme. Ihr Blick folgte dem umherstreifenden Gish, dessen
Aufmerksamkeit eher dem feinen Tuch, als der Lady zu gelten schien.
Gewiss,
antwortete dieser mit ironischem Unterton. Deshalb habe ich
den Dolch auch in seinem Sarkophag gefunden. Er hockte sich
vor dem Tisch auf seine Fersen und tauchte den Mittelfinger der
linken Hand in den Pokal, zog ihn, benetzt von Wein, wieder hervor,
betrachtete ihn einen Augenblick und leckte ihn dann mit seiner
spitzen Zunge ab, bevor sein Blick sich stirnrunzelnd wieder seiner
Gesprächspartnerin zuwandte. Und was sagt euch das, wenn
wir voraussetzen, dass der Dolch selbst den Bann nicht brechen kann?
Lady Jaran sah
Gish nachdenklich an. Harkan war nicht durch den Bann geschützt.
Gewiss.
Und weiter?
Ich kann
Euch nicht folgen, entgegnete Jaran unwirsch. Ich zahle
Euch nicht, damit Ihr Rätsel aufgebt, sondern sie löst!
Gewiss.
Vergebt mir ..., konterte Gish schnell und neigte kurz sein
haarloses Haupt. Wenn also Harkan nicht durch den Bann geschützt
war, Euer Gatte aber ebenso wie andere Herrscher des Hauses, so
ist der Bann in einem Ding, das derjenige, welcher geschützt
werden soll, bei sich tragen muss. Die Frage also ist, was trug
Harkan nicht bei sich, dass Euer Gatte bei sich trägt und niemals
ablegt?
Gish!
Jaran war kurz davor vollends die Fassung zu verlieren und starrte
die Gestalt nach der theatralischen Umrundung eines Sitzmöbels
betont durchdringend an. Was ist es!?
Psssst,
mahnte der Grünhäutige die Lady und hob beschwichtigend
beide Hände. Ihr wisst es nicht, so ihr doch das Bett
mehr als einmal mit ihm geteilt habt? Die Häme war nun
offensichtlich. Doch bevor sie etwas entgegnen konnte fuhr Gish
fort. Der Ring! Der Ring von Agrinol, geschaffen durch den
Erzmagier Pagaris. Einmal übergestreift lässt er sich
nicht mehr entfernen, bis das der Tod eintritt.
Lady Jaran wirkte
höchst überrascht, fasst sich mit der rechten Hand an
die Brust und trat einen halben Schritt zurück. Der Ring?
Gish nickte kurz
und sein linkes Ohr zuckte.
Der Ring ..., konstatierte er tonlos, erhob dann aber
die Stimme. Nicht irgendein Ring! Nein, nein ... Der Ring
von Agrinol.
Applaus brandete
auf, als der Vorhang fiel und damit den ersten Akt des Schauspiels
beendete. Das Publikum tobte und viele der anwesenden Lin riefen
Beifallsbekundungen durcheinander. Razzun war schwer beeindruckt
von dem Detailreichtum in der Bühnenausstattung und den Gewandungen
und der Maske, die einen Lin in die abscheuliche Kreatur Gish verwandelt
hatte.
*****
Lin galten landauf landab als unzuverlässige Gauner und Betrüger,
Diebe und Mörder, die in einer verwahrlosten und heruntergekommenen
Stadt hausten, die man ihnen vor einer halben Ewigkeit einmal überlassen
hatte. Der menschliche Arzt Razzun war auf der Flucht vor
einem nachtragenden Ehegatten, dessen Frau er nicht hatte retten
können - vor fast drei Jahren in der Lin-Metropole Dahenn eingetroffen
und sah sich einerseits in vielen bekannten Vorurteilen über
die Lin bestätigt, musste aber seine Meinung deutlich ändern,
denn in Dahenn ließ es sich deutlich einfacher leben, als
er erwartet hatte. Zudem erwiesen sich die Lin alles andere als
unzivilisiert, sondern waren in fast jeder Hinsicht auf dem aktuellen
Stand der bekannten Wissenschaften. Da es einen deutlichen Mangel
an Ärzten gab, hatte der brillante Razzun gute Karten, wurde
schnell akzeptiert und hatte sich inzwischen in Dahenn eingerichtet.
Inmitten einer Stadt von Meuchlern und Dieben fühlte er sich
ziemlich sicher, auch wenn ihm klar war, dass seine Häscher,
die im Auftrag des nachtragenden Witwers auf seiner Spur blieben,
noch immer in der Stadt weilten. Für sie war es alles andere
als einfach, denn mitten unter Lin fielen sie auf wie ein Fluss
in der Wüste und die Daykîn, eine Schutztruppe der Lin,
wachte auf Anordnung von Qwerlin ganz besonders über das Wohlergehen
des Menschen.
Neben den vielen
Dingen, die Razzun in Dahenn nie erwartet hätte, war auch die
kulturelle Vielfalt an Musikanten und Erzählern, Komödianten
und Kabarettisten und natürlich klassisches Theater in Hülle
und Fülle. Eine der gelungensten Aufführungen, die er
je gesehen hatte, war das an diesem Abend unter freiem Himmel aufgeführte
Stück Der Ring von Agrinol aus der Feder eines
des musisch sehr vielseitig begabten Mirolin, der es in einer Zeit
höchster Not für alle Völker während der großen
Kriege geschrieben hatte. Und an diesem Abend wurde es wundervoll
und akribisch in Szene gesetzt.
Auch Razzun war
völlig aus dem Häuschen und applaudierte heftig. Shiniia
stand neben ihm und freute sich ebenfalls über die Abwechslung.
Für den Menschen völlig unerwartet war sie nicht in ihrer
Arbeitskleidung, sondern in einem weiten, kurzärmeligen Hemd
aus dem cremefarbenen und seidenartigen Stoff und einer schlacksigen
Hose aus einem rauen Material, die gut zwei Hand breit über
dem Knöchel endete, und in einer wenig dunkleren Farbe bei
ihm aufgetaucht, um ihn zu der Aufführung zu begleiten. Die
Elfe schien sichtlich erfreut und ein wenig gelöster als sonst,
trotzdem lugte unter dem langen Hemd immer mal wieder die Schneide
des leicht gebogenen Kampfmessers hervor, dass sie so bevorzugte.
Razzun vermied es, sie darauf anzusprechen, obwohl für seine
Sicherheit ausreichend gesorgt war, denn zwei andere Daykîn
folgten dem Paar auf dem Weg zum Amphitheater der Stadt.
Die Abend war
wunderschön und die tagsüber sengende Sonne verabschiedete
sich langsam hinter den nordwestlichen Klippen des Schelfs, und
der abendliche Wind vom weit tiefer gelegenen Meer trug ein wenig
Kühlung heran. Am nahen Rand des Schelfs konnte man trotz der
Entfernung mit bloßem Auge den Kampf der Elemente bewundern,
denn die drastischen thermischen Unterschiede ließen gewaltige
Wolkengebilde entstehen, die aber nicht weiter in die Wüste
des Plateaus vordrangen. Am Rande des Schelfs mochte es regnen,
bis nach Dahenn gelangten die Wolken jedoch nur selten. Wasserwagen
fuhren, von Pehas langsam gezogen, durch die Straßen der Lin-Metropole
und versprühten das kostbare Nass, um Schmutz und feinen Sand
zu binden und in die Kanalisation zu spülen. Eine Maßnahme,
die Razzun sich in so manch anderer Großstadt gewünscht
hätte. Die Lin grüßten den ihnen inzwischen bekannten
Arzt freundlich mit den üblichen Gesten oder blieben auch auf
einen kurzen Schwatz stehen, ein anderes Paar schloss sich ihnen
an, da sie ebenfalls auf dem Weg zur Vorstellung waren. Die in schwarz
gekleideten und komplett verhüllten Daykîn blieben etwa
zehn Schritte zurück und achteten aufmerksam auf die Umgebung,
schon weil Shiniia dabei war, die selbst zu den Daykîn gehörte.
Auch wenn dies offiziell niemand wissen sollte.
Die Daykîn
schützten die Lin und opferten sich im Notfall für das
Wohl der Schutzbefohlenen oder auch aller anderen Lin. Shiniia war
die einzige nicht-Lin unter den Daykîn, soweit Razzun wusste,
und die beiden hatten schon sehr früh eine mindestens freundschaftliche
Beziehung geschlossen. Ihre Bekanntschaft zum Anführer der
Schutztruppe machte sie zu etwas Besonderem, nicht nur für
die ihnen folgenden Daykîn, sondern auch für Razzun,
der darüber Bescheid wusste, da er sie vor dem sicheren Tod
rettete, als sie sich eine massive Wundinfektion zugezogen hatte.
Selbstverständlich sprach er nicht darüber, wenn er auch
nicht verstand, warum die Daykîn unbedingt eine Geheimorganisation
sein mussten, da sowieso so ziemlich jeder Bescheid zu wissen schien,
wer dazu gehört.
So lange er auch
schon in Dahenn weilte, hatte er doch nur einen Bruchteil von dem
erfasst, was es ausmachte, ein Lin zu sein. Nicht selten, führte
das zu Auseinandersetzungen mit Shiniia, die von klein auf unter
Lin in Dahenn aufgewachsen war. Aber heute Abend war Unterhaltung
angesagt, im Amphitheater der Stadt wurde ein Stück aus der
Feder eines Lin gegeben und Razzun war außerordentlich neugierig.
Es war nicht davon auszugehen, dass irgendwo sonst das Stück
eines Lin aufgeführt werden würde und Razzun hatte auch
noch nie vorher von Gish und der Ring von Agrinol gehört.
***
Langsam schritten
sie über die Allee-der-Schatten hinunter in Richtung Altstadt,
wo sich das große Amphitheater befand. Die Gebäude ragten
hier bis zu vier Stockwerke hinauf und die in hellen Tönen
gehaltenen Farben der Fassaden erinnerten Razzun an so manche reiche
Hafenstadt in den Ländern der Elfen weiter südlich. Jedes
der herrschaftlich anmutenden Häuser mit Simsen und Verzierungen,
Wasserspeiern der unterschiedlichsten Arten, bei denen man gelegentlich
nur hoffen konnte, dass sie nur einer Fabel entsprungen sein mochten,
war je mit Stangen ausgestattet, ganz so wie am Bug eines Schiffes.
Daran befestigten die Bewohner Sonnensegel, welche die Fassade vor
den sengenden Strahlen schützten und später am Tag dann
auch Schatten auf die Straße warfen, um die noch relativ jungen
Bäume zu unterstützen.
Ein leichter Wind
bewegte die noch immer flirrende Hitze und verursachte ein dezentes
Rascheln in den rispenähnlichen Blättern der Nari-Bäume.
Einige der Sonnensegel bewegten sich träge und gaben dumpfe,
klatschende Geräusche von sich. Hier und dort hörte man
Stimmen, aber es waren erst sehr wenige Lin auf den Straßen
unterwegs. Es war auch für die Einheimischen eine große
Herausforderung, sich im Sommer tagsüber auf die Straße
zu wagen, wenn die Temperaturen unerträgliche Höhen erklommen
und die sengenden Strahlen der Sonne alles Leben ausgelöscht
zu haben schienen.
Trotz der noch
immer hohen Temperaturen war es heute anders. Auf verschiedenen
Straßen näherten sich zahllose Lin und andere Bewohner
der Stadt sowie Besucher dem, im Norden der Altstadt gelegenen,
Amphitheater, um dem Spektakel beizuwohnen. Die Aufführung
begann erst gut eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit, und so
war ausreichend Zeit, sich Darbietungen von Schaustellern oder den
zahlreich dargebotenen Leckereien zu widmen. Viele zogen es auch
vor, ein kleines Abendessen zu sich zu nehmen, andere frönten
erneut dem ein oder anderen Weine und es herrschte ein munteres
Treiben wie auf einem Jahrmarkt.
Zu den hinter
Shiniia und Razzun befindlichen Daykîn hatten sich zwei weitere
gesellt, um die Beiden zu flankieren. Argwöhnisch beobachteten
sie die Menge und hatten mindestens eine Hand an der Waffe. Razzun
hatte in seiner Begeisterung beinahe ganz vergessen, dass noch immer
zwei vielleicht auch mehr Gestalten in Dahenn unterwegs
waren, die ihn im Auftrag eines ehemaligen Kunden aus dem Weg schaffen
sollten. Insgeheim hatte er sich immer die Frage gestellt, warum
die Daykîn oder andere der Lin-Banden den Häschern nicht
sowieso schon den Garaus gemacht hatten, um Kleidung und mitgeführte
Gegenstände anderweitig zu verwerten. Shiniia hatte auf diese
Frage hin einmal mit den Schultern gezuckt und dann die unter Lin
übliche eindeutige Geste gemacht, die bedeutete, dass wohl
Geld im Spiel sein mochte. Allerdings konnte der Betrag nie so hoch
sein, dass sich ein Lin gegen die Anweisung des alten Qwerlin selbst
um Razzuns Ableben gekümmert hätte. Offensichtlich hatten
die Kopfgeldjäger aber mindestens so viele Lin bestochen, dass
sie sich noch immer einigermaßen frei in Dahenn bewegen konnten.
Razzun hatte allerdings Schwierigkeiten damit, sich vorzustellen,
dass die Daykîn bestechlich waren. Aber der gesamte Zusammenhang
war eines der vielen Mysterien, die sich dem Arzt noch nicht erschlossen.
Und so genoss er den Abend, insbesondere, da Shiniia ihn begleitete,
und legte all seine Hoffnung und sein Vertrauen in die Tatsache,
dass seine Häscher nicht so verrückt sein würden,
ihn in Begleitung von Daykîn anzugreifen.
*****
In Grüppchen und laut schwatzend begab man sich in der Pause
zu den rings um das Theater errichteten Verkaufsständen, um
Erfrischungen oder einen kleinen Imbiss zu sich zu nehmen. In dem
Durcheinander kam man sich zwangsläufig näher und die
Daykîn um Razzun und Shiniia hatten alle Hände voll zu
tun, ein wenig Abstand zwischen Arzt und Umfeld zu erhalten. Außer,
dass viele Lin die Nähe Razzuns suchten, da dies natürlich
auch mehr oder weniger eine gewisse Nähe zu dem einflussreichen
Qwerlin herstellte, gab es außer kleineren Streitereien allerdings
keine besonderen Ereignisse, bis es kaum zwei Schritte von
der Gruppe um Razzun entfernt - jemanden von den Beinen riss. Mit
einem dumpfen Krachen schlug ein Pfeil in den Kopf eines älteren
Lin ein. Der Einschlag war so heftig, dass der Schädelknochen
nachgab und Blut und Hirnmasse auf die Umstehenden verteilte wurde.
Der tödlich getroffene Halilin hatte mit Sicherheit nichts
mehr gespürt und wurde in die umstehenden Personen geworfen,
wo er dann zusammenbrach.
Inmitten des Gekreisches
und der entstehenden Panik versuchte Razzun zunächst, nach
dem getroffenen Lin zu sehen, wurde aber von Shiniia schroff zurückgerissen.
Sie legte den linken Arm um seine Schulter und drückte ihn
in die Knie, damit er nicht mehr so ein deutliches Ziel bildete.
Die Elfe hatte keinen Zweifel, wem der Pfeil eigentlich gegolten
hatte. Zwei weitere Daykîn hatten sich um die Beiden postiert
und boten mit ihren Körpern Deckung, während sie gleichzeitig
die Dächer der umliegenden Häuser mit ihren Blicken absuchten.
Shiniia brüllte völlig überflüssige Befehle,
denn die anderen Daykîn waren bereits im Sprint durch die
Menge in die Richtung unterwegs, aus welcher der Pfeil ziemlich
wahrscheinlich gekommen war. Viele Lin hatten sich hinter Ständen
oder an Häusern, unter Bäumen oder Statuen in Sicherheit
gebracht, eine umfassende Panik blieb jedoch aus. So unüblich
war die Aktion dann doch wieder nicht und weitere Pfeile blieben
aus und die Daykîn würden mit erheblich mehr Personal
anrücken, um die Umgebung unter die Lupe zu nehmen.
Qwerlin schritt
mit drei Begleitern durch den freien Kreis, der sich um den toten
Halilin gebildet hatte und betrachtete die Leiche eine Weile, während
sich die anderen Lin betont lässig umsahen. Sie bildeten dort
ein wundervolles Ziel, aber auch ihnen war klar, dass der Anschlag
einerseits sicherlich nicht dem völlig verkalkten und harmlosen
Halilin gegolten hatte und andererseits der Schütze nicht so
verrückt sein konnte, seine Position zu halten und weitere
Pfeile abzufeuern. Ein wenig Ungewissheit blieb, aber Lin gingen
damit anders um.
Qwerlin holte
tief Luft und atmete ebenso betont aus, während er weiter auf
Halilin starrte. Dann zupfte er sein flammrotes, weites Hemd aus
leichtem Soff zurecht. Mit einem Schafft ihn fort! drehte
er sich um und wanderte wieder zu den Sitzen zurück, die auf
einem kleinen Podest installiert worden waren. Eine Art Loge, die
nur den wichtigen Lin vorbehalten war. Es wurde weiter getuschelt
und über den Anschlag spekuliert, aber ein Bein riss sich deshalb
niemand aus. Nur wenige Lin, die Halilin sehr nahe gestanden hatten,
drückten eine Träne weg.
Zwei Bühnenarbeiter
machten sich murrend an die Arbeit, den Körper in ein Tuch
einzuschlagen und zu entfernen, während weitere sich darum
kümmerten, herumliegende Teile des Hirns aufzusammeln und das
Blut mit Wasser wegzuspülen.
In der Zwischenzeit
hatte Shiniia Razzun bis an eine der Hauswände geschoben und
baute sich vor ihm auf, um die Umgebung genau zu inspizieren und
ihn mit ihrem Körper zu schützen. Dabei kam sie ihm so
nah, wie das sonst nur sehr selten geschah. Schon gar nicht in der
Öffentlichkeit. Razzun lächelte, ergriff sie vorsichtig
an den Unterarmen, um sie noch ein wenig näher heranzuziehen
und flüsterte ihr ein Danke. ins Ohr, worauf sie
sich umdrehte und den Arzt ansah. Für einen ganz kleinen Augenblick
huschte ein Lächeln über ihre Gesicht, dass dann aber
doch wieder der Konzentration wich.
Kein guter
Zeitpunkt, kommentierte sie mit einem leichten Kopfschütteln.
Und überhaupt ist das Berühren der Daykîn
verboten ...
Er ließ
sie schnell los und wunderte sich ohnehin, dass sie ihn nicht sofort
mit einer schroffen Geste abgeschüttelt hatte.
Ich dachte,
du hast heute frei? Er hob erst mit einer kurzen abwehrenden
Geste die Hände und nickte dann kurz zu einem der anderen Daykîn
in ihrer schwarzen Kluft hinüber.
Tu einfach
so, erwiderte Shiniia mit leicht sarkastischem Unterton und
versetze Razzun einen spielerischen Knuff mit der Faust in die Magengegend,
als wäre ich im Dienst oder soll ich mich erst umziehen,
wenn jemand auf dich schießt?
Er krümmte
sich angedeutet und verzog das Gesicht in gespieltem Schmerz.
Komplett
in schwarz gibts auch mehr auszuziehen .... Das für
einen kurzen, wirklich sehr kurzen, Moment unverschämte Grinsen
auf Razzuns Gesicht wich einer erstaunlich schnell aufsteigenden
und umfassenden Röte. Hatte er das jetzt wirklich gesagt?
Jemlin, einer
der beiden Daykîn die Nahe genug standen, um die Unterhaltung
zu hören, war heilfroh, dass er unter der Kapuze sein Grinsen
nicht verbergen musste, sagte aber keinen Ton. Shiniia drehte sich
langsam wieder zu dem Arzt herum und sah ihm direkt in die Augen.
Razzun war noch immer knallrot und brachte keinen Ton heraus. Die
Elfe legte ihm vorsichtig den Finger auf den Mund, sagte aber keinen
Ton. Mit einem tonlosen Nicht jetzt. drehte sie sich
wieder um und konzentrierte sich auf den Platz und die hin und her
laufenden Besucher des abendlichen Spektakels.
Ein Wort,
Jemlin, wandte sie sich mit drohendem Unterton an den anderen
Daykîn, ohne sich zu ihm umzudrehen, und du wirst an
unvorstellbaren Qualen sterben und das Letzte was du zu Gesicht
bekommst, wird die Schaufel sein, mit der ich dich in den Sand der
Wüste vergraben habe und noch die Nase abschlage.
O süßer
Schmerz, murmelte Jemlin und bereute seinen Spruch in der
Sekunde, in der er ihn unvorsichtigerweise von sich gegeben hatte.
Shiniia wirbelte
herum und hieb mit der gestreckten linke Hand auf die Stelle direkt
oberhalb der Achsel. Nun war der Lin nicht untrainiert und er kannte
durchaus das Temperament seiner Kollegin, blockte aber einen Wimpernschlag
zu spät und der Schlag traf den rechten Oberarm mit voller
Wucht. Er versuchte, ihren Arm zu greifen, kam aber auch hier zu
spät und aus der leichten Hocke fuhr sie nach oben und die
Rechte war an seiner Gurgel. Ohne weitere Gegenwehr und leise röchelnd
hatte sie ihn gegen die Hauswand gerammt und dabei so weit nach
oben gezogen, dass er auf den Zehenspitzen stand. Ihr dezentes Grinsen
unterstrich den Sieg, von Häme war da aber keine Spur. Daykîn
betrachteten das allenfalls als Training.
Razzun hatte sich
an solche Aktionen gewöhnt und mischte sich ebenso wenig ein,
wie die andere, schwarz vermummte Gestalt rechts von dem Arzt. Auf
irgendein, dem Menschen verborgenes Zeichen oder eine Geste der
Aufgabe hin, ließ sie von Jemlin ab, und widmete sich wieder
dem eigentlichen Problem. Auch Jemlin nahm ohne irgendeinen Kommentar
seine Position wieder ein.
Die beiden anderen
Daykîn standen jetzt leicht versetzt und versuchten so, weitere
mögliche Schussbahnen abzudecken und ebenfalls den Platz sowie
auch die weiter entfernten Häuser im Auge zu behalten.
Razzun wollte
gerade noch etwas sagen, als sie ein Geräusch hörten,
ganz so als würde Porzellan über Stein geschoben. Shiniia
spannte die Muskeln und katapultierte sich seitlich gegen Razzun,
der durch die Aktion völlig überrascht wurde. Die Luft
entwich aus seinen Lungen und während er seitlich unsanft auf
den Boden flog und sich dabei den Arm verletzte, rauschte ein großer
Krug vom Dach des Hauses herunter.
Scheiße!
Shiniia wurde ein wenig blasser, als sie das brennende Tuch oben
im Krug sah. Weg, weg, weg!
Sie griff sich
Razzun, der sich noch nicht erholt hatte und auch nicht so recht
wusste, wie ihm geschah, und zerrte ihn weiter nacht rechts und
in einen Eingang hinein. Bevor sie den rettenden Hauseingang erreichten
schlug der Krug mit einem lauten Krachen auf und der Rest des jetzt
umherspritzenden Öls entzündete sich. Die beiden anderen
Daykîn hatten die Flucht nach vorne und zur andern Seite angetreten,
bekamen aber jeweils etwas der brennenden Flüssigkeit ab, die
dann auch die Kleidung in Brand setzte. Fluchend, aber dennoch professionell
wälzten sie sich auf der Straße, um die Flammen zu ersticken.
Razzun hatte Öl
an die Hose bekommen und das rechte Bein stand am Unterschenkel
in Flammen. Shiniia riss sich das weit geschnitten Hemd vom Körper
und erstickte die Flammen schnell, dann zerrte sie den totenbleichen
Arzt weiter in den Hauseingang. Nur den Bruchteil einer Sekunde
später hatte sie ihre Waffe in der Hand, vergewisserte sich
mit einem raschen Blick, dass es Razzun gut ging, und sprang auf.
In dem dünnen Unterhemd wirkte sie ziemlich attraktiv, die
Arm- und Schultermuskulatur zeichnete sich deutlich ab und unterstrich,
dass Daykîn zur Elite der kämpfenden Lin gehörten.
Aus Razzuns Perspektive unterstrich dies noch etwas anderes, aber
daran konnte er gerade nicht denken.
Jetzt reichts,
brummte sie und der wachsame Blick eines Raubtieres kehrte auf ihr
Gesicht zurück. Sie rief den anderen Daykîn etwas zu
und drehte sich zu Razzun um. Alles in Ordnung?
Ja ...,
kam es stockend. Razzun nickte kurz zur Bestätigung. Alles
in Ordnung ...
Bleib hier.
Dann drehte sie auf dem Absatz herum und sprintete auf den Platz
hinaus, wo mehrere Lin damit beschäftigt waren, den Brand zu
löschen und andere sich erst ein Mal in Sicherheit brachten.
Inzwischen war doch ein Tumult entstanden, denn bei allem Verständnis
für Meuchelmord und sonstige Kapriolen, ging den Lin Brandstiftung
dann doch zu weit. Viele der ganz alten Gebäude in Dahenn waren
noch komplett aus Holz errichtet und niemand mochte sich vorstellen,
was passieren würde, wenn eines davon in Brand geriet.
Razzun setzte
sich mit dem Rücken an die Wand und warf einen Blick auf sein
lädiertes Bein. Eine leichte Verbrennung, kokelnde Stoffreste
lagen umher. Durch die Ruhe bemerkte er jetzt auch den Schmerz,
auch wenn die Verletzung kaum der Rede wert war. Kopfschüttelnd
stand er auf und sah vorsichtig auf den Platz hinaus, an dessen
anderem Ende sich das Amphitheater befand. Der Tumult hatte sich
zu einem umfassenden Durcheinander ausgeweitet und es schien nicht
so, als würde die Aufführung bald fortgesetzt werden können.
Das wiederum führte zu weiterem Unmut, aber viele der Lin und
anderen Anwesenden fühlten sich auf der offenen Fläche
alles andere als sicher. Halblinks sah er Shiniia und immer mal
wieder irgendeinen schwarz gewandeten Daykîn. Mit einem erleichterten
Seufzer wagte sich der Arzt hinaus auf den Platz, blieb aber an
der Hauswand. Er fühlte sich sicher genug, um den Heimweg anzutreten
und sich eine Salbe anzurühren, die den Schmerz linderte.
Immer wieder wurde
Razzun von besorgten oder neugierigen Lin angesprochen. Es war ein
offenes Geheimnis, dass irgendwelche Häscher hinter ihm her
waren. Dass die sich allerdings erdreisteten, inmitten eine Versammlung
von Lin zu feuern und dabei den armen Halilin vom Leben zum Tode
zu befördern, war dann doch ziemlich starker Tobak. Selbst
für Lin. Razzun blieb höflich und antwortete so ausführlich
es ging, wies dann aber doch auf seine Verletzung hin, um den geschwätzigen
Lin endlich zu entkommen und den Heimweg antreten zu können.
Leicht humpelnd
betrat er die wenig frequentierte Lammeger-Gasse, die annährend
parallel zur Allee-der-Schatten verlief und nur wenig frequentiert
wurde, während sich die Lin noch berieten, ob sie denn die
abendliche Veranstaltung fortsetzen sollten oder nicht. Qwerlin
sprach schließlich ein Machtwort und sah absolut nicht ein,
warum man auf dieses besondere Ereignis verzichten sollte, zumal
sich Daykîn ja um die Attentäter kümmerten. Also
beruhigte sich die Menge nach und nach und begab sich schulterzuckend
und schwadronierend wieder zu den Ständen mit Getränken
und Leckereien, um sich weiter die Zeit zu vertreiben.
-----
Shiniia wurde im Vorbeilaufen kurz von einem anderen Daykîn
informiert, dass der Schütze auf dem Dächern der Häuser
am westlichen Ring zu entkommen suchte und sein Komplize in einem
unbewohnten Haus festgesetzt worden war. Im Laufschritt war die
Elfe auf dem Weg dorthin, stieß mit knappen Kommandos und
Gewalt im Weg stehende Lin beiseite und erreichte schließlich
das von schwarz gekleideten und vermummten Daykîn umstellte
Gebäude. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln lief sie in den
Eingang, sprang vor der ersten Türöffnung hoch ab, rollte
in der Luft und kam jenseits der Tür in Hocke auf dem Boden
auf, während aus dem Raum der Bolzen einer kleinen Armbrust
schoss und gegenüber in die Wand einschlug. So konzentriert
sie auch war, konnte sie sich doch ein hämisches Grinsen nicht
verkneifen.
Ich zieh
dir die Haut ab, du Bastard, knurrte sie gerade laut genug,
dass derjenige im Raum sie verstehen konnte.
Leck mich!,
konstatierte der Umzingelte in der Sprache der Lin. Da war nicht
der Hauch von Furcht in seiner Stimme.
Erst,
kommentierte die Elfe, wenn du schön blutig bist. Wie
bescheuert muss man sein, um so eine Aktion zu starten?
Nahlin, ein anderer
Daykîn, schob sich in den Gang und musterte Shiniia. Dann
gab er ihr mit knappen Gesten zu verstehen, dass er mit ihrer Aktion
alles andere als einverstanden war. Die Elfe reagierte überhaupt
nicht, sondern konzentrierte sich auf ihr Opfer, dass im Nebenraum
hockte und keinen Ausweg mehr hatte.
Ich kapier
nicht, kam es aus dem Zimmer, was der Aufstand soll.
Hat doch alles bestens funktioniert. Gut ... der Aufruhr war nicht
gewollt, aber es sollte dramatisch aussehen, damit es alle kapieren.
Was?
Shiniias Blick verfinsterte sich. Gedanken schossen ihr durch den
Kopf, aber sie ordneten sich noch nicht zu völliger Klarheit.
Nahlin zog lediglich
die Schultern kurz in die Höhe, den fragenden Gesichtsaudruck
verbarg die Maske.
Hast du
was an den Ohren, Shin? Ein feixender Unterton hatte sich
in die Stimme des Eingekreisten geschlichen. Es hat alles
bestens geklappt. Der olle Halilin hat Staub gefressen und das wars.
Oh, Scheiße!,
fluchte die Elfe. Die waren nicht hinter Razzun her!
Wütend hieb sie mit der Linken auf den Boden ein, dass es krachte.
Glucksendes Gelächter
drang auf den Flur und trieb Shiniia die Zornesröte ins Gesicht.
Was sollte
die Sache mit dem Öl?
Was fürn
Öl?
Vergiss
es. Die Elfe stand auf und war mit einem Satz an der Türöffnung
vorbei, aus der diesmal kein Bolzen geflogen kam. In der Haustüre
stehend, wies sie zwei Daykîn an, Nahlin zu helfen, und instruierte
den Rest, nach Razzun zu sehen und den Platz im Auge zu behalten.
Sieh zu,
dass du den da drinnen lebend kriegst, befahl sie, ohne sich
extra zu Nahlin umzudrehen. Dann war sie wieder unterwegs. Auf dem
Weg zur Praxis, denn sie hatte eine Ahnung, dass Razzun nicht im
Hauseingang gewartet hatte. Leise vor sich hin fluchend rannte sie,
was ihre Kondition hergab durch die dunkler werdenden Straßen
Dahenns und hoffte insgeheim, dass er doch im Schutze des Hauseingangs
geblieben war.
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Rami bewegte sich mit der Anmut eines Fahanrar über die niedrigen
Dächer Dahenns. Endlich bestand eine gute Chance, dass er seinen
Auftrag würde erledigen können. Sein Geldgeber würde
sich auf eine saftige Nachzahlung einrichten können, denn es
war alles andere als leicht, als Mensch in einer Stadt voller Lin
zurechtzukommen, geschweige denn gegen den Willen der Mächtigen
in Dahenn irgend jemanden umzubringen.
Die Lammeger-Gasse
lag im Halbdunkel und die Sonnensegel verdunkelten einige Bereiche
komplett. Vorsichtig lehnte sich der Kopfgeldjäger über
die Brüstung und erkannte nur zwei Etagen tiefer eine humpelnde
Gestalt. Razzun! Weit und breit kein Daykîn und erst recht
nicht diese lästige Elfe. Er hatte schon früh erkannt,
dass sie eine wirklich ernst zu nehmende Bedrohung darstellte. Daykîn
waren an und für sich schon was Besonderes, aber auch unter
ihnen gab es nur wenige, die nach Ramis eigener Einschätzung
in der Lage sein würden, länger als eine Minute
zu überleben, wenn sie sich mit ihm anlegten.
Knapp hinter dem
leise fluchenden Razzun glitt Rami langsam auf eines der Sonnensegel
und dann daran herab bis auf den Boden. Nicht unerwartet hatte der
Arzt, der mit seinem Schmerz beschäftigt war, nichts von der
Aktion bemerkt. In einer leichten Brise schlugen die Segel und zum
Trocknen aufgehängte Wäsche verursachte zusätzliche
Ablenkung für Auge und Ohr. Mit einem hämischen Grinsen
ergriff Rami einen Kessey-Dolch, bevor er von sich aus gesehen
zwei weitere Gestalten in der Gasse bemerkte. Einer von Beiden
hatte einen kleinen Bolzenwerfer auf den Arzt gerichtet. Genau in
diesem Augenblick bemerkte auch Razzun die zwei ihm gegenüber
stehenden Kopfgeldjäger, die es auf ihn abgesehen hatten. Hastig
schaute er sich nach Deckung um, aber außer den Hauseingängen
gab es da nichts und es war fraglich, ob eine der Türen in
dieser Gasse offen sein würde.
Eh!,
rief Rami an seinem Opfer vorbei seinen Kollegen zu. Der gehört
mir!
Razzun fuhr erschrocken
herum und sah sich einer gut einen Kopf größeren Gestalt
gegenüber, in deren rechter Hand locker und sehr professionell
ein Kessey-Dolch lag. Der Arzt wusste, dass nur sehr wenige in der
Lage und Willens waren, sich die Mühe zu machen, dieses unförmigen
Gebildes anzunehmen. Das sprach für die Profession des dritten
Häschers und es machte Razzun keineswegs zuversichtlicher oder
glücklicher. Er humpelte an die Seite, während sich die
zwei recht zerlumpten Gestalten in seine Richtung in Bewegung setzten.
Rami tat es ihnen gleich, auch wenn er aus dem Augenwinkel eine
Bewegung an der gegenüber liegenden Hauswand wahrnahm.
Sicher ein verängstigter
Bewohner, der sich an der Wand entlang drückte. Die Daykîn
oder Shiniia konnten unmöglich jetzt schon hier sein. Viel
Zeit blieb allerdings nicht und das Auftauchen der Konkurrenz machte
Rami auch nicht zuversichtlicher.
Während die
Häscher auf ihn zu stürmten, schloss Razzun mit seinem
Leben ab. Er hatte keine Möglichkeit, den professionellen Söldnern
etwas entgegen zu setzen und die Daykîn waren weit entfernt.
Er kannte den Codex gut genug, um gar nicht erst zu versuchen, mit
seinen Mördern reden zu wollen. Mit einem Seufzer rutschte
er die Hauswand herunter und blieb auf dem Boden sitzen. Razzun
schüttelte den Kopf. Das es so enden musste ...
Rami schien wesentlich
agiler und kam neben seinem Opfer zu stehen, bevor die beiden anderen
ihn erreichten.
Hör
zu, wisperte der Kopfgeldjäger leise in Richtung Razzun.
Ich hab die Regeln nicht gemacht. Es ist an der Zeit für
dich. Ich hab nicht die Absicht dich zu quälen. Wenn du dich
fügst wird es schnell gehen.
Ich bin
Arzt ..., flüsterte Razzun verständnislos und stierte
auf den Boden vor sich. Ich helfe Leuten ... das hab ich nicht
verdient. Er schluckte, verkniff sich aber die Träne
und sah seinem Mörder in die grünen Augen. Da war keine
Mordlust oder Gier zu erkennen. Passion vielleicht, Razzun interessierte
es nicht mehr.
Rami fuchtelte
mit dem Kessey herum und rammte ihn kurz vor Razzun in den Boden.
Erneut trafen sich ihre Blicke für den Bruchteil einer Sekunde,
dann richtete sich der Kopfgeldjäger auf und hatte zwei kurze
Schwerter in der Hand, um seine Konkurrenten aufzuhalten.
Lässig und
selbstsicher stand er zwischen den zerlumpten Gestalten und Razzun.
Was glaubt
ihr, verlangte er mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme
zu wissen, was hier passiert, wenn ihr noch näher kommt?
Nach all den Strapazen
fühlten sich Henandri und Jokil ihrer sicheren Beute beraubt
und gingen mit Wutgeheul und gezogenen Waffen auf ihren Gegner los.
Rami wich der von Henandri von unten eingebrachten Klinge aus und
hatte Mühe, den von der Seite hinzukommenden Hieb Joklis zu
parieren. Das war alles andere als ungeschickt und Ramis Hemd tränkte
sich am linken Oberarm mit Blut. Weder kommentieret er dies noch
nahm er den Schmerz wahr, sondern wich zunächst weiter aus,
bevor er selbst seine beiden Schwerter in Spiel brachte. Rami erkannte
schnell, dass die Beiden sich wundervoll ergänzten, aber das
steigerte nicht ihre Geschwindigkeit. Er beschränkte sich im
Tanz der Waffen darauf, seine Gegner näher kennen zu lernen,
um sie dann austricksen zu können. Es war völlig klar,
dass sie nur zusammen so gut funktionierten. Mit einem nach vorn
angedeuteten Schritt ging Rami in die Hocke und erwischte Jokil
eiskalt. Keine Deckung verhinderte den Stich und der junge Kopfgeldjäger
röchelte, spuckte Blut und ging in die Knie, während sich
Henandri mit Geheul auf Rami stürzte und alle Vorsicht vergaß.
Die Schwerter wirbelten umher, durchtrennten die Sehnen im Kniegelenk
und schickten Henandri blutend und vor Schmerz schreiend zu Boden.
Rami beendete das Geschrei mit einem raschen Hieb.
Razzun schüttelte
den Kopf, während Rami vor ihm auf die Knie sank.
Ich habe
keine Ahnung, was die mit dir angestellt hätten, flüsterte
der Kopfgeldjäger freundlich, aber ich werde dich sicher
nicht quälen. Hast du noch was zu ...
Rami zuckte zusammen,
während Razzun ihn noch immer verständnislos anstarrte.
Die Pupillen des Jägers umwölkten sich, dann sackte er
zusammen und kippte langsam, sehr langsam, zur Seite um. Der Arzt
bemerkte einen gefiederten Pfeil im Nacken des Meuchlers und er
rückte ein wenig zur Seite. Schweiß trat auf seine Stirn.
Bevor Razzun sich
richtig besinnen konnte, huschte aus den Schatten eine in schwarz
vermummte Gestalt heran, die vor ihm zu stehen kam. Zunächst
dachte Razzun, die Daykîn während ihm endlich zu Hilfe
gekommen, aber die Kreatur war kleiner als andere Lin und die blassen
Stickereien auf der Robe hatte Razzun noch nie zuvor gesehen. War
dies jetzt ein Retter oder nur ein anderer Meuchler? Razzuns Gedanken
fuhren mit ihm Achterbahn.
Razzuns Gegenüber
blickte rasch in beide Richtungen der Gasse und schien anderen Zeichen
zu geben. Dann griff er in seine schwarze Weste und zog eine Schriftrolle
daraus hervor. Er kniete sich umständlich und hielt Razzun
die recht große Schriftrolle mit gesenktem Kopf entgegen.
Der Arzt streckte seine Hand langsam aus und ergriff zitternd das
andere Ende. Die Gestalt nickte kurz und ließ los, erhob sich
und drehte sich zum Gehen.
In diesem Augenblick
sprang Shiniia in Begleitung eines weiteren Daykîn aus dem
Eingang eines Hauses, das sehr heruntergekommen wirkte und sich
nach vorn in die Gasse hinein neigte. Sie atmete schwer und schien
wirklich überrascht, als sie die Leichen vor Razzun und die
schwarz gekleidete Gestalt sah. Es blieb noch genug Luft für
ein weiteres Scheiße!, dann setzte sie sich voll
konzentriert in Bewegung. Insgesamt acht weitere Gestalten traten
aus den Schatten der Häuser, aus Eingängen und schmalen
Gassen zwischen den Gebäuden hervor und zielten mit Pfeil und
Bogen auf die Elfe.
Der Daykîn
in Shiniias Begleitung hielt sie an der Schulter zurück und
sie blieb stehen. Ein, vielleicht zwei Pfeilen konnte sie vielleicht
ausweichen, zwei weitere mochten sie nicht tödlich treffen,
aber acht? Sie kochte vor Wut und man sah es ihr an.
Hört
auf. Razzun jammerte mehr, als er sprach. Er erhob sich umständlich
und musste sich an der Hauswand abstützen. Die vermummte Gestalt
drehte sich kurz zu dem Arzt um, dann ging sie langsam auf die andere
Seite der Gasse. So schnell wie die Gestalten scheinbar aus dem
Nichts erschienen waren, verschwanden sie auch wieder.
Shiniia setzte
sich wieder in Bewegung, blieb auf Höhe des Arztes stehen und
stierte für den Bruchteil einer Sekunde wütend hinter
den Gestalten her und auch Razzun war klar, dass sie sich nur mit
Mühe zurückhalten konnte. Der ganzen Truppe in die Dunkelheit
der verwinkelten Nebengassen, Hinterhöfe oder vielleicht sogar
in Gebäude hinein zu folgen, war schlicht Selbstmord. Als eilte
sie zu Razzun, stieg über die am Boden liegenden Körper
der Kopfgeldjäger und stützte den Arzt.
Gehen wir,
sagte sie lediglich und warf die Waffe zu Boden, während sie
einen kurzen Blick auf die Schriftrolle in Razzuns rechter Hand
warf.
Ich bin
froh das du hier bist ...
Ich bin
froh, dass du noch lebst, stellte Shiniia sachlich fest. Es
war keine gute Idee, hier alleine herumzulaufen.
Ja ... Diese
Gestalten haben mir geholfen. Das sind keine Daykîn ...?
Nein. Ganz
sicher nicht!, antwortete Shiniia gereizt.
Razzun fragte
noch nach, wer das gewesen sei, aber weder auf diese noch auf subtilere
Art war aus der Elfe etwas heraus zu bekommen. Als sie endlich Razzuns
Haus erreichten, wahren die Daykîn bereits damit beschäftigt,
die Leichen der Kopfgeldjäger zu entfernen. Andere Lin waren
ihnen dabei behilflich, die Habe der Getöteten zu entsorgen,
wobei es noch zu Streitigkeiten über die Zuständigkeit
in der Gasse kam. Neben Geschrei und Geschubse gab es jedoch keine
handgreiflichen Auseinandersetzungen, obwohl nicht klar war, dass
die anwesenden Daykîn eingegriffen hätten.
Razzun ließ
sich ächzend auf einen Stuhl nieder, entzündete die Lampe
auf dem Tisch und legte die Schriftrolle daneben, löste die
ledernen Bänder und wickelte eine Menge lose zusammengerollter
Blätter auseinander. Shiniia stellte sich hinter ihn und legte
gedankenverloren beide Hände auf seine Schulter.
Woher hast
du das?, fragte sie den Arzt und warf einen Blick auf die
Blätter mit Zeichnungen und schier endlose Texte in einer Schrift,
die sie nicht kannte und die doch so vertraut wirkte.
Der Vermummte,
der vor mir stand, erwiderte Razzun, hat es mir gegeben.
Nachdem sie mir das Leben gerettet haben.
Er sah zu er Elfe
hoch.
Kannst du
das lesen, Shin?
Keine Chance
... Obwohl ... Irgendwie sieht es nach Linid aus. Aber anders. Vielleicht
eine veraltete Form? Die Blätter sehen nicht gerade neu aus.
Sie ging um den Tisch herum und setzte sich ebenfalls. Wenn
du mich fragst, gib es Qwerlin. Der wird so oder so alles andere
als begeistert sein, wenn er von der Geschichte erfährt.
Wieso?
Razzun versuchte einmal mehr an Informationen über seine Retter
zu gelangen, aber die Elfe schüttelte den Kopf.
Wenn der
Alte dir was darüber sagen will, soll er es tun. Das geht mich
nichts an ... Kümmere dich um dein Bein, ich muss zurück.
Shiniia informierte
die Wachen vor und hinter dem Haus über die Vorkommnisse, war
sich jedoch auch sicher, dass es nun ruhiger werden würde,
da alle Kopfgeldjäger, die hinter Razzun her waren, das Zeitliche
gesegnet hatten.
Der Arzt legte
einen bemalten Stein, der ihm als Briefbeschwerer diente auf die
Unterlagen, drehte den Docht der Lampe herunter und humpelte zu
einem Schrank mit Salben, getrockneten Kräutern und fertigen
Arzneien. Er wählte eine Salbe aus, reinigte die Wunde mit
einem sauberen Tuch, dass er in frisches Wasser aus einem Krug benetzte
und bestrich die Verbrennung mit der Salbe. Fast augenblicklich
entspannte sich die Stelle und der Anteil an Nexis-Kraut betäubte
die Schmerzen. Langsam ging er nach oben und fiel auf sein Bett.
Morgen würde
er Qwerlin die Unterlagen zeigen. Ein Gedanke blitzte auf, sich
vielleicht doch besser an Kjerlin zu wenden. Die magisch begabte
Lin mochte sich besser auf alte Schriften verstehen. Shiniia hatte
gesagt, Qwerlin würde nicht begeistert sein ... Der Schlaf
übermannte Razzun und gnädigerweise war er erholsam, tief
und traumlos.
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